Frage an Maria Flachsbarth bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Maria Flachsbarth
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Frage von Rainer H. •

Frage an Maria Flachsbarth von Rainer H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Frau Dr. Flachsbarth,

als meine Abgeordnete möchte ich Sie fragen, ob Sie den ENTWURF FÜR EINEN VERTRAG ZUR EINRICHTUNG DES EUROPÄISCHEN STABILITÄTSMECHANISMUS (ESM) kennen? Sofern nicht, Sie können ihn hier nachlesen: http://www.peter-bleser.de/upload/PDF-Listen/E-Mail-Info_Eurostabilisierung/Entwurf_Vertrag_ESM.pdf

Wenn man diesen Entwurf analysiert, sieht dies so aus, dass der ESM über das Vermögen und die Einkommen aller Euro-Länder in faktisch unbegrenzter Höhe verfügen kann (Artikel 8 Nr. 1 in Verbindung mit Artikel 10 Nr. 1) und die Staaten ohne Einspruchs- und Widerstandsrechte Zahlungsaufforderungen des ESM sofort Folge leisten müssen (Artikel 8 Nr. 4 in Verbindung mit Artikel 9 Nr. 3). Gleichzeitig ist der ESM und dessen Personal jeglicher staatlicher Kontrolle und Maßregelung entzogen und ist weder einer Legislative noch einer Judikative unterworfen (Artikel 27 und Artikel 30).

Ich halte dies für einen unglaublichen Angriff auf unsere Verfassung und auf die Demokratie in ganz Europa, vor allem in einer Zeit, in der die Verfügungsgewalt über Geld (vor allem in diesen Größenordnungen) zum zentralen Machtfaktor für Politik und Wirtschaft geworden ist. Mit diesem Entwurf wird der ESM und die ihn verwaltenden Beamten zur mächtigsten Organisation Europas, vielleicht sogar der Welt, und sie können mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht gestoppt werden. Im Gegenteil, diesen Beamten wird die Macht gegeben die Staaten "bedingungslos und unwiderruflich" (Artikel 8, Nr. 4 und Artikel 9, Nr 3) zur Aufgabe ihrer Finanzsouveränität zu zwingen. Dies alles völlig ohne demokratische Legitimiation und dem Anlass angemessene öffentliche Diskussion.

Unterstützen Sie das?

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Hübert

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CDU

Sehr geehrter Herr Hübert,

vielen Dank für Ihre Frage an mich im Internetportal abgeordnetenwatch.de, in dem Sie Kritik am vorgesehenen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) äußern und mich um Stellungnahme bitten, ob ich diesen unterstütze.

Ich versichere Ihnen, dass ich die weit verbreitete Sorge über die Entwicklung in einigen Ländern der Eurozone sehr gut nachvollziehen kann. Es ist für alle offensichtlich geworden, dass die Währungsunion in der Form, wie sie in den ersten Jahren ihrer Existenz aufgestellt war, nicht dauerhaft überleben kann. Wir arbeiten daher konsequent an einer verbesserten Stabilitätsarchitektur für Europa, zu der der ESM einen wesentlichen Beitrag leisten wird.

Der auf europäischer Ebene beschlossene und unterschriebene ESM-Vertrag setzt aus meiner Sicht ein deutliches Signal für nachhaltige Stabilität innerhalb Europas. Aufgrund der Überschuldung einzelner Euro-Länder können Situationen auftreten, in denen akut in Schwierigkeiten geratene Länder kurzfristig von ihren Partnern unterstützt werden müssen. Ein im Falle des Nichthandelns möglicherweise entstehender Flächenbrand hätte unabsehbare Folgen für ganz Europa und damit auch für die deutsche Wirtschaft und unsere öffentlichen Haushalte. Ziel aller jetzigen und zukünftigen Maßnahmen darf aber nur die kurzfristige zielgerichtete Krisenhilfe sein, ganz ausdrücklich nicht die dauerhafte Alimentierung von Staaten.

