Frage an Konstantin von Notz bezüglich Kultur

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Konstantin von Notz
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Frage von Georg N. •

Frage an Konstantin von Notz von Georg N. bezüglich Kultur

Sehr geehrter Herr von Notz,

Sie schreiben: "Durch die nicht federführende Zuständigkeit des Ausschusses bei allen netzpolitischen Fragen droht der Ausschuss zu einer reinen Quasselbude ohne politische Durchschlagskraft zu werden."
Quelle: http://gruen-digital.de/2013/12/netzpolitisch-grandioser-fehlstart-aida-noch-vor-jungfernfahrt-leck-geschlagen/

Mich interessiert der Begriff "Quasselbude". Das war ja ein Kampfbegriff der Nazis gegen das als schwächlich verachtete Parlament. Gibt man "Quasselbude" bei google ein, werden Links mit der Verbindung "Weimarer Republik" angezeigt.

"In den Anfängen der deutschen Demokratie bezeichnete Kaiser Wilhelm der II. den deutschen Reichstag abfällig als "Quasselbude" - Für Professor Siekmann ist der Diskus dagegen ein wesentlicher Grundpfeiler unserer Demokratie." So heißt es z.B. in einem Artikel, in dem deutsche und argentinische Juristen und Politologen in einem Workshop zusammen arbeiten: http://www.uni-bamberg.de/kommunikation/news/artikel/der-reichs/

Hier noch ein Bericht des Spiegel über Udo Pasteurs von der NPD mit seinem Nazi-Vokabular, zu dem auch "Quasselbude" gehört: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/neonazis-npd-fraktionschef-nach-hetzrede-im-visier-der-staatsanwaltschaft-a-489966.html

N-TV hat diesen Ihren Ausdruck direkt in die Schlagzeile übernommen: "22 Ausschüsse und eine Quasselbude" ( http://www.n-tv.de/politik/22-Ausschuesse-und-eine-Quasselbude-article11950296.html )

Meine Frage: warum benutzen Sie antidemokratische Kampfbegriffe, die schon von Kaiser und Führer verwendet wurden? Sehen Sie sich in deren Tradition?

Mit freundlichen Grüßen
Georg Niedermüller

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Sehr geehrter Herr Niedermüller,

haben Sie herzlichen Dank für Ihre Hinweise zu einer demokratietheoretisch wie sprachkritisch sensiblen Problematik, zu der ich gern Stellung beziehen möchte.

Wie Sie richtig schreiben, habe ich in einem Blogpost vom 19. Dezember 2013 die Fehlkonstruktion eines bewusst schwach angelegten Bundestagsausschusses für die "Digitale Agenda" als netzpolitisch wie auch parlamentarisch kontraproduktive Symbolpolitik kritisiert.

Denn so würde eben nicht ein parlamentarischer Ort geschaffen, wo zuerst fachkundig und öffentlich - gerade auch unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger mittels neuer digitaler Beteiligungsmöglichkeiten - diskutiert und dann demokratisch legitimiert und effektiv entschieden wird. In der zur damaligen Zeit von CDU/CSU und SPD angedachten Form wäre der Ausschuss von diversen federführenden Bundestagsausschüssen und den entsprechenden Bundesministerien nur allzu oft übergangen worden. Statt einer diskursiv-parlamentarischen Innovation hätte am Ende wohl eher wieder nur Frustration über unübersichtliche Kompetenzverteilungen und handlungsunfähige Parlamentsstrukturen gestanden.

Vor diesem Hintergrund sprach ich auch davon, dass mit dieser Fehlkonstruktion leider wohl eher eine "Quasselbude" geschaffen würde. Aus meinem ausführlichen und differenzierten Beitrag ist jedoch klar herauszulesen, dass ich diese Kritik gerade im Sinne eines lebendigen Parlamentarismus äußerte, der demokratisch legitimiert und sowohl diskurs- als auch entscheidungsfähig ist. Meine Kritik an dem neuen Ausschuss wurde offenbar auch von den Vertreterinnen und Vertretern von CDU/CSU und SPD geteilt, die die Einsetzung des Ausschusses nur sehr kurze Zeit später wieder von der Tagesordnung des Bundestages nahmen.

Allerdings hat der heute in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangene Begriff in der Tat eine problematische Historie, die jedoch, wie sie ja selbst auch schreiben, auf die Kaiserzeit zurückzuführen ist und erst später u.a. auch von den Nationalsozialisten übernommen wurde, allerdings immer mit einer gänzlich anderen Intention, nämlich der Schwächung der Parlamente. Zu Recht weisen Sie auf die autoritäre und antipluralistische Tradition vom Wilhelminismus über die Gegner der Weimarer Republik bis zum Nationalsozialismus hin. Deren antidemokratischen und -parlamentarischen Ressentiments gegen Republik und Parlament habe ich mit meinem Beitrag jedoch, wenn überhaupt, implizit widersprochen.

Gleichwohl bleibt diese Wortwahl wie auch andere historisch belegte Begrifflichkeiten immer mehrdeutig. Als geschichtsbewusster Demokrat und Jurist bin ich durchaus sensibilisiert für die politisch ambivalente Bedeutung von Sprache. Denn sprachkritische Reflexionen zum Vokabular des Nationalsozialismus von Victor Klemperer, Dolf Sternberger u.a. konnten nicht nur aufzeigen, wie nationalsozialistische Propaganda (mit) Sprache manipulierte, sondern auch, wie schwierig ein kluger Umgang mit dieser vergifteten Sprache heute ist.

Kernfragen lauten: Wo reproduziert sich NS-Ideologie durch die Übernahme von NS-Neologismen, Kampfbegriffen und zynischen Euphemismen und ist entsprechend klar abzulehnen (z.B. die Diffamierung des politischen Gegners als "Abschaum")? Wo und in welchen Fällen kann hingegen durchaus argumentiert werden, dass gegen den Versuch der Nationalsozialisten, zuvor schon bestehende Wörter in ihrem Sinne umzudeuten und damit für sich zu besetzen, deren ironische Brechung oder kontextbewusste Gegendeutung hilft, wie z.B. der Sprachwissenschaftler Thorsten Eitz argumentiert ( http://www.sueddeutsche.de/kultur/nazi-worte-im-sprachgebrauch-maedel-verpflichtet-1.573966 ).

Hier ist die Grenzziehung nicht immer leicht. Umso wichtiger bleibt jedoch, die eigene Sprache gerade im politischen Kontext immer wieder zu hinterfragen. In diesem Sinne möchte ich Ihnen nochmals für Ihre aufmerksame Intervention danken.

Mit freundlichen Grüßen nach Essen

Dr. Konstantin von Notz

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