Frage an Jens Kerstan bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Jens Kerstan
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Wolf M. •

Frage an Jens Kerstan von Wolf M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kerstan,
Das gegenwärtige HH-Wahlrecht ist ein personalisiertes Verhältniswahlrecht, d.h. als Wähler kann ich aus den 397 Listenkandidaten und aus ca. 25 bis 50 Wahlkreiskandidaten(je nach WK-Größe) mindestens einen oder bis zu zehn verschiedene Kandidierende ankreuzen. Kein Wähler in HH hat über diese ca. 450 Kandidierenden die objektiven Informationen, um eine begründbare Wahlentscheidung treffen zu können.

Ist es nicht besser, dass das Wahlrecht eine Mischung aus Listen- und Personalwahl wird, d.h. die Landeslisten bleiben echte (Partei-)Listen – ohne personale Auswahl – und die Wahlkreislisten bleiben echte Personallisten, weil man eigentlich nur im Wahlkreis die Chance hat, die Kandidierenden ausreichend kennen zu können?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr M.,

vielen Dank für Ihre Frage.

Das Hamburger Volk das neue personalisierte Wahlrecht 2004 in einem Volksentscheid beschlossen. Dieser Volksentscheid wurde dann von der CDU 2006 gekippt, so dass die Landesliste wieder eine geschlossene Parteiliste und in den Wahlkreisen nur eine sehr bedingte Kandidat/innenauswahl seitens der Wähler/innen möglich war. Einiges von den CDU-Änderungen hat das Hamburger Verfassungsgericht wieder aufgehoben, den Rest wollte der Verein „Mehr Demokratie“ durch einen zweiten Volksentscheid wieder rückgängig machen. Kurz vor dem Abstimmungstermin zur Bundestagswahl 2009 haben dann SPD und CDU, unter Vermittlung von uns Grünen, einen Wahlrechtskompromiss ausgehandelt, der bis heute gilt.

Parallel wurden Volksentscheide als verbindlich in die Verfassung aufgenommen, denn was das Volk beschließt, soll auch gelten. Für das Hamburger Wahlrecht bedeutet dies, dass nur eine Zweidrittelmehrheit der Bürgerschaft das Wahlrecht ändern kann. Das Änderungsgesetz würde dann ersteinmal drei Monate auf Eis liegen. Sollten in dieser Zeit 30.000 Unterschriften gegen die Änderung gesammelt werden, muss ein Referendum über dieses Änderungsgesetz stattfinden, welches ebenfalls mit einer Zweidrittelmehrheit bestätigt werden muss.

Sie sehen also, um das Hamburger Wahlrecht ändern zu können, muss man sehr hohe Hürden nehmen. Daher macht es Sinn, Änderungen nur im Einvernehmen mit dem Verein „Mehr Demokratie“ vorzunehmen. Ihre Änderungsidee würde jedoch aus Sicht von „Mehr Demokratie e.V.“ den Kern des neuen Wahlrechts negativ berühren, so dass hier nicht mit einem Konsens zu rechnen wäre. Denn der Kern des neuen Wahlrechts ist, dass die Personalvorschläge der Parteien für das Parlament seitens der Wähler/innen veränderbar sind.

Dennoch kann ich Ihre Sorge nachvollziehen, dass Sie nicht alle Kandidat/innen kennen können. Wir wollen hier als Grüne gerne mit den anderen Parteien und „Mehr Demokratie e.V.“ in den Austausch gehen, um einen Weg zu finden, dass die Wähler/innen mehr über die Kandidat/innen erfahren als Alter, Beruf und Stadtteil. „Mehr Demokratie e.V.“ hat hier beispielsweise ein Kandidat/innenvorstellungsheft für alle Wähler/innen vorgeschlagen.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen eine ausreichende Erklärung für den Umgang mit dem Wahlrecht geben.

Mit freundlichen Grüßen,

Jens Kerstan