Frage an Martin Gerster bezüglich Soziale Sicherung

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Martin Gerster
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Frage von Jörg D. •

Frage an Martin Gerster von Jörg D. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Gerster,

heute steht in den Online-Nachrichten, daß die Diäten um knapp 10% erhöht werden. Das sind ca. 700 Euro und mehr, als ein Hartz-IV-Empfänger bekommt. Darf ich Sie fragen, wie Sie diesen Sachverhalt sehen? Können Sie mir die Gerechtigkeitsauffassung der einzelnen Minister mitteilen?

Ich beschäftige mich seit mehreren Jahren mit solchen Themen. Vielleicht haben Sie Interesse, sich mit meinen Vorschlägen vertraut zu machen: http://www.iovialis.org/download

Um eine Antwort wird gebeten,

mit freundlichen Grüßen aus Kiew (derzeitiger Aufenthaltsort),

Jörg Drescher

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Sehr geehrter Herr Drescher,

vielen Dank für Ihre Frage vom 5. November und den Hinweis auf Ihre staatsphilosophischen Essays. Bevor ich Ihre eigentliche Frage beantworte, möchte ich zunächst ein mögliches Missverständnis ausräumen, das ihrem Schreiben zugrunde zu liegen scheint. So sind es nicht die Minister des Kabinetts, sondern die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, deren Diäten erhöht werden sollen.

Die Vielzahl der in diesem Gremium vertretenen philosophischen Gerechtigkeitskonzeptionen zu diskutieren, wäre hier wohl fehl am Platze. Die beiden Extreme dürften allerdings auch hier die Vorstellung von Gerechtigkeit als Maximum an Gleichheit (Sozialismus) oder die Idee von Gerechtigkeit als konsequente Verwirklichung des Leistungsprinzips (Liberalismus) bilden.

Aber zurück zu den Diäten: Konkret geht es um einen Aufschlag von zunächst 4,7 Prozent in 2008 und von 4,48 Prozent in 2009. Somit würden die Diäten von derzeit 7009 Euro auf zunächst 7339 Euro in 2008 und schließlich 2009 auf 7668 Euro steigen. In der Diskussion wird dabei übrigens gerne übersehen, dass in den vergangenen vier Jahren auf eine Erhöhung der Diäten verzichtet wurde. Auch soll mit den steigenden Bezügen eine leichte Kürzung bei der Altersversorgung einhergehen. Pro Jahr Mitgliedschaft im Bundestag sollen die Abgeordneten in Zukunft nur noch 2,5 statt drei Prozent der Abgeordnetendiät als Ruhegehalt erhalten.

Um darüber hinaus die bei jeder Erhöhung wiederkehrenden Diskussionen um eine vermeintlich „Selbstbereicherung“ einen Riegel vorzuschieben, soll es zukünftig eine automatische Anpassung der Diäten an die Gehälter der Bundesrichter (Gehaltsstufe R6) bzw. der Bürgermeister von Gemeinden mit 50.000 bis. 100.000 Einwohnern (Gehaltsstufe B6) geben. Diese dienen seit 1977 als Orientierungsrahmen für die Höhe der Diäten, wurden aber bislang nicht erreicht.

Die Einrichtung eines solchen Mechanismus halte ich für einen wichtigen und sinnvollen Schritt. Ich warne allerdings davor, Sozialneiddebatten – wie sie gegenwärtig von einigen großen Boulevardzeitschriften betrieben werden – auf dem Rücken der Abgeordneten auszutragen. Sicherlich ist niemand außer den Parlamentariern in der komfortablen Lage, das eigene Gehalt per Beschluss festzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch vorgegeben, dass der Deutsche Bundestag SELBST über jede Erhöhung der Entschädigung unter den Augen der Öffentlichkeit entscheiden MUSS. Eine der souveränen Volksvertretung übergeordnete (scheinbar) neutrale Instanz, z.B. eine Expertenkommission, wäre nicht mit dem Geist des Grundgesetzes vereinbar. Das Gleiche gilt für eine – ohne öffentlichen Beschluss des Bundestages erfolgende – automatische Kopplung an die Lohnentwicklung

Auch die Höhe der Diäten wird oft kritisiert. Ich halte sie nicht für überzogen. So habe ich als Redakteur im Rahmen einer 40 Stunden-Woche ca. 3000 Euro brutto verdient, als Abgeordneter beläuft sich mein Bruttogehalt auf die erwähnten 7009 Euro brutto bei nicht selten mehr als 80 Stunden Wochenarbeitszeit. Auch die steuerfreie Pauschale von derzeit 3.720 Euro wird durch die mandatsbedingten Kosten für mein angemietetes Wahlkreisbüro, Fahrten mit dem PKW im Wahlkreis und die zusätzliche Wohnung in Berlin rasch aufgezehrt, zumal ich keine Werbungskosten steuerlich geltend machen kann.

Natürlich verdient ein Abgeordneter gutes Geld, aber im Vergleich zu ähnlichen Positionen in der freien Wirtschaft nimmt sich das Salär eines Parlamentariers im Deutschen Bundestag eher bescheiden aus. Als Abgeordneter gilt es immerhin, die Interessen von mehr als 200.000 Bundesbürgern zu vertreten und den berechtigterweise hohen Ansprüchen der Bevölkerung gerecht zu werden. Wer also qualifizierte und von anderen Quellen unabhängige Abgeordnete will, sollte mit einem Vorschlag aufwarten können, wie hoch das Einkommen konkret sein sollte und bedenken, welche Konsequenzen damit einhergehen würden.

Im Übrigen habe ich Ihre philosophischen Ideen mit Interesse zur Kenntnis genommen, vieles davon kommt mir bekannt vor, etwa aus den Diskussionen um Anthony Giddens „3. Weg“, John Rawls "Theorie der Gerechtigkeit" oder der so genannten Kommunitarismusdebatte. All diese haben den gerade in der Sozialdemokratie intensiv geführten Diskurs um Gerechtigkeitsideale stark beeinflusst. Für einen in praktischer Verantwortung stehenden Politiker können solche Theoriegebilde aber immer nur eine moralische Richtschnur bieten, die es im parlamentarischen Prozess in konkrete Formen zu gießen gilt. In dieser Hinsicht erscheint mir Ihr „joviales“ Projekt allerdings recht unpraktikabel – gerade im Hinblick auf das geforderte Grundeinkommen, zu dem ich an anderer Stelle bereits geäußert habe.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Gerster

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