Frage an Katharina Schulze bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Katharina Schulze
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Rolf S. •

Frage an Katharina Schulze von Rolf S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Bezugnehmend auf das Video Interview mit Ihnen bei TV-München http://www.youtube.com/watch?v=Fw2e6jznBWI#t=60 Position 01:00 Zitat: "Wir betrachten die Entwicklung in München mit großer Sorge. Das heißt "die Freiheit" die einfach auch mit falschen Behauptungen Ängste schürt und immer wieder gegen Muslime hetzt, so da sagen wir Grüne - So geht das nicht. Zitat Ende

Sehr geehrte Frau Schulze,

können Sie konkrete stichhaltige Beispiele nennen, mit welchen Aussagen die Partei "Die Freiheit" falsche Behauptungen propagiert?

Haben Sie jemals selbst den Koran und die Islamischen Hadith gelesen?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schneider,

vorab etwas Grundsätzliches: ‚Die Freiheit‘ (DF) hetzt pauschal gegen MuslimInnen. Diese Einschätzung teilt mittlerweile auch der bayerische Innenminister, der DF seit diesem Jahr vom Verfassungsschutz beobachten lässt, da die Aktivitäten der Partei darauf abzielten, „pauschale Ängste vor Muslimen zu schüren und sie aufgrund ihres Glaubens als Feinde des Rechtsstaates zu verunglimpfen. Dadurch werden die Religionsfreiheit, die Menschenwürde und der Gleichbehandlungsgrundsatz als Kernbestandteile unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung verletzt.“ (Bayerisches Staatsministerium des Innern, Pressemitteilung vom 12. April 2013).

Rechtspopulistische Parteien wie DF machen sich ganz bewusst in der Gesellschaft verankerte Vorurteile zunutze, um pauschal gegen MuslimInnen zu hetzen. Sie instrumentalisieren gesellschaftliche Fragen und soziale Problemstellungen, um etwa Menschen mit Migrationshintergrund und insbesondere MuslimInnen als Verantwortliche für bestimmte Probleme zu kennzeichnen. Eine Differenzierung zwischen dem verschwindend geringen Teil der MuslimInnen, der dem Islamismus nahe steht (laut Verfassungsschutz weniger als 1 %) und der großen Mehrheit der MuslimInnen findet in der Argumentation der Partei DF nicht statt. Im Gegenteil: Die pauschale Verunglimpfung aller MuslimInnen und die Unterstellung, sie seien Anhänger einer „politischen Ideologie“ mit „totalitärem weltlichem Machtanspruch“ (Zitat Flugblatt von Michael Stürzenberger), gehört geradezu zum Standardrepertoire der rechtspopulistischen Islamfeinde: „Es gibt daher keinen ‚friedlichen Islam‘, höchstens friedliche Moslems, die entweder ihre eigene Religion nicht richtig kennen oder sich eben verstellen.“ (Flugblatt von Michael Stürzenberger)

