Frage an Katja Kipping bezüglich Finanzen

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Frage an Katja Kipping von Philipp H. bezüglich Finanzen

Seit dem Euro-Betritt 2001 hat Griechenland Kredite aufgenommen um über die Nachfrage die Wirtschaft zu stimulieren. Geholfen hat es nicht. Statt dessen sind Industrien aus Griechenland vor allem nach Asien abgewandert.
Nun demonstrierte Bernd Riexinger in Athen und forderte, man sollte weitere Ausgabenprogramme finanzieren, neue Schulden aufnehmen. Er meinte, das würde dem deutschen Steuerzahler Geld sparen. Wie das funktionieren soll verstehe ich nicht.

Wie viele Milliarden müssen noch nach Griechenland geschickt werden und ab wann/wie rechnen sich diese Hilfen für den deutschen Steuerzahler?

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Hienstorfer,

sicherlich ist Ihnen bekannt, dass die Verschuldung der Staaten in der EU einen sehr konkreten Hintergrund hat. Sie erinnern sich sicherlich, dass die Staaten teilweise die Verluste aus den Spekulationsgeschäften der Banken in der Krise 2008 übernahmen. Nur ein Beispiel: Damals ist die Staatsverschuldungsquote von Griechenland von ca. 107 % auf 163 % angestiegen.
Leider muss ich Ihnen in einem Punkt widersprechen: Bernd Riexinger hat in Athen nicht gefordert, neue Schulden für Griechenland aufzunehmen. Vielmehr hat er deutlich darauf hingewiesen, dass die griechischen Millionäre zunächst herangezogen werden müssen und die Vermögenden in Europa, die von den gigantischen Spekulationen der vergangenen Jahre profitiert haben, sich jetzt an den Kosten der Krise beteiligen müssen.
Die Ursachen dieser Krise sind komplex und lassen sich nicht einfach auf das gerne verwendete Bild reduzieren, dass die Griechen und Griechinnen über ihre Verhältnisse gelebt haben. Vielmehr würde ich die Ursachen der Finanzkrise in Europa mit drei U´s beschreiben: Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen, Ungleichgewichte bei der Vermögensverteilung und die Unterregulierung der Finanzmärkte. Das sind die drei entscheidenden Ursachen dieser Krise. Weil Länder wie Deutschland mit einer Politik des Abbaus sozialer Sicherungssysteme und von Arbeitnehmerrechten zu Beginn des Jahrtausends Löhne und Sozialleistungen gedrückt haben, konnten sich die Unternehmen dieser Länder Wettbewerbsvorteile gegenüber den europäischen Partnern verschaffen.
Gegen die drei U möchte ich vier S setzen. Erstens einen Sozialpakt für Europa, der gemeinsame Mindeststandards für Löhne, Renten, Sozialleistungen bindend für alle Mitgliedsstaaten festschreibt. Das würde die Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen und in der Vermögensverteilung schrittweise einebnen. Zweitens eine Spekulationsbremse für die Finanzmärkte, die auch den Zinswucher mit Staatsanleihen eindämmt. Dazu muss die Europäische Zentralbank die Erlaubnis bekommen, die Euro-Staaten direkt mit zinsgünstigen Krediten zu versorgen. Drittens mehr Steuergerechtigkeit für ganz Europa - und das heißt in erster Linie, dass die Steuern für Superreiche drastisch steigen müssen. Ich schlage eine Fünf-Prozent-Steuer auf Millionenvermögen und einen Spitzsteuersatz deutlich über 70 Prozent vor. Viertens müssen wir den sozialökologischen Umbau vorantreiben und dafür ein europaweites Wachstumsprogramm auflegen, das mit Investitionen in Bildung, Energiewende und Infrastruktur eine neue wirtschaftliche Dynamik freisetzt. Eine andere Diagnose, eine andere Medizin. Aber Europa braucht diesen New Deal, um einen Weg aus der drohenden wirtschaftlichen Depressionsspirale zu finden.
Bernd Riexinger berichtete mir übrigens von einem Besuch in einem Kinderkrankenhaus in Athen. Dort seien 800 Menschen entlassen worden und es fehle sogar an Verbandsmaterial. Können Sie sich das im Jahr 2012 in der Europäischen Union vorstellen? Sollten Sie sich umfassender über seine Motive seiner Reise nach Griechenland informieren wollen, möchte ich Ihnen ein Tagesgespräch des Senders Phoenix mit Bernd Riexinger unter www.youtube.com/watch?v=tk5NvUb1HdE empfehlen. Einen interessanten Blick auf die Schuldenkrise besonders in Griechenland hat auch der Kabarettist Volker Pispers in den Mitternachtsspitzen am 10.11.2012 gezeigt. Sie finden das Video bei Interesse ebenfalls im Internet.

Mit freundlichen Grüßen

Katja Kipping