Frage an Julia Klöckner bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Julia Klöckner
CDU
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Frage von Michael D. •

Frage an Julia Klöckner von Michael D. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Klöckner,
in Kürze steht die Abstimmung für den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr an. Wie können Sie es mit ihrem Gewissen als Demokratin, Christ und Theologin vereinbaren, für diesen Kampfeinsatz zu stimmen? Sie schicken junge Mitbürger in einen Krieg, in dem sie getötet werden könnten oder in Situationen geraten könnten, in denen sie gezwungen wären selbst zu töten. Sollten Mord und Totschlag durch Krieg vermeintlich gerechtfertigt sein, für einen Christen und Demokraten kann das keine Ausrede sein, denn es gilt allgegenwärtig das Gebot: "Du sollst nicht töten!" Sind Sie als Theologin derselben Meinung wie unsere Bündnispartner, dass “deutsche Soldaten wieder lernen müssten zu töten” [1]?
Ein guter Abgeordneter sollte sich neben seinem Gewissen auch seinen Wählern verantwortlich fühlen. Laut einer Emnid-Umfrage [2] halten 62% der Bürger den Afghanistaneinsatz für falsch. Können Sie als Demokratin es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, sich mit dieser Entscheidung gegen die Mehrheit der Bürger zu stellen?
Diese Kriegseinsätze verschlingen Unsummen, die intelligenter im Inland eingesetzt werden könnten. Beschämend, dass in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt, 17% unserer Kinder in Armut aufwachsen müssen [3], ohne eine gesicherte gesunde Ernährung [4]!
Ist es nicht ein Gebot der christlichen Nächstenliebe und wäre es nicht politisch klug, dass dieses Geld umgehend in unsere Kinder zu investieren ist, die letztendlich auch die Zukunft unseres Landes sind?
Ich bin Vater von zwei Kindern und werde mich bei der nächsten Bundestagswahl gut daran erinnern, welche Volksvertreter Kriegseinsätzen im Ausland mehr Bedeutung beigemessen haben als der Bekämpfung der Kinderarmut im eigenen Land.

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,449043,00.html
[2] tnsemnid Tab. 4 http://zeus.zeit.de/online/2007/33/zeit3207.pdf
[3] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,500202,00.html
[4] http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/artikel/144/131907/6/

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Dr. Schäffer,

vielen Dank für Ihre kritische Frage zum Sinn des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr. Mit Ihrer Bewertung der Situation stimme ich jedoch nicht in allen Punkten überein, lassen Sie mich daher meinen Standpunkt darlegen.

Den Bundeswehreinsatz als Kampfeinsatz zu bezeichnen, ist sicherlich nicht angebracht. Die Taliban hatten vor dem Eingreifen der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan eine Schreckensherrschaft errichtet, in der fundamentalste Menschenrechte mit Füßen getreten wurden. Darüber hinaus war das Land ein Rückzugsraum und Trainingsgebiet für Extremisten, die mit Ihrer Gewalt alle liberalen Gesellschaften bedrohten. Der Einsatz amerikanisch geführter Streitkräfte in Afghanistan infolge des 11. September hatte den Sturz der Taliban zur Folge. Seither engagieren sich dort verschiedene Nationen, um den Terrorismus zurückzudrängen und rechtsstaatliche Strukturen zu etablieren. Dieses ist auch im unmittelbaren Interesse der deutschen Sicherheitspolitik, da auch die Bundesrepublik vom internationalen Terrorismus bedroht ist, wie aktuelle Beispiele ja immer wieder zeigen.

