Frage an Katja Kipping bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Katja Kipping
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Frage von Heiko M. •

Frage an Katja Kipping von Heiko M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Liebe Frau Kipping,

seit einiger Zeit beschäftige ich mich intensiver mit dem Thema Politik und unserem Wahlsystem im speziellen. Ich habe über unser derzeitges System nachgedacht und frage mich, warum wir zwar Vertreter unserer Interessen wählen können, nicht aber unsere Interessen selbst vertreten können?

Warum müssen wir erst eine Partei wählen die für uns entscheidet, wenn wir doch mittlerweile technisch in der Lage sind uns selbst schnell mit Informationen zu versorgen und auch selbst abzustimmen (Internet).

Wenn ich mir die Einzelnen Wahlprogramme der Parteien anschaue, dann stimmt immer nur ein Teil meiner Interessen damit überein. Wenn ich Projekte, einzelne Gesetzesänderungen etc. direkt wählen könnte, wäre ich in meinen Entscheidungen viel freier. Außerdem hätte ich dann ein besseres Gefühl, da eine Masse von Einzelnen nicht so leicht durch Lobbyisten manipuliert werden kann. Und ich müsste nicht die Partei wählen, die mir am meisten verspricht, sondern wähle direkt das Versprechen.

Unser aktuelles System war aus meiner Sicht berechtigt, weil es früher schlicht unmöglich war Bürger direkt an einer Vielzahl von Entscheidungen zu beteiligen. Volksabstimmungen können aber doch heute unter Zuhilfenahme von modernen Kommunikationsmitteln sehr viel schneller bewerkstelligt werden.

Ich frage Sie, welche Vorteile hat unsere aktuelle repräsentative Demokratie gegenüber einer von Parteien bzw. Politikern befreiten Basisdemokatie?

Ich weiß natürlich, dass Sie sich ungerne selbst abschaffen würden, aber ich schätze Ihre Arbeit und Ihre Person, sodass ich einfach auf eine ehrlich Antwort hoffe.

Was kann ich als Einzelner unternehmen um mein Interesse, dem Wechsel der repräsentativen in eine parteien- und poltikerlosen Basisdemokratie zu vertreten? Normalerweise würde man ja eine Partei wählen, dass kann ich ja nicht, weil ich genau diese ja abschaffen möchte.

Ist ein Wechsel des System überhaupt möglich? Wenn ja, was genau kann ich tun?

Vielen Dank

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Antwort von
DIE LINKE

Lieber Herr Mettelsiefen,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Ich finde Ihr grundsätzliches Anliegen sehr sympathisch, denn der Streit für die Demokratisierung aller Lebensbereiche motiviert auch mich. Ich will, dass alle Menschen ihre Lebensumstände verändern und gestalten können.

Ich glaube allerdings nicht, dass allein eine digitale Dauerabstimmung, also ein immerwährendes Plebiszit, eine wirkliche Demokratisierung darstellen würden. Das hieße, existierende soziale Ungleichheiten und Machtverhältnisse in der Gesellschaft zu unterschätzen.

Zur Demokratie gehört für mich neben der Schaffung von Zeit und der sozialen Absicherung, die politisches Engagement erst ermöglicht, auch, dass sich Menschen für ihre Interessen organisieren und damit auch Räume für Diskussion und Auseinandersetzung schaffen.

Ob eine „parteienlose Demokratie“ wie Sie es nennen, zwingend eine demokratischere Veranstaltung wäre, wage ich zu bezweifeln. Unter den aktuellen Verhältnissen erleben wir ja gerade, dass sich mächtige Lobbygruppen und Interessenverbände sehr effektiv organisieren, um Einfluss auf öffentliche Meinung und politische Entscheidungen zu nehmen. Als Parteivorsitzende von DIE LINKE arbeite ich mit vielen anderen daran, dass unsere Partei eine institutionalisierte und organisierte Gegenmacht zu diesen Interessenverbänden ist. Dafür streben wir die Zusammenarbeit mit allen emanzipatorischen Kräften in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen an.

Mir ist bewusst, dass Parteien auch problematische Eigenlogiken haben. Mir scheint es sinnvoll, diesen einen emanzipatorischen Umgang entgegenzusetzen. Ich bin aus Überzeugung in einer Partei, deswegen bin ich bei der Frage, wo man sich für eine parteienlose Demokratie engagieren sollte, befangen. Viel wichtiger, ob man sich in Gewerkschaften, Parteien, sozialen Bewegungen oder NGOs engagiert, finde ich, dass sich Menschen überhaupt politisch interessieren und engagieren.

Herzliche Grüße
Katja Kipping