Frage an Julia Verlinden bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Julia Verlinden
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Barbara S. •

Frage an Julia Verlinden von Barbara S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Guten Tag Frau Verlinden,

ich war langjährige Grünen-Wählerin. Nun bin ich entsetzt, dass die Volksabstimmung aus dem Grundsatzprogramm der Partei DIE GRÜNEN gestrichen werden soll. Und ich frage mich, wie Sie das rechtfertigen? Wieso haben DIE GRÜNEN Angst vor Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie, obwohl u.a. die Schweiz zeigt, wie stabilisierend Volksabstimmungen auf das politische System wirken. Das Thema Bürgerräte ist endlich international im Kommen — aber eigentlich schon seit Jahrzehnten in seiner positiven Auswirkung auf verantwortungsvolle, offene Demokratie untersucht. Auch vor diesem Hintergrund können Sie das sinkende Vertrauen in »professionelle« Politik sicherlich nicht aufhalten, indem Sie Bürgerexpertise und Volksabstimmungen weiterhin ausschließen.
Ich bitte Sie dringend, sich für den Erhalt der Volksabstimmung in Ihrem Grundsatzprogramm einzusetzen.
Vielen Dank! ich freue mich auf Ihre Antwort.
Herzliche Grüße!
Barbara Schubert

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau S.,

vielen Dank für Ihre Anfrage zu diesem sehr wichtigem Thema, denn die Frage wie wir Demokratie gestalten und leben hat tatsächlich Auswirkungen auf alle anderen Politikbereiche.
Leider komme ich erst jetzt dazu, Ihre Anfrage zu beantworten, nachdem der Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen das neue Grundsatzprogramm schon beschlossen hat. Sie finden es online unter folgendem Link (https://cms.gruene.de/uploads/documents/20201124_vBeschluss_GSP.pdf).

Aber natürlich möchte ich Ihnen trotzdem den Prozess erläutern.
Als Grüne sind wir bereits seit unserer Parteigründung basisdemokratisch aufgestellt. So ist es zwar formal richtig, dass unser Bundesvorstand den Entwurf zum Grundsatzprogramm eingebracht hat, welches keine explizite Forderung nach direktdemokratischen Entscheidungsprozessen wie Volksbegehen und Volksentscheiden auf Bundesebene enthält. Allerdings wurde dieser Entwurf nicht allein vom Bundesvorstand geschrieben, sondern ist in einem mehrjährigen Prozess mit Interessierten und engagierten Parteimitgliedern entstanden. Beschlossen wurde der Entwurf zudem von der Bundesdelegiertenkonferenz und nicht vom Vorstand, wobei zudem über zahlreiche Änderungsanträge abgestimmt worden ist. So auch über den Antrag, bundesweite Volksentscheide ins Grundsatzprogram aufzunehmen, der allerdings mit nur 46,4 % der Stimmen nicht die erforderliche Mehrheit erhielt. Sie sehen also, dass die Entscheidung sehr knapp war. Ich selbst gehöre zu der Gruppe derjenigen, die bundesweite Volksentscheide als Form der direkten Demokratie gern im grünen Grundsatzprogramm gesehen hätte. Denn auch auf kommunaler und Landesebene werden direktdemokratische Elemente engagiert genutzt und das freut mich sehr. Man denke nur an das Volksbegehren Artenvielfalt in Niedersachsen, welches dazu geführt hat, dass die Landesregierung nun ein Gesetz erarbeitet hat, das es sonst nicht gegeben hätte. Aber manchmal entscheidet eine Mehrheit eben auch anders als nach den eigenen Präferenzen.

Als Grüne kämpfen wir seit Jahrzehnten für die Weiterentwicklung unserer parlamentarischen Demokratie und unserer demokratischen Verfahren und Institutionen, und wir werden das auch weiterhin tun. Deshalb wurde unsere langjährige Forderung nach bundesweiten Volksentscheiden nicht ersatzlos weggelassen, sondern durch ein andere Idee ersetzt: die Bürger*innen-Räte.
Mit diesem Instrument wollen wir auch auf Bundesebene die repräsentative Demokratie bereichern und die Alltagsexpertise von Bürger*innen in den Gesetzgebungsprozess einfließen lassen. Dabei ist sicherzustellen, dass sich die Teilnehmenden frei, gleich und fair eine Meinung bilden können und ausreichend Raum für eine intensive Auseinandersetzung mit der Fragestellung ermöglicht wird.
Mit den Bürger*innen-Räten entstehen öffentliche Debatten, neue Ideen, ergebnisoffene Gespräche und gemeinschaftsorientierte Diskussionen. In einer Gesellschaft, in der zunehmend nur noch in der eigenen Filterblase gelebt und diskutiert wird, kann in den Bürger*innen-Räten wieder miteinander statt übereinander gesprochen werden. Dadurch kann ein Gegengewicht geschaffen werden, das es vielleicht auch ermöglicht, die Spaltung unserer Gesellschaft zu verhindern.

Ich möchte Sie aber auch herzlich einladen, sich noch einmal mit unseren Standpunkten zu verschiedenen politischen Themen auseinanderzusetzen. Gerade im Bundestag bzw. als energiepolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion muss ich persönlich immer wieder feststellen, wie weit entfernt die Vorstellungen und Ziele der Großen Koalition z.B. im Bereich Energie- und Wärmewende von denen der Grünen sind. Und das ist auch bei vielen anderen Themen der Fall.

Mit freundlichen Grüßen und bleiben Sie gesund
Julia Verlinden

 

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