Frage an Konstantin von Notz bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Konstantin von Notz
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Malte D. •

Frage an Konstantin von Notz von Malte D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Abgeordneter,

mit Sorge musste ich gestern erfahren, dass die Vorratsdatenspeicherung (VDS), die jetzt Höchstspeicherungsfrist heißt, wieder eingeführt wird. Dadurch wird durch massenhafte Speicherung von Kommunikationsdaten unschuldiger BürgerInnen möglich. Ich mache mir ernsthaft Sorgen um den Rechtsstaat und meine Freiheit. Nun meine Fragen:

1. Wie stehen Sie zum Gesetzentwurf? Lehnen Sie eine VDS ab? Wenn nein, warum?

2. Es gibt technische Möglichkeiten, die VDS zu umgehen, z.B. durch im Ausland stehende Telefon- oder IP-Server. Werden Sie nach Inkrafttreten eines entsprechenden Gesetzes diese Umgehungen selber nutzen? Wenn nein, warum nicht?

3. Im Rahmen dieser Debatte fällt häufiger der Satz "Ich habe doch nichts zu verbergen". Was ist damit gemeint?

4. Wäre es nicht konsequent, wenn man alle Kommunikationsdaten speichert, auch DNS-Profile und Fingerabdrücke aller BürgerInnen zu speichern?

Ich bedenke mich schon mal im Voraus für die Beantwortung der Fragen.

Mit freundlichen Grüßen

Malte Dierwald

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Dierwald,

haben Sie herzlichen Dank für Ihre Frage vom 28.05.2015, die ich im Folgenden gerne beantworte.

Die Vorratsdatenspeicherung, also die anlasslose und massenhafte Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten aller Bürgerinnen und Bürgern auf Vorrat, ist seit Jahren die zentrale Frage der Bürgerrechtspolitik. Nicht ohne Grund hatte bereits das Bundesverfassungsgericht die Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht mit unserer Verfassung für nicht vereinbar erklärt und vor einem diffusen Gefühl des Beobachtetseins gewarnt, das mit der anlasslosen Massenüberwachung der gesamten Bevölkerung einhergeht. Auch wir hatten gegen das letzte - ebenfalls von einer Großen Koalition vorgelegte - Gesetz geklagt und haben seitdem immer wieder Initiativen gegen die Vorratsdatenspeicherung im Deutschen Bundestag vorgelegt.

Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Urteil deutlich heraus, dass die Streubreite der Maßnahme extrem weit sei und die Vorratsdatenspeicherung tief in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreife. Das Gericht mahnte zudem eine „Überwachungsgesamtrechnung“ an und gab den Gesetzgeber die Hausaufgabe auf, eine solche bei ähnlichen Datenspeicherungen zwingend zu berücksichtigen. Das war alles noch vor den seit nunmehr zwei Jahren andauernden Enthüllungen Edward Snowdens über eine offenbar massenhafte anlasslose Überwachung der Kommunikation ganzer Länder. Zwischenzeitlich hat der Europäische Gerichtshof, das höchste Europäische Gericht, die bisherige EU-Richtlinie, die bislang von den Befürwortern einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung für die Notwendigkeit einer Neuauflage in Deutschland stets ins Feld geführt wurde, als nicht vereinbar mit geltendem EU-Grundrecht und damit für nichtig erklärt.

Die Vorratsdatenspeicherung stellt alle Bürgerinnen und Bürger unter einen unseren europäischen Rechtsordnungen unbekannten Generalverdacht. Seit langem verweisen die Gegner der Vorratsdatenspeicherung darauf, dass durch die Speicherung sämtlicher, sehr aussagekräftiger Kommunkationsverbindungsdaten aller Menschen auf staatliche Anweisung höchst risikobehaftete Datenberge angehäuft werden. Gerade nach den jüngsten Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden steht die Rechtmäßigkeit eines solches Vorgehens der anlasslosen Massenüberwachung massiv in Frage. Die Haltung zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung ist somit der Lakmustest für den Umgang mit unseren Bürger- und Grundrechten. Die grüne Bundestagsfraktion sagt klar: Die Vorratsdatenspeicherung war falsch, ist falsch und bleibt falsch. Aus diesem Grund haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder, zuletzt im Zuge der Debatte um das IT-Sicherheitsgesetz der Bundesregierung, vehement gegen das Instrument der anlasslosen Massenüberwachung ausgesprochen.

Die Bundesregierung haben wir in den vergangenen Jahren immer und immer wieder aufgefordert, von diesem bürgerrechtsfeindlichen Vorhaben endlich Abstand zu nehmen. Das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs war zweifellos auch eine Ohrfeige für die deutsche Bundesregierung, die von diesem höchst fragwürdigem Instrument aus der Mottenkiste der Sicherheitspolitik nicht lassen will. Dass konservative und sozialdemokratische Hardliner bis heute an diesem höchst umstrittenen Instrument festhalten, ist uns unverständlich. Letztlich wird den Strafverfolgungsbehörden so ein Bärendienst erwiesen. Statt sich für eine verbesserte personelle und technische Ausstattung der Polizeiarbeit und einer zielgerichtetere Arbeit in Zeiten terroristischer Bedrohungen einzusetzen, wird den Strafverfolgungsbehörden ein Instrument an die Hand gereicht, dessen sicherheitspolitischer Nutzen - empirisch nachweisbar - hart gegen Null geht. So erhöht man keine Sicherheit, gefährdet jedoch gleichzeitig massiv Grund- und Freiheitsrechte.

