Frage an Martin Rosemann bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Martin Rosemann
SPD
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Frage von Nicola Marcus K. •

Frage an Martin Rosemann von Nicola Marcus K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Rosemann,

Heute gilt mein Interesse TISA. Wie stehen Sie zu TISA? Inwieweit wird TISA Ihres Wissens nach in unsere gewachsenen Strukturen eingreifen? Was wird sich ändern? Werden Einschnitte in Arbeitnehmerrechte, bei den regionalen Dienstleistungen, im Gesundheitswesen und auch bei den Gewerkschaften befürchten müssen?

Warum wird dieses Abkommen wieder hinter verschlossenen Türen verhandelt? Warum darf die Öffentlichkeit darüber nicht informiert werden? Warum ist hier die Dienstleistungsindustrie eingebunden, aber keine Bürgerrechtler? Inwieweit werden Sie sich dafür einsetzen, dass TISA nicht zu einer Verschlechterung der Umstände führt.

Hier noch ein Link zu einer Sendung des bayrischen Rundfunks: https://www.youtube.com/watch?v=ZXYx3339F08&app=desktop

Im Voraus bedanke ich mich für Ihre Antwort.

mfg

N. Knapp

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SPD

Sehr geehrter Herr Knapp,

vielen Dank für Ihre Anfrage zu TISA. Hintergrund von TISA sind die Vereinbarungen, die in der Welthandelsorganisation WTO im Jahr 1995 getroffen worden sind. In diesem Jahr einigten sich die WTO-Mitgliedstaaten – das sind inzwischen mehr als 160 Staaten – auch auf ein allgemeines Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen. Es ist unter dem Namen GATS (= General Agreement on Trade in Services) bekannt. In diesem Abkommen haben sich die WTO-Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, zu bestimmten Marktöffnungen in einzelnen Dienstleistungssektoren verpflichtet. Die sensiblen Bereiche wurden keiner Verpflichtung unterworfen und sind durch spezielle Klauseln besonders geschützt.

Dieses Abkommen ist inzwischen fast 20 Jahre in Kraft. Negative Folgen für die deutschen Dienstleistungsmärkte sind nicht erkennbar geworden, gleichzeitig haben die deutschen Anbieter neue Märkte im Ausland erschlossen. Seit dem Jahr 2001 wird im Rahmen der Doha-Welthandelsrunde auch über eine weitere Marktöffnung im Dienstleistungssektor verhandelt. Die Doha-Verhandlungen sind allerdings aus vielerlei Gründen ins Stocken geraten. Als Reaktion auf diese Entwicklung hat sich eine Gruppe von 23 WTO-Mitgliedern, darunter auch die EU und ihre Mitgliedstaaten, im Jahr 2012 zusammengeschlossen, um bei den Verhandlungen zum Handel mit Dienstleistungen eine „Vorreiterrolle“ einzunehmen und die GATS-Regeln weiterzuentwickeln. Dies ist auch im Interesse Deutschlands - Deutschland ist weltweit der drittgrößte Exporteur von Dienstleistungen.

Vorrangiges Ziel der Verhandlungen zu TiSA ist es, bestimmte ausgewählte Öffnungen beim Marktzugang im Dienstleistungsbereich vorzunehmen und damit neue Impulse für das Stocken des multilateralen Systems zu setzen. Insbesondere ist es auch Ziel der EU und der Bundesregierung, die Ergebnisse der Verhandlungen wenn möglich zu einem späteren Zeitpunkt zu multilateralisieren, also die Ergebnisse allen WTO-Mitgliedern zu gewähren.
Die in den TiSA-Gesprächen behandelten Themen – wie z.B. Transport-, Telekommunikations- und Kurierdienstleistungen – sind wichtig für die deutsche Wirtschaft. Es gilt, bestimmte Vereinbarungen zur Erleichterung beim Handel von Dienstleistungen auch auf multilateraler Ebene durchzusetzen, um für Anbieter von Dienstleistungen möglichst in vielen Staaten vergleichbare Spielregeln zu vereinbaren.

Mit den Verhandlungen zum TiSA-Abkommen wird nicht das Ziel einer Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen in Deutschland verfolgt. Für den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge wurde von Seiten der EU - wie auch in allen anderen EU-Handelsabkommen - die gleiche Sonderregelung eingebracht, die auch schon im GATS verankert wurde und die die bestehenden Gestaltungsspielräume in Deutschland erhält. Ergänzend gibt es weitere Sonderbestimmungen z. B. für die Bereiche Bildung, Gesundheit und Wasserversorgung, die ebenfalls den Politikspielraum umfassend erhalten und neue Marktöffnungsverpflichtungen eindeutig ausschließen. TiSA verfolgt auch nicht das Ziel, Regulierungsmöglichkeiten des Staates, wie z.B. bei der Lizenzierung von Gesundheitseinrichtungen, Kraftwerken und Abfallentsorgungsanlagen oder der Akkreditierung von Schulen und Universitäten einzuschränken. Diese wichtigen Regulierungsmöglichkeiten bleiben unverändert weiter bestehen.

Sowohl die Europäische Kommission als auch die Bundesregierung sind sich der besonderen Sensibilitäten in den Bereichen Medien und Kultur bewusst. Zwar können Audiovision und kulturelle Dienstleistungen nicht grundsätzlich aus dem Anwendungsbereich von TiSA herausgenommen werden, da dies einen Konsens zwischen allen 23 Verhandlungspartnern voraussetzen würde. Dennoch wird sichergestellt, dass insofern das Verpflichtungsniveau für Deutschland nicht über das hinausgeht, was bereits 1995 im GATS völkerrechtlich verbindlich geregelt wurde. Auch in diesem Sektor wird sich also für Deutschland nichts ändern. Die im Zusammenhang mit den TTIP-Verhandlungen häufig kritisierten Regelungen zum Investitionsschutz einschließlich Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit (ISDS) werden NICHT im TiSA-Abkommen enthalten sein. Es wird also mit TiSA keine Möglichkeit für Klagen von privaten Investoren geben. Vorgesehen ist lediglich die Möglichkeit von Streitschlichtungsverfahren zwischen den beteiligten Staaten hinsichtlich der TiSA-Verpflichtungen; dies ist ein herkömmliches Streitschlichtungsverfahren zwischen Staaten, wie es bereits im WTO-Rahmen angelegt und in bewährter Form praktiziert wird. TiSA wird auch die europäischen Datenschutzstandards beachten. Es wird keine Absenkung oder Aushebelung von Datenschutzregelungen geben; dies gilt auch für die Novellierung des bestehenden Rechtsrahmens.

Ich kann Ihnen versichern, dass die SPD bei den TiSA Verhandlungen sehr darauf achten wird, dass ein mögliches Abkommen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft unseres Landes ist.

Mit freundlichen Grüßen
Martin Rosemann

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