Frage an Martin Gerster

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Martin Gerster
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Frage von Wolfgang N. •

Frage an Martin Gerster von Wolfgang N.

Sehr geehrter Herr Gerster,

den Medien habe ich entnommen, dass Sie im Bundestag einer deutschen Kriegsbeteiligung in Syrien zugestimmt haben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie kurz erläutern könnten, was Sie persönlich zu dieser Zustimmung bewogen hat und was Sie sich von diesem deutschen Kriegseinsatz versprechen.

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Nippe

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Sehr geehrter Herr Nippe,

vielen Dank für Ihre Anfrage bei abgeordnetenwatch.de vom 12. Dezember 2015. Gerne nehme ich zu ihrer Frage Stellung.

Mit großer Sorge blicke ich auf die Lage in Syrien. Seit Beginn der friedlichen Proteste syrischer Oppositionsgruppen im Zusammenhang mit dem Arabischen Frühling Anfang 2011 hat das Assad-Regime auf eine militärische Eskalation gesetzt. Fast 300.000 Tote und zwölf Millionen Flüchtlinge: Das ist die traurige Bilanz des seit fast fünf Jahren andauernden Bürgerkriegs in Syrien.

Syrien als Staat hat in seiner ursprünglichen Form aufgehört zu existieren. Weite Teile des Landes befinden sich unter Kontrolle des sogenannten „Islamischen Staates“, der in seinem Herrschaftsgebiet ein Terrorregime etabliert hat und von dort aus Anschläge in der Region und darüber hinaus organisiert. Die jüngsten Attentate von Ankara, Beirut, Tunis, auf dem Sinai und in Paris ziehen eine Blutspur vom Nahen und Mittleren Osten bis nach Europa.

Am 30. Oktober und 14. November 2015 kam es in Wien erstmals zu einer Zusammenkunft aller regionalen Akteure unter Einschluss des Iran, Saudi-Arabiens, aber auch Russlands und der USA. Dass es gelungen ist, die genannten Länder an einen Tisch zu holen, ist auch ein Erfolg der deutschen und europäischen Diplomatie. Hier wurden die Weichen für einen Fahrplan gestellt, den Syrienkonflikt politisch zu lösen und dem Morden endlich Einhalt zu gebieten. Noch in diesem Monat soll eine dritte Folgekonferenz in New York stattfinden mit dem Ziel, ab Januar einen Waffenstillstand in Syrien zu erwirken. Mit dem Wiener-Prozess hat sich eine Chance für eine politische Regelung des Syrienkrieges eröffnet, die die Bundesregierung zusammen mit ihren Partnern nutzen will und muss.
Die Anschläge vom 13. November 2015 in Paris galten nicht nur Frankreich, sondern uns allen. Sie richteten sich gegen unsere Werte und unsere Art zu leben. Deshalb ist jetzt auch die Solidarität aller Europäer gefordert. Frankreichs Präsident Hollande hat Deutschland gebeten, sich auch mit militärischen Mitteln der internationalen Allianz von insgesamt 64 Staaten in ihrem Kampf gegen den IS anzuschließen.

Der Deutsche Bundestag hat am 4. Dezember 2015 nach ausführlicher Debatte mit großer Mehrheit dem Antrag der Bundesregierung zugestimmt, militärische Fähigkeiten im Kampf gegen den IS bereitzustellen. Dazu gehören sowohl Aufklärungs- und Luftbetankungsflugzeuge sowie eine Fregatte zum Schutz eines französischen Flugzeugträgers. Das Ziel dieses Mandates ist klar umrissen: Es geht darum, den IS zu bekämpfen, seine Rückzugsräume zu zerstören und zu verhindern, dass er weiterhin in vielen Ländern Angst und Schrecken verbreitet.
Dieser Einsatz ist völkerrechtlich legitimiert. Deutschland unterstützt Frankreich, den Irak und andere Länder im Kampf gegen den IS auf Grundlage des Rechts der kollektiven Selbstverteidigung, wie es in Artikel 51 der VN-Charta zum Ausdruck gebracht wird.

