Warum folgen Sie – trotz vergleichbarer Impfquoten – in der Coronapolitik nicht den Weg Grossbritanniens und der skandinavischen Länder?
Sehr geehrte Frau Heitmann, laut einem Artikel von Jakob Stadler in der Augsburger Allgemeinen vom 18.1.22 sind 3 Millionen Ü60 nicht geimpft. Der Staat hat aus meiner Sicht seine Aufgaben so gut es geht erledigt, um Vulnerable zu schützen. Deren Entscheid akzeptiere ich, dafür müssen diese dann allerdings auch mit den Konsequenzen leben. Ist es Ihrer Meinung nach weiterhin gerechtfertigt, wenn sich die Gesellschaft weiterhin komplett einschränken muss, wie z. B. Maskenpflicht? Muss man für solche Gruppen eine ganze Gesellschaft in Geiselhaft nehmen? Dies ist in meinen Augen mit liberalen Vorstellungen nicht mehr vereinbar. Würden Sie nach dem 20.3.22 bei gleichbleibender Entwicklung von Inzidenzen, etc. die Grundrechte weiterhin einschränken? Obwohl in Ländern wie GB, S oder DK die Impfquoten mit denen von D vergleichbar sind! Wie möchten Sie Bürger von den weiteren Coronamassnahmen überzeugen? Für die Beantwortung meiner Fragen bedanke ich mich im Voraus.
MfG Paul H.
Sehr geehrter Herr H.,
vielen Dank für Ihre Zuschrift.
Die Impfquoten mögen zwar ähnlich sein, aber die Gesundheitssysteme in Großbritannien und den skandinavischen Ländern sind strukturell anders als in Deutschland. Wie anderer Stelle bereits erwähnt, liegt es mir besonders am Herzen, dass wir als Gesellschaft möglichst gut durch diese Pandemie kommen. Dabei steht es für mich im Fokus, vermeidbare Todesfälle möglichst gering zu halten und eine Überlastung unseres Gesundheitssystems zu verhindern. Gerade in Großbritannien ist es meines Wissens nach bereits zu Situationen gekommen, in denen die Gesundheitsversorgung nicht mehr für alle Bürger*innen voll gewährleistet werden konnte. Das möchte ich in Deutschland auf jeden Fall auch weiterhin verhindern.
Die pandemische Lage ist leider weiterhin sehr ernst. Höchst besorgniserregend ist die Entstehung und allmähliche Ausbreitung neuer Varianten, die teilweise noch ansteckender sind und somit immer wieder für neue Infektionswellen sorgen. Ohne eine hohe Durchimpfungsquote in der Bevölkerung werden wir nach meiner und nach Ansicht zahlreicher Experten immer wieder neue Wellen und damit auch neue Einschränkungen erleben. Um die Pandemie effektiv und nachhaltig eindämmen zu können, ist das Impfen neben Kontaktbeschränkungen wohl die wichtigste Säule im Pandemiemanagement.
Denn Maßnahmen wie immer wiederkehrende Lockdowns nicht nur mit starken Kontaktbeschränkungen und gravierenden Folgen insbesondere für Kinder einher, sondern auch mit erheblichen wirtschaftlichen Einbußen, die die Existenz von vielen Unternehmen bedrohen und viele Haushalte in finanzielle Not bringen. Gegenüber solcher Maßnahmen, die die Freiheit der gesamten Gesellschaft sehr stark betreffen, und angesichts möglicher gravierender Konsequenzen von unkontrolliertem Pandemieverlauf erscheint die flächendeckende Impfung für mich als das mildere Übel.
Hinzu kommt, dass durch das Impfen nachgewiesenermaßen die Wahrscheinlichkeit einer Long-Covid-Erkrankung deutlich gesenkt wird. Nach jüngsten Erkenntnissen senkt eine Impfung bei einer Infektion das Risiko für Long-Covid-Erkrankungen um mehr als die Hälfte. Mir ist nicht bekannt, wie die Diskussionen hierzu in Skandinavien oder Großbritannien geführt werden, aber als Gesundheitspolitikerin in Deutschland ist mir daran gelegen, die Belastungen des hiesigen Gesundheitssystems auch langfristig möglichst gering zu halten. Daher verfolgen wir auch weiterhin das Ziel, Infektionen gerade von Menschen ohne Impfschutz möglichst weiterhin zu vermeiden.
Mit freundlichen Grüßen
Linda Heitmann