Frage an Martina Stamm-Fibich bezüglich Wirtschaft

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Martina Stamm-Fibich
SPD
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Frage von Gerhard G. •

Frage an Martina Stamm-Fibich von Gerhard G. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Stamm-Fibich,

die Verhandlungen zu TTIP sind inzwischen sehr weit fortgeschritten, CETA scheint kurz vor dem Abschluß zu stehen. Das, was an die Öffentlichkeit dringt ist geradezu unfassbar und höchst alarmierend, die Möglichkeit von Industrieunternehmen einen Staat zu erpressen durch drohende Schadenersatzzahlungen scheint nahezu unbegrenzt.
Präzedenzfall ist Vattenfall mit seiner gerade eingereichten Klage vor einem amerikanischen!!! Schiedsgericht (für ihre Unternehmerfreundlichkeit bekannt) wegen des Ausstiegs Deutschlands aus der Atomstromproduktion. Vattenfall würde wahrscheinlich nur der erste einer endlosen Reihe von Prozessen sein, die Großunternehmen gegen Regierungen anstrengen würden. Die Folgen brauche ich nicht auszumalen. Neben Schadenersatzzahlungen kämen horrende Prozesskosten auf die Regierungen zu, die alle aus Steuergeldern, also von uns Steuerzahlern bezahlt würden. Die Unternehmen ihrerseits können die Prozesskosten als Betriebsausgaben geltend machen, würden also noch weniger Steuern bezahlen, als sie es jetzt schon tun. Wir Bürger müssen dafür unseren Gürtel wesentlich enger schnallen, im Gegensatz zu unseren Abgeordneten, denen wir unsere Stimme anvertraut haben, in der Annahme, dass sie unsere Interessen vertreten würden. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie mir mitzuteilen, ob Sie im Abstimmungsfalle über die beiden Abkommen dafür oder dagegen stimmen werden.

Mit freundlichem Gruß

Gerhard Gutbrod

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Gutbrod,

vielen Dank für Ihr Schreiben, in dem Sie Kritik am Vorgehen der SPD-Bundestagsfraktion hinsichtlich der Handelsabkommen TTIP und CETA üben. Nun verstehe ich die Skepsis, die Sie und viele andere Bürgerinnen und Bürger den Freihandelsabkommen TTIP und CETA entgegen bringen. Die Thematik ist hochkomplex, jedes der genannten Abkommen birgt eine Fülle an Punkten, die unterschiedliche Lebensbereiche betreffen.

Dennoch wird in der aktuellen Debatte über TTIP und CETA meiner Auffassung nach nicht genügend differenziert. Es gibt selten nur Schwarz oder Weiß, meist ist die Mitte der richtige Weg, Grau die adäquate Farbe, um gesellschaftliche und politische Debatten konstruktiv zu führen. Auch in Bezug auf die von Ihnen genannten Handelsabkommen ist eine Differenzierung notwendig. Ihre Sorgen und die Ihrer Mitstreiter dürfen selbstverständlich nicht allein mit dem oft genannten Verweis auf Wachstumspotenziale übergangen werden. Gleichzeitig aber wünsche ich mir eine aufrichtige Diskussion, in der auch anerkannt wird, dass TTIP in vielen Bereiche Fortschritte bringt – und zwar nicht allein in Bezug auf Wachstumschancen. Im Bereich Medizintechnik beispielsweise haben die USA wesentlich höhere Standards als die Europäische Union. In der EU können Medizinprodukte mit CE-Kennzeichnung nach Prüfung durch eine benannte Stelle – z.B. TÜV – eines Mitgliedsstaates zugelassen werden. In den USA ist dagegen eine Zulassung durch die staatliche Institution Federal Drug Administration (FDA) erforderlich. Für mich als Gesundheitspolitikerin ist dies ein wichtiger Punkt, sich ernsthaft mit den Möglichkeiten auseinanderzusetzen, die die genannten Freihandelsabkommen bieten. Weitere Chancen bietet das Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union im Bereich Arbeitsschutz. Die so genannten Kernarbeitsnormen der UN-Agentur ILO (Internationale Arbeitsorganisation) garantieren hohe soziale Standards, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und einen hinreichenden Schutz. Sie sollen maßgeblich sein für die Verhandlungen im Bereich Arbeitsschutz. Außerdem soll im Zuge der Verhandlungen ein Mechanismus aufgenommen werden, der dafür sorgt, dass die ILO-Kernarbeitsnormen auch durchgesetzt werden.
Nicht in allen Bereichen sind die Mitgliedstaaten der EU ‘Qualitäts- und Sicherheitsexperten‘. In diesen Bereichen kann ein Handelsabkommen Ansporn zu Verbesserung sein. Und gleichzeitig gilt dies umgekehrt – in vielen Bereichen können die USA ihre Standards erhöhen, um künftig qualitativ hochwertigere Produkte zu produzieren. Ziel der Freihandelsabkommen ist es nicht, Standards abzusenken, sondern vielmehr eine bessere Vereinbarkeit der Regelungen in den USA und der EU zu erreichen. An dieser Stelle möchte ich auch darauf hinweisen, dass Deutschland bereits mit 31 Staaten Freihandelsabkommen abgeschlossen hat.