MuslimInnen sind jedoch sehr unterschiedlich – genau wie Christen, Atheisten, Hindus, usw. –, bezüglich ihrer Herkunft, ihrer Muttersprache, ihrer sozialen Stellung, ihrer Einstellung zu Kultur, Politik und Gesellschaft. Auch die Bedeutung, die ihre Religion für sie hat, ist sehr unterschiedlich – genauso wie beispielsweise bei christlichen Kirchenmitgliedern. Alle MuslimInnen in eine Schublade zu stecken, ist daher ebenso unsinnig, wie ein Pauschalurteil über alle Katholiken, Protestanten, Juden, Atheisten etc.
Offiziell grenzt sich DF zwar betont von rechtsextremistischen Gruppen ab und betont stets, es gehe ihr nicht um die Kritik an MigrantInnen, sondern um die „politischen Ideologie“ des Islam. Bezeichnenderweise kommt die ausländerfeindliche Intention ihres Programms jedoch immer wieder sehr deutlich zum Vorschein – beispielsweise in folgenden Textausschnitten aus DF-Publikationen:
„Jetzt bedrohen die anmaßenden Türken und Moslems aus aller Welt wieder die Europäer. Alle arbeitslosen Moslems müssen daher zurück in die Herkunftsländer und die Anforderungen für eine Einbürgerung müssen erhöht werden.“
„Die Abgesandten des von vielen inbrünstig ersehnten künftigen Groß-Osmanischen Reiches sind mitten unter uns und verhalten sich schon jetzt, als ob sie bereits die Herrschaft innehätten.“
Hier wird ganz deutlich – und unter völlig falschen Vorzeichen – gegen BürgerInnen mit türkischem Background gehetzt. Die vermeintlich differenzierte Argumentation der Partei DF fällt hier ein weiteres Mal in sich zusammen.
Dies gilt auch für ein weiteres Argumentationsmuster: Die Furcht vor der angeblich bevorstehenden „Islamisierung Europas“ (Untertitel eines Flugblatts des bayerischen Landesverbands der Partei DF). Auf der einen Seite zitiert die Partei in einem Flugblatt zur Begründung ihres Bürgerbegehrens „Kein europäisches Zentrum für den Islam in Europa (ZIE-M)“ eine Informationsbroschüre des Sozialreferats der Stadt München von 2005, wonach nur „etwa 4.500 Muslime das Freitagsgebet (0,33% der Bevölkerung!!!)“ besuchten. Auf der anderen Seite warnt die Partei in einem Flugblatt vor der „Islamisierung Europas“ und davor, dass „das Europa unserer Kinder und Enkel“ nicht mehr das Europa sein werde, „das wir kennen“. Neben dem offensichtlichen Widerspruch innerhalb der eigenen Argumentation wird hier mit der völlig unzutreffenden Behauptung gearbeitet, Deutschland und Europa stehe vor einer „Islamisierung“. Dies legt weder der Bevölkerungsanteil der MuslimInnen, der in München ca. 6 % beträgt, noch deren Intention nahe.

Eine weitere falsche Behauptung ist die, der Koran sei „kein interpretierbares Geschichtenbuch wie die Bibel, sondern ein zeitlos gültiges und nicht veränderbares Befehlsbuch.“ Die lange Tradition der Interpretation des Koran und die vielen unterschiedlichen Strömungen und Schulen innerhalb des Islam lassen diese Behauptung geradezu absurd erscheinen.
Die gesamte Argumentation der Partei DF basiert also auf falschen und verzerrenden Behauptungen, die einzig und allein dem Zweck dienen sollen, einen Teil unserer Gesellschaft ins Abseits zu stellen. Ein friedliches und demokratisches Miteinander scheint nicht im Interesse der Partei zu sein. Allein schon dem Parteinamen liegt also eine völlig falsche Behauptung zu Grunde. „Die Freiheit“ ist keine „Bürgerrechtspartei“, sondern eine Partei, die muslimische Bürgerinnen und Bürger allein wegen ihres Glaubens diskriminiert. Das Recht, seinen Glauben friedlich zu praktizieren, ist jedoch ein grundlegender Bestandteil der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes. Selbstverständlich genießen auch MuslimInnen in der Bundesrepublik eine garantierte Religionsfreiheit.
Angesichts dieser Zahlen und der Interpretationsfähigkeit des Koran, die man mit der der Bibel gleichsetzen kann, ist es irrelevant ob ich den Koran gelesen habe. Wer von uns hat die Bibel von vorn bis hinten gelesen? Aufgrund der Entstehungszeit und des damaligen weltgeschichtlichen Geschehens finden sich in beiden Schriften viele Stellen, die in unserer heutigen Gesellschaft nicht mehr tragbar sind. Fakt ist, dass 99% der MuslimInnen in Deutschland diesen Glauben ebenso behandeln wie 99% der Christen in Deutschland: Als Teil ihres Privatlebens, den sie anderen nicht aufdrücken wollen.

Lieber Herr Schneider, ich hoffe ich habe meine Position zu Genüge ausgedrückt und meine bei TV München vorgebrachten Bedenken ausführlich erläutert.

Mit herzlichen Grüßen,

Katharina Schulze

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