Frage an Martin Gerster bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Martin Gerster
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Frage von Heinz H. •

Frage an Martin Gerster von Heinz H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Gerster.

ich habe einige Fragen zum Themenkomplex Demokratie und Bürgerrechte.

Viele renommierte Bürgerrechtlicher wie z.B. Herr Dr. M. Haug oder Herr Professor von Armin sprechen sich für die Einführung von Volksentscheiden aus:

a.) Wie stehen Sie persönlich zu Plepisziten auf Bundesebene?

b.) Warum spielt die Forderung nach Plepsziten immer nur im Wahlkampf der SPD eine Rolle - aber nie, wenn die Partei an der Macht ist?

Weiterhin würde mich interessieren, wie Sie andere demokratische Prozesse bewerten:

c.) Was halten Sie von dem Vorschlag, das Wahlsystem derartig zu reformieren, dass die Listenwahl abgeschafft werden würde, um künftig zu vermeiden, dass die Parteien "verdienten Soldaten" die sicheren Plätze - quasi ohne das Volk - zuschustern können?

d.) Was halten Sie, wie es die Herren Dr. Haug und von Arnim vorgeschlagen haben und wie es vom Spiegel im Juni aufgegriffen wurde, von einer Direktwahl des Präsidenten?

Mit freundlichen Grüßen

Heinz Herrmann

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Sehr geehrter Herr Hermann,

auch für diese Frage bin ich Ihnen besonders dankbar. Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich hier die These aufgestellt, Plattformen wie abgeordnetenwatch.de würden gezielt missbraucht, um politisch und gesellschaftlich randständigen Gruppierungen breitere Öffentlichkeit und einen pseudoseriösen Anstrich zu verschaffen.

Ihre Frage könnte man hierfür als Musterbeispiel interpretieren. Indem Sie den KRR-Sektierer Dr. Haug als angeblich „renommierten Bürgerrechtler“ etikettieren und ihn in eine Reihe mit Prof. von Arnim stellen, tun Sie den entsprechenden Kreisen den Gefallen, solche Leute als vermeintlich ernst zu nehmende Stimmen im öffentlichen Diskurs darzustellen. Ich sage Ihnen klipp und klar: Haug und die KRR-Lunatiker sind und bleiben für mich inhaltlich indiskutabel. Die Gründe dafür finden Sie in meinen früheren Antworten mit KRR-Bezug und den dort angeführten Quellen, z.B.hier ( http://www.abgeordnetenwatch.de/index.php?cmd=223&q=Gerster+Haug ).

Nebenbei bemerkt ließe sich auch über Prof. von Arnim und seine oft überspitzten und zuweilen völlig einseitigen Positionen trefflich streiten, die nach meiner Wahrnehmung allzu sehr auf plakatives „Parteienbashing“ zugeschnitten sind, vermutlich um den Absatz seiner Publikationen zu fördern. Wenn in den entsprechenden Werken dann Beispiele für die Verschwendung von Steuergeldern durchdekliniert werden, kann ich mir nicht verkneifen anzumerken: Auch abgeordnetenwatch-Anfragen nach dem von mir kritisierten Strickmuster leisten hierzu einen Beitrag, indem sie die Geduld und die Recherchekapazitäten der Abgeordneten bzw. ihrer Mitarbeiter beanspruchen. So geht den Parlamentariern Zeit verloren, sich mit der Bearbeitung von Gesetzesentwürfen und ernsthaften Bürgeranliegen zu befassen.

Aber zurück zum Thema. Gerne nehme ich zu Ihren Fragen inhaltlich Stellung: Plebiszite auf Bundesebene befürwortet die SPD seit langem. Übrigens keineswegs nur im Wahlkampf, wie folgende Darstellung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages illustriert: http://www.bundestag.de/wissen/analysen/2009/volksabstimmungen.pdf.