In den vergangenen Monaten haben wir die Bundesregierung wiederholt aufgefordert, sich nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen eine etwaige Neuauflage einer entsprechenden Richtlinie in Brüssel einzusetzen. Bundesjustizminister Maas betonte stets, dass es mit ihm, so lange es keine neue Richtlinie gäbe, auch kein neues Gesetz auf nationaler Ebene geben werde. Was dieses Versprechen wert ist, sehen wir heute: Die von ihm Mitte April 2015 vorgelegten Leitlinien und der nun veröffentlichte Gesetzentwurf sind ein einziges Geschenk an den Koalitionspartner und seine sicherheitspolitischen Wünsche. Wenige Tage nach entsprechenden Zusagen des SPD-Vorsitzenden und Vizekanzlers Gabriel ist Heiko Maas umgekippt. Die von ihm vorgelegten, mit dem Bundesinnenministerium abgestimmten Punkte suggerieren aber nur eine verfassungskonforme Einhegung.

Der mehr als durchsichtige Versuch einer Umetikettierung der Vorratsdatenspeicherung in eine Mindest- oder Höchstspeicherfrist ist lächerlich und längst gescheitert, denn auch hier handelt es sich um nichts anderes als eine anlasslose Massenüberwachung der Telekommunikationsverkehrsdaten aller hier lebenden Menschen und damit um einen massiven Angriff auf unsere Grundrechte. Ob der nun vorgelegte Gesetzesentwurf die hohen juristischen Hürden nehmen, die sowohl Bundesverfassungsgericht als auch Europäischer Gerichtshof aufgezeigt haben, bleibt aus unserer Sicht äußerst zweifelhaft. Auch die Bundesdatenschutzbeauftragte sieht das so. So sollen beispielsweise Berufsgeheimnisträger weiterhin nicht aus der Speicherung ausgenommen werden. Auch andere gerichtliche Vorgaben, wie zum Beispiel dies des EuGH, der eine Eingrenzung auf einen bestimmten Personenkreis forderte, bleiben unberücksichtigt.

Eine vom Bundesverfassungsgericht lange vor den Snowden-Enthüllungen angemahnte Berücksichtigung anderer Massenspeicherungen in einer „Überwachungsgesamtrechnung“ ignoriert die Bundesregierung auch weiterhin geflissentlich. Sie berücksichtigt ferner nicht, dass es sich bei der Vorratsdatenspeicherung um einen rechtspolitischen Dammbruch handelt. Daher ist es auch ein Trugschluss, wenn Bundesinnenminister de Maiziere nun mutmaßt, mit dem vorgelegten Kompromiss sei ein langjähriger Streit beendet. Die Auseinandersetzung um den Rechtsstaat und den Schutz unserer Bürgerrechte in der digitalen Welt ist mitnichten vorbei, sie hat vielmehr gerade erst begonnen.

Als grüne Bundestagsfraktion positionieren wir uns klar, indem wir sagen: Wir haben bereits das letzte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall gebracht und behalten uns explizit vor, auch diesmal wieder gegen dieses zutiefst grundrechtsfeindliche Vorhaben der Großen Koalition vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Die Bundesregierung scheint leider nicht im Stande zu sein, aus ihren bisherigen Niederlagen die richtigen Leere zu ziehen und von der Vorratsdatenspeicherung endlich abzusehen. Vielmehr haben die letzten Tage noch einmal verdeutlicht: Ganz offenkundig sind Union und SPD weder fähig noch willens, aus den grundrechtlichen Realitäten die gebotenen rechtsstaatlichen Konsequenzen zu ziehen. Vielmehr wird der von Anfang an von der Großen Koalition verfolgte bürgerrechtsfeindliche Kurs konsequent fortgesetzt. Gerade nach den Enthüllungen durch Edward Snowden müssen wir die Ideologie extensiver anlassloser Datenhortung endlich hinter uns lassen und uns tatsächlich effektiven Instrumenten der Kriminalitätsbekämpfung zuwenden. In Richtung schwarz-roter Bundesregierung sagen wir daher auch weiterhin klar: Die Vorratsdatenspeicherung gehört nicht ins Gesetz, sondern ein für alle Mal auf die Müllhalde der Geschichte.

Als Grüne Bundestagsfraktion werden wir uns auch weiterhin für den Erhalt und den Ausbau unserer Bürgerrechte einsetzen. Ich freue mich, Sie an unserer Seite zu wissen!

Herzliche Grüße nach Bremen!
Ihr Konstantin von Notz

P.S. Bitte sehen Sie es mir nach, dass ich auf - zumindest in Rechtsstaaten - so abwegige Argumentationen wie die, dass derjenige, der nichts zu verbergen hat, sich auch vor der anlasslosen Speicherung seiner Kommunikationsdaten nicht fürchten müsse, nicht näher eingehe.

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