Ziel der ISAF-Mission, bei der die Bundeswehr seit 2001 beteiligt ist, ist die Unter-stützung der afghanischen Regierung bei der Schaffung eines sicheren Umfeldes und leistungsfähiger Sicherheitsorgane für den Wiederaufbau Afghanistans. Ein Rückzug zum jetzigen Zeitpunkt würde lediglich dazu führen, alle bisherigen Fortschritte in Frage zu stellen. Auch die Sicherheit in Deutschland ist vom Erfolg der Afghanistan-Mission abhängig. Im Falle eines Endes des Engagements der internationalen Streitkräfte, würde das Land innerhalb kürzester Zeit wieder zu einer Ausbildungsstätte für Terroristen werden, von denen auch für die deutsche Bevölkerung eine direkte Bedrohung ausgehen würde. Ein Rückzug aus Afghanistan würde Deutschland nicht vor Terroranschlägen schützen, wie manche behaupten. Wir würden uns bestenfalls das kurzfristige Wohlwollen von jenen Fanatikern erkaufen, die die Werte unserer Gesellschaft ohnehin als dekadent und schwach verachten. Viel dramatischer wären jedoch die Auswirkungen in Afghanistan selbst. Durch einen Rückzug würden wir alle Afghanen im Stich lassen, die sich keine Rückkehr des Taliban-Regimes wünschen. Deutschlands Glaubwürdigkeit als Schützer seiner Bürger - aber auch als ehrlicher Vertreter humanitärer Grundwerte - stünde zur Disposition, wenn wir uns unserer Verantwortung entziehen. Aus diesem Grund haben wir vergangene Woche im Bundestag das Mandat um 14 Monate verlängert und die Truppenstärke auf 4500 Soldaten ausgeweitet.

Eine rein politische Lösung für den Aufbau der afghanischen Zivilgesellschaft, unter Ausschluss eines Streitkräfteeinsatzes, stellt momentan keine Perspektive dar. Die
meisten der Talibankommandeure haben kein aufrichtiges Interesse daran, mit uns zu kooperieren, da sie langfristig auf eine Wiederherstellung der alten Zustände hin-arbeiten.

Was das Thema Kinderarmut angeht, so unternimmt die Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen, um die gestiegene Zahl von Kindern, die in Armut leben, zu mindern. So wichtig der Ausbau der Kinderbetreuung ist, um vor allem für Alleinerziehende die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und somit Verdienst zu ermöglichen, so wichtig sind natürlich auch finanzielle Leistungen oder Gutscheinsysteme, denn sie tragen zur Reduzierung der Armutsgefährdung von Kindern bei. Einige familienpolitische Leistungen haben sich bewährt. Dazu gehört das Kindergeld und der Kinderzuschlag. Diese sollten weiter entwickelt und ergänzt werden. Ein wichtiges Projekt ist deshalb der erweiterte Kinderzuschlag, der in diesem Monat in Kraft getreten ist. Der Kinderfreibetrag wird von heute 5.808 auf voraussichtlich 6.000 Euro im kommenden Jahr angehoben. Gleichzeitig soll das Kindergeld um zehn Euro monatlich steigen. Trotz der zum Teil alarmierenden Werte, zeigt der internationale Vergleich, dass es uns in Deutschland relativ gut gelingt, Armutsrisiken durch Sozialtransfers und Familienleistungen zu verringern. Kindergeld oder Kinderzuschlag sind Maßnahmen, die auch besonders einkommensschwache Familien fördern.

Lieber Herr Dr. Schäffer, wir sind von der Notwendigkeit des Einsatzes unserer Bundeswehr in Afghanistan überzeugt. Mit ihm tragen wir dazu bei, den Menschen in Afghanistan einen neuen Anfang zu ermöglichen, und es ist auch eine Frage unserer Glaubwürdigkeit, Afghanistan jetzt nicht im Stich zu lassen. Der Kampf gegen Kinderarmut in Deutschland und der Einsatz in Afghanistan schließen sich gegenseitig nicht aus. Leider sind in der Politik immer wieder Kompromisse und Abwägungen zu machen, die oft nicht leicht fallen und manchmal weder eindeutig richtig noch falsch sind.

Herzliche Grüße,

Julia Klöckner

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