Frage an Katrin Göring-Eckardt bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Katrin Göring-Eckardt
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Frage von Christian D. •

Frage an Katrin Göring-Eckardt von Christian D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Görig-Eckard,

folgende Punkte des Gesetzentwurfes zur Patientenverfügung (21.10.2008) sind auf Ihrer Homepage dargestellt.
1) Eine notarielle Beurkundung der Patientenverfügung ist nötig, die alle 5 Jahre bestätigt werden muss.
2) Die Patientenverfügung ist nur in bestimmten Fällen verbindlich (unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit, endgültiger Bewusstseinsverlust).
3) Ohne intensive ärztliche Beratung ist die Patientenverfügung unwirksam.
4) Die Patientenverfügung ist unverbindlich, wenn sie in Unkenntnis späterer medizinischer Entwicklungen abgegeben wurde, bei deren Erkenntnis der Betroffene vermutlich eine andere Entscheidung getroffen hätte.

Hierzu habe ich folgende Fragen:
zu 1) Warum muss eine Patientenverfügung notariell beurkundet und alle 5 Jahre aktualisiert werden? Dies ist ein großer Aufwand und hält viele Menschen ab. Wie kann ich mir die Notarkosten, die bei der Erstellung meiner Patientenverfügung auftreten, vom Staat erstatten lassen?
zu 2) Wieso ist meine Patientenverfügung nicht immer absolut gültig? Ich lebe in einem freien Staat und dieser hat hier meinen Willen zu respektieren. Andernfalls haben wir einen Verstoß gegen Art 1 GG (Menschenwürde).
zu 3) Wieso ist meine Patientenverfügung ohne intensive ärztliche Beratung unwirksam? Wie müsste die Beratung dokumentiert werden?
zu 4) Wieso wird hier meine Entscheidung nicht respektiert? Da Entwicklungen immer stattfinden, kann immer die Vermutung abgegeben werden, heute würde eine andere Entscheidung getroffen.

Beim Thema Patientenverfügung wird immer auch der Begriff passive Sterbehilfe verwendet. Das Abstellen von Geräten, ist keine Sterbehilfe. Hier wird der Tod (Teil des Lebens) zugelassen und nicht mit Gewalt nur der Körper (nicht der Mensch) lebend gehalten.

Wie werden Sie Ihrer Verantwortung, als Präsidentin des Evangelischen Kirchentages 2011, gerecht, dafür zu sorgen, dass mein Wille und somit meine Würde geachtet wird?

Vielen Dank

Christian Decker

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Decker,

vielen Dank für Ihre Mail. Ich möchte Ihre Fragen gern beantworten.
Wir haben in unserem Gesetzentwurf die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen von verschiedenen Bedingungen abhängig gemacht und dabei aber zwei Fälle unterschieden. Die Mehrzahl der Patientenverfügungen wird für Situationen verfasst, die den unmittelbaren Sterbeprozess betreffen oder Erkrankungen, die unumkehrbar zum Tode führen. Es wird der Wunsch geäußert, dass Leiden dann nicht unnötig verlängert wird, dass die Möglichkeiten der Intensivmedizin nicht mehr ausgeschöpft, sondern dem Sterben sein Verlauf gelassen werden soll. Für diese Fälle unheilbarer Krankheiten ist jede Patientenverfügung verbindlich, auch ohne ärztliche Beratung oder notarielle Bestätigung. Auch wenn eine ärztliche Beratung in diesen Fällen nicht vorgeschrieben ist, würde ich sie trotzdem immer empfehlen. Ich sehe darin keine Zumutung, sondern Unterstützung. Das Problem beim Thema Tod und Sterben ist nicht, dass zuviel, sondern dass zu wenig gesprochen wird oder überhaupt Beratung angeboten. Ärztin oder Arzt sind sicher gute Ansprechpartner, um für sich selbst Antworten zu finden, wie in bestimmten Situationen am Lebensende entschieden werden soll. Krankheitsbilder und -verläufe sind verschieden, ebenso die Möglichkeiten, medizinisch darauf zu reagieren. Nur in deren Kenntnis ist es möglich, informiert zu entscheiden, was gewollt oder was abgelehnt wird. Dies gilt umso mehr, wenn Entscheidungen über den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen getroffen werden sollen, wenn die Krankheit nach ärztlichem Ermessen heilbar wäre. Dies ist die andere Gruppe von Fällen. Nur für diese schreiben wir die ärztliche Beratung vor, ebenso wie die notarielle Bestätigung.

Einstellungen und Einschätzungen ändern sich, im Verlauf des Lebens mitunter erheblich. Konnte man sich als junger Mensch nicht vorstellen, Leben mit beträchtlichen Einschränkungen hinzunehmen, ändert sich das im Alter womöglich. Und auch medizinischer Behandlungsmöglichkeiten entwickeln sich weiter. Um diesen Veränderungen gerecht zu werden, soll die Verfügung alle fünf Jahre erneuert werden. Diese Pflicht gilt nur für Patientenverfügungen, in denen auch bei der Aussicht auf Heilung ein Lebensabbruch festgelegt werden soll. Die Aktualisierung ist sinnvoll, denn es handelt sich dabei um eine Entscheidung mit sehr weitreichenden Konsequenzen, bei denen es angemessen ist, dass sich der Betroffene alle 5 Jahre über die Fortschritte in der medizinischen Entwicklung informiert und - auch im Hinblick auf etwaige Veränderungen im persönlichen Leben - sich selbst prüft, ob er seine Entscheidung noch weiter aufrecht erhalten möchte.

Die Dokumentation der ärztlichen Beratung und die notarielle Bestätigung sind notwendig, damit Klarheit darüber herrscht, dass sich der Patient beraten wurde und sich daraufhin informiert entschieden hat. Beim Notar entstehen Kosten in Höhe von etwa 30 Euro. Bei Menschen mit keinem oder nur geringem Einkommen, die einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, muss der Notar die Leistung kostenlos erbringen.

Sie fordern die absolute Gültigkeit einer Patientenverfügung ein und das Respektieren des verfügten Willens. Die Schwierigkeit liegt aber darin, dass über den aktuellen Willen eines Patienten, der sich selbst nicht mehr dazu äußern kann, nie absolute Sicherheit zu erlangen ist. Ein Dritter - entweder der vom Patienten selbst Bevollmächtigte oder ein bestellter Betreuer - muss entscheiden, ob das im Voraus Verfügte auf die nun eingetretene Situation zutrifft. Und er soll prüfen, ob der Patient, wenn er die aktuelle Situation selbst bewusst erleben könnte, genau so entscheiden würde wie im Vorhinein festgelegt. Diese Einschätzung von Bevollmächtigten oder Betreuer wird umso näher am tatsächlichen Willen des Patienten sein können, je besser er ihn kannte, je aktueller die Verfügung ist und je informierter der Patient über eingetretene Krankheit war und daraufhin Festlegungen getroffen hat.

Die Situation eines jeden Menschen am Lebensende ist individuell verschieden und abhängig von vielen Faktoren. Jede rechtliche Regelung, die allgemeine Gültigkeit beanspruchen muss, ist deshalb in diesem Bereich von erheblichen Schwierigkeiten begleitet. Um dem Willen des Patienten gerecht zu werden, verstehe ich es als Aufgabe des Gesetzgebers, Instrumente gewissenhafter Prüfung zu installieren, um Fehleinschätzung, die in diesem Fall tödliche Folgen haben, zu vermindern.

Mit vielen Grüßen,
Katrin Göring-Eckardt

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