Frage an Katja Kipping bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Frage von Christoph Z. •

Frage an Katja Kipping von Christoph Z. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Wie bewerten Sie, dass die Linken in Griechenland mit Rechtsradikalen koalieren?

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Zieger,

vielen Dank für Ihre Mail mit der Frage nach der Regierungskoalition in Griechenland. Ich möchte mit meiner Antwort ein wenig ausholen:

SYRIZA hat die absolute Mehrheit im griechischen Parlament knapp verpasst, es fehlten zwei Sitze. Welche Koalitionspartner standen zur Auswahl? Es war klar, dass eine Zusammenarbeit mit den früheren Regierungsparteien PASOK und Nea Dimokratia (ND) ausgeschlossen war. Der eigentlich bevorzugte Koalitionspartner, die griechischen Kommunisten (KKE), lehnten sowohl ein Regierungsbündnis als auch eine Duldung kategorisch ab. Dass die nationalsozialistische Partei Chrysi Avgi („Goldene Morgenröte“) natürlich nicht infrage kam, sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Blieben also Potami („Der Fluss“) und Anel („Unabhängige Griechen“) als mögliche Koalitionspartner. Erstere wird in den internationalen Medien und hierzulande auch von Grünen und SPD oft als links-liberale Partei dargestellt. Dabei ist an der Partei sehr viel (wirtschafts-)liberal und ganz wenig links. Eine Abkehr von der gescheiterten Kürzungspolitik und eine Neuverhandlung der Kreditvereinbarungen waren ausdrücklich nicht ihr Ziel. Im Gegenteil, im Wahlkampf wurde unter anderem für eine weitere Privatisierung des Bildungsbereichs geworben, um Investoren anzulocken.

Auch aus diesen Gründen entschied sich SYRIZA für Anel. Hinzu kam eine Besonderheit bei der Regierungsbildung in Griechenland. Nach nur drei Tagen, wäre das Recht zur Bildung einer Regierung auf die zweitstärkste Partei - die konservative ND - übergegangen. Am Ende hätte es Neuwahlen gegeben. Womöglich mit einer Stärkung der Nazi-Partei „Goldene Morgenröte“.

Anel gilt es nicht schönzureden. Für DIE LINKE käme eine Kooperation mit einer solchen Partei nicht in Frage. Die Frage ist jedoch, mit welcher Grundhaltung wir unsere Kritik vortragen. Die Vorgängerregierung - bestehend aus den Schwesterparteien von CDU/CSU und SPD, hat hingegen mit der Laos-Partei zusammengearbeitet, welche orthodox, antisemitisch und ultranationalistisch ist. Darüber hat Europa in großer Heuchelei kein Wort verloren. Der Laos-Politiker Makis Voridis war Führer einer faschistischen Jugendorganisation und wurde sogar Gesundheitsminister der Konservativen. Er hat früher antisemitische Schriften verfasst.

Die Haltung des deutschen Oberlehrers halten wir nicht für angemessen. Wir sehen unsere Aufgabe vielmehr darin, Druck auf die Bundesregierung auszuüben, damit endlich die Kürzungsauflagen aufgehoben werden, die Griechenland fast in den Ruin getrieben haben.

Anel hat sich im Februar 2012 gegründet, als Panos Kammenos (Parteichef und jetzige Verteidigungsminister) und andere Mitglieder der Konservativen nicht für das damals anstehende Rettungspaket samt weiteren Kürzungsauflagen stimmen wollten. Was oft vergessen wird, die Kritik an der Sparpolitik und die Forderung nach Aufkündigung der Vereinbarungen mit der Troika (Memoranden) hat auch eine konservative Basis in Griechenland. Wenn es in Deutschland Kürzungen dieser Dimension bei Löhnen, Renten und Beamtenpension gäbe, würden dies hierzulande sicherlich nicht nur Linke ablehnen. Hinsichtlich Anel wird in Griechenland außerdem argumentiert, dass es in der ehemaligen konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia viel radikalere Rechte mit offen rechtsextremer und antisemitischer Vergangenheit gab. Was aus deutscher Perspektive nie gegen eine Zusammenarbeit sprach. Nichtsdestotrotz - und das verhehlt SYRIZA auch nicht - gehört Anel dem rechten Parteienspektrum an. Der Gradmesser ist, ob sich das auf die Regierungsarbeit auswirkt.

Und das ist nicht der Fall: Die Verteilung der Regierungsämter hat gezeigt, dass es SYRIZA keineswegs ausschließlich um das Ende der Austeritätspolitik geht. Denn kritische Bereiche wie die Migrationspolitik und die Polizei sind SYRIZA-Ministerien unterstellt. Zum Beispiel ist die Migrationspolitik fest in den Händen von Tassia Christodoulopoulou (bekannte Flüchtlingsanwältin), die z.B. gleich nach Amtsantritt den in Griechenland geborenen Kindern von Migrantinnen die griechische Staatsbürgerschaft gewährt hat. Zudem hat Innenminister Nikos Voutsis die Entwaffnung der Polizei bei Demonstrationen beschlossen. Anel hat lediglich ein Ministerium von insgesamt zehn erhalten: Aber auch in dem vom Anel-Chef Kammenos geleiteten Verteidigungsministerium ist ein Vertreter SYRIZAS stellvertretender Minister. Sicherlich der Koalitionspartner von SYRIZA ist hochproblematisch, aber auch der einzig mögliche. Bislang - und das muss auch so bleiben - gibt es keinerlei Ansätze, dass die Regierung auf irgendeinem Politikfeld aus linker Sicht „wackelt“. Dass keine Frau als Ministerin im griechischen Kabinett sitzt, ist jedoch völlig daneben und kann auch nicht als symbolpolitischer Fehler abgetan werden.

Freundliche Grüße
Katja Kipping