Frage an Martin Gerster bezüglich Finanzen

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Martin Gerster
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Frage von Günter L. •

Frage an Martin Gerster von Günter L. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Gerster

Meine Frage an einen Experten: warum tut die Politik nichts gegen die derzeitige Kapitalvernichtung, die gerade in Form der stetig Monat für Monat steigende Inflation, stattfindet? Hat man kein Rezept dagegen, oder nutzt man freudig die Mehreinnahmen? Preissteigerungen bringen nur dem Staat Gewinn. Schaden vom Bürger abzuwenden wie geschworen ist anscheinend nicht die vom Wähler vorrangige erwartete Aufgabe. Fehlt der Politik noch der nötige Druck?
Den könnte man auch organisieren. Bisher tut der Staat alles um aus der derzeitigen Inflation fleißig Kapital zu schlagen. Man merkt es daran dass nichts getan wird, um die Lebenshaltungskosten wenigstens stabil zu halten. Übrigens haben die Politiker nie den Auftrag vom Wähler gehabt dermaßen Staatsschulden anzuhäufen das man diese, in diesem Leben nicht mehr bezahlen kann. Möchte man nicht per Grundgesetz dies endlich begrenzen? Ein einfaches ja oder nein wäre zu mindest eine Aussage über die Ernsthaftigkeit die die Politik selbst sieht!

Mit freundlichem Gruß

Günter Lindner Kressbronn

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Sehr geehrter Herr Lindner,

haben Sie für Ihre Frage zur Inflationsbekämpfung vielen Dank. Tatsächlich wirkt sich Teuerung in vielfältiger Hinsicht aus - auch auf die Staatsfinanzen. Gegenwärtig wird vor allem das Phänomen der so genannten „kalten Progression" intensiv diskutiert.

Gemeint ist damit die inflationsbedingte Steuermehrbelastung, die aus dem Zusammenwirken der Einkommensteuerprogression und rein nominalen Einkommenszuwächsen in Höhe des Verbraucherpreisanstiegs resultiert. Inflationsbedingte nominale Einkommenserhöhungen bedeuten für sich genommen lediglich, dass das Realeinkommen konstant bleibt. Infolge der Progression des Steuertarifs, der die tarifliche Einkommensteuer nach dem nominalen zu versteuernden Einkommen bemisst, ergibt sich auch bei unverändertem Realeinkommen ein Anstieg des Durchschnittsteuersatzes, wodurch das real (inflationsbereinigt) verfügbare Einkommen vermindert wird. Von der „kalten Progression" zu unterscheiden ist die Progressionswirkung des Steuertarifs, die sich bei real steigendem Einkommen ergibt. Hier entspricht eine steigende Belastung dem Prinzip der Belastung nach der Leistungsfähigkeit und ist durchaus gewollt. Häufig wird eine automatische Inflationsindexierung des Einkommensteuertarifs in Form eines sog. „Tarifs auf Rädern" gefordert. Dies würde aber die politischen Handlungsmöglichkeiten erheblich einschränken. Eine Anpassung des Einkommensteuertarifs an die wirtschaftliche Entwicklung kann auch ohne automatische Regelungen im Rahmen eines steuerlichen Gesamtkonzepts, das auch andere Steuerarten einbezieht, vorgenommen werden. Insbesondere die Einkommensteuerbelastung ist in den letzten Jahren deutlich zurück gegangen: Die im Rahmen der Steuerreform 2000 durchgeführten erheblichen Tarifsenkungen haben zu einer spürbaren Entlastung geführt und damit „heimliche" Steuererhöhungen mehr als kompensiert, da gerade in dieser Zeit sowohl die Inflation als auch die Gehaltsanpassungen sehr moderat waren.

Im Rahmen der Steuerreform wurden sowohl der Spitzen- als auch der Eingangssteuersatz deutlich gesenkt, sie liegen aktuell auf einem historisch niedrigen Niveau. Der Eingangssteuersatz wurde von 25,9 % auf 15 %, der Spitzensteuersatz von 53 % auf 42 % gesenkt. Das Entlastungsvolumen betrug 58,5 Mrd. Euro, von dem ein Großteil den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugute kam. Diese Maßnahmen haben in ihrer Gesamtheit dazu geführt, dass aktuell nur rund 50 % der Haushalte in Deutschland überhaupt Einkommensteuer zahlen. Im Ergebnis ist z. B. die Belastung einer durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmerfamilie mit zwei Kindern mit direkten Steuern zwischen 1998 und 2007 drastisch gesunken. 1998 hat diese Familie bei einem Jahresarbeitslohn von 24.704 Euro Lohnsteuer in Höhe von 1.606 Euro gezahlt. Im Jahr 2008 waren es bei einem Arbeitslohn von 27.811 Euro nur noch 1.006 Euro. Schon heute zahlt eine Familie mit zwei Kindern bis zu 37.610 Euro Einkommen unter Berücksichtigung des Kindergeldes im Ergebnis keine Einkommensteuer.

