Frage an Martin Gerster bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Martin Gerster
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Frage von Florian M. •

Frage an Martin Gerster von Florian M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Gerster,

ich schreibe Ihnen, nachdem ich Ihren Beitrag "Harmlos, aber beknackt" über "Reichsanhänger" in Blick nach Rechts gelesen habe und ich mit einer dieser rechts-radikalen Gruppe Kontakt, hatte. Die Gruppe hat unter anderem auf eine empörende Art und Weise, der Ost-Politik Willy Brandts hohnspottend, so argumentiert:

Die deutschen Ostgebiete wurden niemals abgetreten! Diese Leute beziehen sich dabei auf einen Prof. Christoph Koch (TU Berlin), dem Präsidenten der deutsch-polnischen Gesellschaft. Dieser habe in "Vom Junker zum Bürger : Hellmut von Gerlach : Demokrat und Pazifist in Kaiserreich und Republik "behauptet, dass die Ostgebiete - angeblich - nachgewiesen, dass die deutschen Ostgebiete niemals abgetreten wurden. Koch vertritt diese Meinung scheibar schon länger, da ich auch dieses Interview mit ihm gefunden habe: http://www.kommunisten-online.de/Kriegstreiber/polen1.htm

Da dieses Buch staatlich finanziert wurde, möchte ich Sie gerne fragen, was Sie von der Argumentation Herrn Kochs, der ja als Professor vom deutschen Staat (!) bezahlt wird, halten und wie man dieser entgegnen kann?

Ich möchte anmerken, dass dieser Koch behauptet, dass seine Darstellung die tatsächliche und anerkannte Rechtslage darstellt.

Sehen Sie es auch so?

Ich habe auch einige Hochschulprofessoren angeschrieben, aber irgendwie drücken die sich um eine klare Antwort.

Ist es wahr, dass damit nur die falschen an die Macht kommen müssen, die dann mit einigen - auch noch völkerrechtlich-einwandfreien(!) Mitteln - das friedliche Europa auseinanderreisen und vermutlich in einen neuen Krieg stürzen können?

Ist es weiterhin wirklich wahr, dass Teile der CDU/CSU nur "darauf warten das Reich wieder handlungsfähig zu machen"?

Schätzen Sie Ihre Kollegen wirklich so ein oder handelt es sich um irgendwelche Hirngespinnste?

Wenn nicht, was kann man gegen diese Gruppe um diesen Herrn Haug und gegen Herrn Koch aktiv tun?

Mit freundlichen Grüßen

F. Meyer

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Sehr geehrter Herr Meyer,

herzlichen Dank für Ihre Frage, die ich gerne als der für das Thema zuständige wissenschaftliche Mitarbeiter Herrn Gersters beantworte. Die Beantwortung zu übernehmen bietet sich auch insofern an, da ich seinerzeit maßgeblich für die Ausarbeitung den von Ihnen aufgegriffenen Beitrags im „Blick nach rechts“ (bnr) verantwortlich war.

Grundsätzlich bitte ich Sie, die so genannte „Gruppe Haug“ nicht zu überschätzen. Es dürfte sich um eine sehr überschaubare Zahl von Personen handeln, für die größtenteils das gerne kolportierte Diktum eines Berliner Verfassungsschützers („harmlos, weil beknackt“) gelten dürfte. In ihrer Gesamtheit schätze ich die Gruppierung nur bedingt als rechtsradikal oder gar rechtsextrem ein. Denn neben den üblichen Einwürfen vom rechten Rand finden sich in den Beiträgen auch staats- und parteienverdrossene Stimmen, die sich in den Auswahlprozessen im demokratischen Parteienspektrum augenscheinlich nicht durchsetzen konnten, sowie paranoide Verschwörungstheoretiker, die sich von Geheimdiensten, "Bundesagenten" und Freimaurern verfolgt fühlen. De facto dürfte die Gruppe für staatliche Stellen völlig irrelevant sein.

In der Tat genießen die Beiträge von Herrn Koch in den entsprechenden Kreisen gerade Hochkonjunktur. Offensichtlich erhofft man sich durch Verweis auf vermeintliche wissenschaftliche „Autoritäten“, die nach wie vor abstruse These einer Nichtanerkennung der Oder-Neiße-Grenze zu untermauern, um in einem nächsten Schritt auf die von allen KRRs-postulierte Fortextistenz des Deutschen Reiches unabhängig von der BRD zu schließen.

Der Blick der betreffenden KRR-Gruppe ruht dabei insbesondere auf Kochs Vorgänger bei der „Deutsch-polnischen Gesellschaft“, den auf der politischen Linken verorteten Gießener Verfassungsrechtler Helmut Ridder, den man in dieser Frage vermutlich für reputabler hält, da er im Gegensatz zu Koch ein anerkannter Jurist und definitiv nicht dem rechten Spektrum zuzuordnen war. Dass sich aber weder Koch noch Ridder in dieser Frage wissenschaftlich oder gar öffentlich durchsetzen konnten wird dabei großzügig ausgeblendet.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland schützt die Freiheit der Wissenschaft. Ein im Sinne des Fortschritts sinnvolles Privileg. Die Formulierung und Diskussion streitbarer Thesen gehört zum wissenschaftlichen Prozess. Doch nicht aus jeder Mindermeinung erwachsen Folgen für die anerkannte Rechtslage. Wenn die von Ihnen kontaktierten Wissenschaftler da Interpretationsspielräume sehen, bitte ich Sie, mir genau sagen, von wem Sie sprechen und mir die entsprechenden Statements zugänglich zu machen.

Was Ihre Befürchtungen bezüglich des Friedens in Europa angeht: Weder Herr Gerster noch ich haben - bei aller Kritik an den Parteien der gegenwärtigen Bundesregierung - gegenwärtig die Sorge, dass entsprechende Thesen in der CDU/CSU auf ernsthaften Zuspruch stoßen. Auch sehe ich nicht, dass es zwischen Deutschland und Polen offene Grenzfragen gibt und wüsste nicht, wer ernsthaft auf die Idee kommen sollte, die erreichten Klärungen in Frage zu stellen.

Dennoch ist es natürlich wichtig, geschichtsrevisionistischem Unsinn zu widersprechen und Verschwörungstheorien - wenigstens für ihre argumentativ noch erreichbare Anhängerschaft - zu entkräften. Deshalb mein Rat: Machen Sie die Auskünfte der von Ihnen angeschriebenen Hochschulprofessoren - deren ausdrückliches Einverständnis vorausgesetzt - der Öffentlichkeit zugänglich und bitten Sie weitere qualifizierte Fachwissenschaftler um eine öffentliche Kommentierung der entsprechenden Passagen von Herrn Koch. Ich gehe davon aus, dass das entsprechende Feedback sehr schnell dazu führen wird, dass solche Positionen im wissenschaftlichen Diskurs zu den Akten gelegt werden können.

Um der politischen Öffentlichkeit jedoch eine differenziertere Einschätzung der aktuellen Situation in Sachen „Kommissarische Reichsregierungen“ zu ermöglichen, werden wir im Deutschen Bundestag eine Kleine Anfrage an die Deutsche Bundesregierung initiieren, die in Ihrer Antwort hoffentlich ein detailliertes Lagebild aus offizieller Sicht liefern wird.

Mit freundlichen Grüßen

Alexander Geisler

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