Aber es gibt auch Kritikpunkte. Auch die SPD-Bundestagsfraktion spricht sich gegen die Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit aus. Die Mitgliedstaaten der EU sowie der USA oder Kanadas haben hochentwickelte Rechtssysteme, vor denen eine Durchsetzung von Rechtsmitteln ohne außergerichtliche Lösungen möglich ist. Meiner Meinung nach sollte der Investitionsschutz von öffentlichen Gerichten ausgelegt werden und nicht von privaten Schiedsgerichten. Auch ich kritisiere die Absicht, hier Schiedsgerichte entscheiden zu lassen, die oft von privaten Anwälten besetzt werden, welche wiederum durchaus privatwirtschaftliche Interessen vertreten.

Ein Staat-Staat-Streitbeilegungsverfahren mit klar definierten Regeln könnte hier aber aus meiner Sicht Abhilfe schaffen. Wichtig wäre dann, dass diese Verfahren öffentlich und transparent verlaufen, dass hauptamtliche Richter eingesetzt werden, dass die Möglichkeit zur Berufung besteht und dass das Investitionsrecht kodifiziert wird und durch Präzedenzfälle erweitert werden kann. Insbesondere TTIP befindet sich aktuell noch im Verhandlungsstatus. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel setzt sich dafür ein, dass Investor-Staat-Schiedsverfahren nicht in die Verträge aufgenommen werden und falls doch, dann in der von mir dargelegten veränderten Form als „Schlichtungsinstrument“. Aber die Bundesrepublik Deutschland kann es sich nicht leisten, als einziger Staat gegen das Abkommen zu stimmen, weil dieser Passus abgelehnt wird. Deshalb erklärte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel jüngst, dass unter Umständen Investor-Staat-Schiedsverfahren aufgenommen werden müssen, sollten die Verhandlungen anderweitig komplett scheitern.

Sie sprechen die Klage des Energiekonzerns Vattenfall vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, kurz ICSID, an. Die Forderungen nach über vier Milliarden Euro Kompensation haben heftige Diskussionen ausgelöst. Vattenfall klagt über die Investitionsschutzvereinbarungen in der Energiecharta. Gleichzeitig klagt die Firma auch vor deutschen Gerichten, denn nach deutschem Recht sind Investitionen mindestens genauso gut geschützt. Andere deutsche Energiekonzerne wie EON oder RWE haben auch schon des Öfteren vor deutschen Gerichten gegen Deutschland auf Schadensersatz geklagt. So hat RWE den Bund und Hessen wegen Stilllegung des Biblis-Kraftwerks auf geschätzt mehr als 200 Millionen Euro verklagt, EON verlangt etwa 380 Millionen Euro und mehrere Energiekonzerne haben eine Verfassungsklage in Karlsruhe auf mehrere Millionen Euro Schadensersatz wegen des Atomausstiegs eingereicht. Schadensersatzklagen wegen „Enteignungen“ sind also auch ohne internationale Investitionsschutzverträge bei uns möglich. Abgesehen von dem dreisten Verhalten der Energiekonzerne trägt auch die unsichere Politik von Schwarz-Gelb eine Mitschuld, da Bundeskanzlerin Angela Merkel vor Fukushima die AKW-Laufzeit zunächst noch verlängert hat.

Ob eine Klage – vor einem Schiedsgericht oder einem staatlichen Gericht – durchgeht, ist dann aber eine ganz andere Frage. Es muss auch festgehalten werden, dass nicht jedes beliebige Unternehmen jede beliebige Forderung bei jedem Staat einklagen kann. Auch Schiedsverfahren haben Regeln und Klagen bedürfen eines größeren juristischen Bodens als allein das Streben nach Gewinn. So hält beispielsweise das Bundeswirtschaftsministerium die Klage Vattenfalls in weiten Teilen für unbegründet.

Ich setze mich – im Rahmen meiner Möglichkeiten als Gesundheitspolitikerin – gerne dafür ein, dass die Verhandlungen zu TTIP transparent geführt werden und dass differenziert Kritik an kritikwürdigen Punkten geübt wird, sodass kritische Passagen herausgenommen oder, falls nicht anders möglich, zumindest modifiziert werden.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Position plausibel darlegen. Sollten Sie Rückfragen oder weitere Fragen an mich haben, dürfen Sie sich gerne jederzeit an mich wenden.

Mit freundlichen Grüßen

Martina Stamm-Fibich

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