Bei einer Gesamtbetrachtung ist zudem festzustellen, dass sich die Steuerquote (also das Verhältnis der gezahlten Steuern zum Bruttoinlandsprodukt) schon seit längerem auf einem sehr niedrigen Niveau bewegt (nach der Abgrenzung der Finanzstatistik lag sie im Jahr 2005 mit 20,1 % um 4,2 %-Punkte unter dem Niveau von 1980 und damit auch im internationalen Vergleich sehr niedrig). Damit hat Deutschland aktuell eine der niedrigsten Steuerquoten unter den Industrienationen. Eine noch geringere Steuerquote ist kein Wert an sich. Es besteht die Gefahr, dass der Staat bei einer weiteren Rückführung der Steuereinnahmen seine Aufgaben für die Menschen nicht mehr angemessen erfüllen kann. Und diese kommen allen Bürgerinnen und Bürgern zu Gute: Ausgaben für Erziehung und Bildung, für Universitäten und Forschung und Entwicklung sind Investitionen in unsere Zukunft, soziale Transfers dienen der sozialen Absicherung in unserer Gesellschaft, und auch die Infrastruktur in unserem Land muss zu großen Teilen aus öffentlichen Haushalten finanziert werden, z. B. Verkehrsinvestitionen oder auch der öffentliche Dienst.

Die Preise für Energie steigen. Das ist ein ernstzunehmendes Problem. Seit einigen Wochen wird kontrovers diskutiert, wie der Staat finanzpolitisch reagieren könnte: Profitiert der Staat über höhere Steuereinnahmen nicht zu stark von den hohen Energiepreisen? Bei einer genauen Betrachtung zeigt sich: Im Gegenteil, der Staat profitiert gerade nicht von steigenden Preisen. Beim Eurosuper ist der Staatsanteil im Vergleich zum Jahresdurchschnitt 2007 von 64,4 % auf 59,6 % - bei einem Preis von 1,50 Euro pro Liter - zurückgegangen. Bei Diesel ist er von 56,2 % auf 48,4 % bei einem Preis von 1,45 Euro pro Liter gesunken. Der Grund hierfür ist, dass Preisanstiege den Verbrauch von Energie dämpfen. Der geringere Verbrauch führte in der jüngsten Vergangenheit damit also zu Steuermindereinnahmen. Denn Strom- und Energiesteuer bemessen sich nicht am jeweiligen Preis, sondern an der verbrauchten Menge. Höhere Energiepreise bewirken auch grundsätzlich keine Erhöhung der Einnahmen aus der Mehrwertsteuer. Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Private Haushalte gleichen höhere Ausgaben für Energie dadurch aus, dass sie weniger Geld für andere Güter ausgeben. Bei konstantem verfügbaren Einkommen und konstanter Sparquote heißt das, dass die Einnahmen aus der Umsatzsteuer unverändert bleiben. Von einem „Ausnutzen" der aktuellen Situation durch den Staat kann daher keine Rede sein. Der Staat erzielt keine Überschüsse. Im Gegenteil wurden in der Vergangenheit regelmäßig mehr Leistungen bereitgestellt (also Ausgaben durch die öffentliche Hand getätigt), als von Bürgerinnen und Bürgern über Steuern und Sozialabgaben finanziert wurden. Diese Lücke musste in der Vergangenheit jeweils durch Neuverschuldung geschlossen werden.
Im Jahr 2007 konnte allerdings erstmals seit der deutschen Wiedervereinigung ein gesamtstaatlich (also für Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen) ausgeglichener Haushalt erreicht werden, und auch der Bund hatte mit 14,3 Mrd. Euro den niedrigsten Stand der Nettokreditaufnahme seit der Wiedervereinigung. Der Haushaltsentwurf 2009 und der Finanzplan bis 2012 zeigen, dass der Bund die Neuverschuldung ab 2011 erstmals seit 1969 wieder auf Null drücken kann. Wesentliche Konsolidierungserfolge wurden dabei vor allem auf der Ausgabenseite erzielt. Seit 2005 sank die Staatsausgabenquote - also das Verhältnis aller Staatsausgaben zum BIP -von 46,9 % auf 43,8 % in 2007. Für 2008 prognostiziert die Europäische Kommission einen weiteren Rückgang auf 43,3 %. Die Staatseinnahmenquote hat sich dabei - trotz der Anhebung der Umsatzsteuer - nur wenig geändert: von 43,5 % in 2005 auf 43,9 % in 2007.

Zum Gesamtbild gehört aber auch, dass über 1,5 Billionen Euro Schulden des Gesamtstaates angehäuft wurden, und allein der Bund zahlt pro Jahr 42 Mrd. Euro Zinsen. Dieses Geld fehlt dem Staat für Zukunftsinvestitionen, für Bildung und Forschungsförderung, aber auch z. B. für eine Entlastung von Sozialabgaben. Dies zeigt deutlich, dass wir effektivere Regeln zur Begrenzung der Staatsverschuldung brauchen. Ein wichtiges Ziel der anstehenden Föderalismusreform II ist daher die Etablierung einer Schuldenbremse.

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort deutlich gemacht zu haben, dass der Vorwurf, der Staat würde sich an der Inflation „bereichern“ so nicht zutreffend ist. Auch ist es mir wichtig zu unterstreichen, dass unsere finanziellen Spielräume gerade deshalb begrenzt sind, weil wir mit dem Schuldenabbau ernst machen. Nur wenn wir uns die notwendigen finanziellen Handlungskorridore freihalten, können wir durch weitere Entlastungsmaßnahmen mehr Wohlstand in der Breite der Bevölkerung schaffen und somit u.a. steigende Lebenshaltungskosten kompensieren. Durch staatliche Eingriffe die weltmarkbedingte Preisentwicklung, z.B. im Bereich der Energiekosten, einzudämmen, scheint mir langfristig weder möglich noch wünschenswert – aus wettbewerbsrechtlichen, finanziellen und ökologischen Gründen.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Gerster

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