Der ESM darf daher nicht isoliert von den anderen, ebenso wichtigen Bausteinen für eine dauerhaft stabile Währungsunion betrachtet werden. Eine Währungsunion kann nur funktionieren, wenn jedes Mitgliedsland aus eigener Kraft solide wirtschaftet und wettbewerbsfähig ist. Ein fundamentaler Baustein im neuen Regelungsgefüge Europa ist neben dem ESM daher der am 30. Januar von den Staats- und Regierungschefs fast aller Mitgliedstaaten beschlossene Fiskalvertrag. Die Einführung von Schuldenbremsen nach deutschem Vorbild in allen anderen Euro-Staaten, die mit diesem Vertrag verpflichtend sein wird, ist eine entscheidende Weichenstellung für die Stabilisierung unserer Gemeinschaftswährung. Im Vertrag sind auch Maßnahmen zu einer verbesserten wirtschaftspolitischen Koordinierung sowie für mehr Konvergenz enthalten. Nicht zuletzt verbessern wir mit der Schärfung des Stabilitätspakts und der Einführung des Euro-Plus-Pakts die Rahmenbedingungen für eine stabile und wettbewerbsfähige Währungsunion noch weiter.

Um eine enge Verzahnung der Aspekte kurzfristige Krisenhilfe und mittel- bis langfristige Solidität der Empfängerländer zu gewährleisten, fußt der ESM auf dem Grundsatz, dass Solidarität nur bei entsprechender fiskalpolitischer Solidität gewährt werden kann. Leistungen des ESM dürfen daher auch nur von Staaten beansprucht werden, die die Vorgaben des Fiskal-Vertrages umsetzen – insbesondere die der nationalen Schuldenbremsen.

Es ist in keiner Weise so, dass wir mit dem ESM unsere Verpflichtung für einen verantwortungsvollen Umgang mit deutschen Steuergeldern aus der Hand geben. Der Deutsche Bundestag wird seine Haushaltsverantwortung im Zusammenhang mit dem ESM in vollem Umfang wahrnehmen. Etwas anderes würde auch das Bundesverfassungsgericht nicht zulassen. Der Deutsche Bundestag muss nicht nur den ESM-Vertrag durch ein Zustimmungsgesetz ratifizieren und den deutschen Beitrag zum Stammkapital des ESM genehmigen. Der Deutsche Bundestag oder seine Gremien werden auch danach bei allen Entscheidungen einbezogen, wenn dies die Haushaltsverantwortung erfordert. Dies gilt insbesondere für die Entscheidungen, einem in Not geratenen Euro-Mitgliedstaat eine Finanzhilfe zu gewähren. In Artikel 10 Absatz 1 ESM-Vertrag ist vorgesehen, dass das maximale Darlehensvolumen und die Angemessenheit des genehmigten Stammkapitals regelmäßig überprüft werden. Änderungen erfordern einen einstimmigen Beschluss des Gouverneursrats, in dem die Mitgliedstaaten durch ihre Finanzminister, welche die gewählten Regierungen der Eurostaaten repräsentieren, vertreten sind. Deutschland verfügt auf Grund des Einstimmigkeitserfordernisses jederzeit über ein Vetorecht; ein Beschluss gegen die Stimme Deutschlands ist also nicht möglich. Für eine Erhöhung des genehmigten Stammkapitals wäre in Deutschland eine erneute gesetzliche Regelung erforderlich. Artikel 10 Absatz 1 ESM-Vertrag sieht hierzu ausdrücklich vor, dass ein Beschluss des Gouverneursrats zur Änderung des Kapitals erst in Kraft tritt, nachdem die jeweils erforderlichen nationalen Verfahren zur Umsetzung des Beschlusses abgeschlossen sind. Dies würde in Deutschland zwangsläufig nur über eine erneute Beteiligung des Deutschen Bundestages möglich sein.

Die konkreten Beteiligungsrechte werden in einem Gesetz zur Umsetzung des ESM-Vertrags geregelt, das derzeit vorbereitet wird. Eine endgültige konkrete Entscheidung über die Zustimmung oder Ablehnung des Gesetzes ist selbstverständlich erst dann möglich, wenn es dem Parlament im Wortlaut vorliegt und die parlamentarischen Beratungen erfolgt sind; das soll im Laufe des Frühjahrs 2012 geschehen.

Doch grundsätzlich bin ich von der politischen Notwendigkeit des ESM als Teil einer verbessertet Stabilitätsarchitektur in Europa fest überzeugt und setze mich daher ausdrücklich für die Zustimmung zum ESM im Deutschen Bundestag ein.

Mit freundlichen Grüßen
Maria Flachsbarth