Auch im aktuellen Regierungsprogramm meiner Partei findet sich dieser Punkt (Seite 80: http://www.spd.de/de/pdf/parteiprogramme/Regierungsprogramm2009_LF_navi.pdf ). Die Einführung dieser direktdemokratischen Instrumente erfordert aber eine Zwei-Drittel Mehrheit im Parlament, da man hierfür das Grundgesetz ändern müsste. Dies ist mit unserem derzeitigen Koalitionspartner nicht zu machen, der übrigens auch unter der rot-grünen Bundesregierung verhinderte, dass die entsprechende Mehrheit zustande kam. Ich selbst habe – obgleich ich über die Landesliste eingezogen bin – mit einer Stärkung direkt-demokratischer Elemente in der Verfassung keine Probleme.

Was die Existenz von Landeslisten angeht, möchte ich Ihnen einmal die Gegenfrage stellen: Warum sind Sie eigentlich so sicher, dass Landeslisten nur dazu dienen, „verdienten Soldaten“ etwas „zuzuschustern“? Würde ich als Listenplatzinhaber dies genau so sehen, müsste ich wohl zurücktreten, allein meines Selbstwertgefühls wegen. Mit Verlaub, allein aus der Form Ihrer Fragestellung sprechen eine profunde Fehlwahrnehmung unseres politischen Systems und eine unterschwellige Parteienverdrossenheit, die zwar populär sein mag, die ich aber für inhaltlich völlig unangemessen halte.

Ich könnte auf Landeslisten verzichten, halte sie jedoch aus folgenden Gründen für sinnvoll:

- Die Verhältniswahl hilft grundsätzlich, den Willen der Wählerschaft genauer in der Zusammensetzung der Parlamente abzubilden. An Stelle eines möglichen Personenkults sollte bei der Vergabe der Zweitstimme die Auseinandersetzung mit den programmatischen Inhalten hinter der Person stehen. Sie wählen mit Ihrer Zweitstimme eine Parteiliste, die für nichts anderes als organisatorisch gebündelte gesellschaftliche Interessen steht. Auf Listen zu verzichten, würde die Personalisierung in der poltischen Auseinandersetzung eher stärken und die inhaltliche Ebene der politischen Arbeit eher schwächen.
- Durch die Zusammenstellung der von Ihnen kritisierten Listen nach geografischen Faktoren, nach parteiinternen Strömungen sowie (z.B. im Falle der SPD) nach Geschlecht wird die Präsenz unterschiedlicher inhaltlicher Lebensläufe, Persönlichkeiten und Lebensperspektiven in den Parlamenten gesichert. Auch können Parteien durch Listen selbst dort gezielt Präsenz zeigen, wo sie im Kampf um die Direktmandate kaum Chancen haben, die Interessen der Bevölkerung im Parlament zu vertreten. Als SPD-Abgeordneter aus Deutschlands vormals „schwärzestem“ Wahlkreis weiß ich, wovon ich rede. Wenn auch Sie es also - zumindest im Prinzip – gut finden, als Wähler auch einmal einen Abgeordneten einer politischen Alternative aus ihrer Region sprechen zu können, sollten Sie das Listensystem nicht so schnell verwerfen.
- Eine Direktwahl des Präsidenten wäre sicherlich eine Option. Aber die Frage bleibt: Was verspricht man sich davon? Der oft kritisierte Wahlkampf um das Amt würde sich eher noch verschärfen, populistischen Kampagnen potentieller Amtsanwärter/innen wären Tür und Tor geöffnet und letzten Endes würden auch hier parteiähnliche Bewegungen zugunsten des einen oder anderen Kandidaten die Bündelung der Wählerinteressen an sich ziehen. Dann wäre auch aus Sicht der „Parteienkritiker“ letztlich kaum etwas gewonnen.

Ich würde mich freuen, wenn Sie meine Bereitschaft zur Kenntnis nehmen würden, auch diese Frage ernsthaft und angemessen detailliert zu beantworten. Gewisse Zweifel an Ihrem aufrichtigen Erkenntnisinteresse, die mich schon bei Ihrer ersten Frage zu diesem Themenkomplex beschlichen ( http://www.abgeordnetenwatch.de/index.php?cmd=223&q=gerster+b%C3%BCttner ) haben, bleiben leider bestehen. Ebenso besteht mein Angebot weiter, mir oder meinem Büro nähere Informationen über die von Ihnen angesprochenen Kreise zukommen zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Gerster

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