Frage an Jens Kerstan bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Jens Kerstan
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Frage von Manfred K. •

Frage an Jens Kerstan von Manfred K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Abgeordneter,

vor kurzer Zeit hat der "freie Westen" noch über die Revolutionen im arabischen Raum gejubelt.
Unsere Parteien allerdings mitten drin auch.
Nun frage ich, nachdem überall der Bürgerkrieg oder das Chaos tobt bzw. in Teilen begonnen hat, was soll den jetzt geschehen? Versteht man in unseren Parteien nicht, dass es Länder gibt, die unsere Art von Demokratie nicht übernehmen können oder wollen?

Mit freundlichem Gruß
Manfred Köhler

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Köhler,

besten Dank für Ihre Frage, mit der ich mich gerne auseinandersetze und die ich Ihnen hiermit beantworte. Sie werfen ja im Kern die Fragestellung auf, warum sich im Anschluss an die "Arabischen Revolutionen" in den wenigsten Fällen sofort eine freiheitliche Grundordnung entwickelt hat, wie wir sie aus unserer eigenen politischen Heimat in Europa kennen.

Richtig ist, dass viele Erwartungen in Bezug auf die Revolutionen im arabischen Raum bisher enttäuscht wurden. Die aktuellen Entwicklungen in Syrien beschäftigen die Weltgemeinschaft und geben größten Anlass zur Sorge. Doch auch nach weniger kriegsähnlichen Auseinandersetzungen, wie der Revolution in Ägypten, die im Rücktritt Mubaraks ihren ersten Höhepunkt fand, wurden Erwartungen enttäuscht. Hat doch gerade in Ägypten der Militärrat mit seinem Vorgehen der letzten Wochen dafür gesorgt, dass sich die Hoffnungen vieler Ägypter auf eine selbstbestimmte und demokratische Gesellschaftsordnung enttäuscht haben.

Kulturelle Unterschiede zwischen der EU und Kairo prägen natürlich die Realität. Wir sollten sowieso in Europa, wo ein recht idealtypische Bild einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung doch weiterstgehend verwirklicht haben, diese kulturellen Unterschiede generell respektieren, aber bereit sein, dennoch konditionierte Hilfestellungen zu leisten, um den dortigen Gesellschaften in Umbruch einen friedvollen Wandel vom Despotismus hin zur Selbstbestimmung zu ermöglichen. Konkret bedeutet dies, dass wir dabei behilflich sein müssen, zivilgesellschaftliche Akteure vor Ort durch das BMZ oder unseren politischen Stiftungen zu unterstützen. Wir sollten uns im Falle Ägyptens dafür einsetzen, dass beispielsweise die USA das Verhalten des Militärrates nicht weiterhin tolerieren, und die Budgethilfe für das ägyptische Militär eingefroren wird. Ein einfaches Überstülpen der europäischen Grundordnung, oder des deutschen Parteiensystems, kann und wird es aber nicht einfach geben. Gesellschaftsordnungen entwickeln sich aus der Gesellschaft heraus, nur so werden sie von der Gesellschaft auch getragen und mit Leben gefüllt. Bei dieser Entwicklung sollten wir behilflich sein.

Ihre in Ihrer Frage mitschwingende Annahme, dass es Länder gebe, die zu einer freiheitlichen Grundordnung nicht befähigt seien, teile ich nicht. Ich bin der festen Überzeugung, dass in einer freien Gesellschaft, in der sozialer und ökologischer Frieden herrscht, sich auch immer die Vernunft ungehindert durchsetzen kann. Dieser Prozess kann aber seine Zeit in Anspruch nehmen. Diese Hoffnung, das alle Anstrengungen hier nicht vergebens sind, verbindet mich mit zahlreichen Menschenrechtsaktivisten von Tunis über Kairo und Homs bis Teheran.

Mit besten Grüßen,

Jens Kerstan