In mittlerweile drei Resolutionen hat der VN-Sicherheitsrat festgestellt, dass der IS weltweit eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit ist - zuletzt in der Resolution 2249 vom 20. November 2015. Darin hat der Sicherheitsrat nach den Anschlägen von Paris die Staatengemeinschaft aufgerufen, alle notwendigen Maßnahmen gegen diese Bedrohung zu ergreifen. Ebenfalls nach den Anschlägen von Paris hat sich Frankreich als erster Mitgliedstaat der EU auf die Beistandsklausel in Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages berufen.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich nach intensiven Diskussionen entschieden, das Mandat der Bundesregierung zu unterstützen. Niemand hat sich hierbei eine Entscheidung leicht gemacht. Trotz meiner großen Skepsis gegenüber einem militärischen Engagement gegen die Terrorgruppe ISIS habe ich mich persönlich nach einem schwierigen Abwägungsprozess entschieden, dem Mandat der Bundesregierung zuzustimmen.

Diese Zustimmung fällt mir nicht leicht. Ich weiß jedoch, dass die Bundesregierung ihr Engagement nicht auf das Militärische konzentriert, sondern das militärische Engagement im und über dem Operationsgebiet der Terrororganisation ISIS nur als ein Teil ihres gesamten Engagements in der Region betrachtet.

Ich unterstütze die Bundesregierung ausdrücklich darin, ihre Aktivitäten gegen den internationalen Terrorismus im Allgemeinen und gegen ISIS im Besonderen zu verstärken. Hierzu gehören vor allem die bereits in der UN-Sicherheitsratsresolution 2170 vom 15. August 2014 unter Kapitel VII der UN-Charta beschlossenen Maßnahmen gegen ISIS, Al Qaida und mit ihnen verbündeten Terrorgruppen. Insbesondere die Anwerbung und Ausreise von ausländischen terroristischen Kämpfern nach Syrien muss unterbunden werden. Ebenso müssen die in der Resolution aufgeführten Maßnahmen zur Unterbindung der Finanzierung des Terrorismus konsequent und von allen Staaten angewendet werden. Der illegale Verkauf von Öl und anderen Ressourcen sowie der ungehinderte Finanzzufluss an ISIS – oftmals durch staatliche Institutionen geduldet oder gar organisiert – muss mit allen Mitteln unterbunden werden. Darüber hinaus ist es unabdingbar, dass ISIS-Kämpfern der unkontrollierte Zugang zu anderen Staaten in der Region verwehrt wird. Hier kommt der Türkei eine maßgebliche Rolle zu.

Ich bin fest davon überzeugt, dass es für den Syrienkonflikt letztlich nur eine politische Lösung geben kann. Der politische Prozess steht für uns weiterhin im Vordergrund. Das militärische Handeln wird in diesen politischen Prozess eingebettet sein und bleiben. Hierfür setzt sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit ganzer Kraft ein. Mit Hilfe der Vereinten Nationen und ihrem Sonderbeauftragten Staffan de Mistura soll eine politische Lösung erarbeitet werden.

Wir dürfen nicht zulassen, dass sich der IS-Terror zu einem „Kampf der Kulturen“ entwickelt. Nach wie vor sind die meisten Opfer des IS Muslime. Die Anschläge von Paris dürfen nicht dazu instrumentalisiert werden, gegen Flüchtlinge zu hetzen und Muslime auszugrenzen. Im Gegenteil: Unsere Anstrengungen zur Integration insbesondere junger Muslime müssen gesteigert werden, um Parallelgesellschaften und Ghettobildung zu verhindern. Ebenso müssen ausländische Kämpfer daran gehindert werden, in die Kriegsgebiete ein- und auszureisen. Es ist Aufgabe des Rechtsstaates, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen vorzugehen.

Nur durch diesen gesamtpolitischen Ansatz wird es möglich sein, das terroristische Treiben des IS einzudämmen und damit künftig Terroranschläge zu verhindern oder zumindest zu erschweren.
In Anbetracht der über sechs Millionen Binnenflüchtlinge und über vier Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern und in Europa müssen wir weiterhin humanitäre Hilfe und die sogenannte Übergangshilfe leisten. Seit 2012 hat Deutschland über 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Durch die Initiative von Bundesminister Frank-Walter-Steinmeier ist es gelungen, dass auch weitere Staaten ihre Ausgaben für die Flüchtlingshilfe in der Region er-höht haben. Im Haushalt 2016 haben wir den Ansatz für Humanitäre Hilfe und die zivile Krisenprävention um über 400 Millionen Euro aufgestockt.

Um meine Position zu untermauern, habe ich im Zuge der Abstimmung eine Erklärung nach §31 GO des Deutschen Bundestages abgegeben.

Schlussendlich werden wir unser Engagement für die Flüchtlinge und Hilfsbedürftigen in der Region in Abstimmung mit unseren internationalen Partnern und den Partnerorganisationen vor Ort fortzusetzen und - wo möglich und nötig - verstärken.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Gerster

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