Frage an Michael Gwosdz bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Michael Gwosdz
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Anja T. •

Frage an Michael Gwosdz von Anja T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herren Gwosdz,

auf der Tourismus-Homepage der Stadt Hamburg wird so die Herbertstraße beschrieben:
„Vor neugierigen Blicken geschützt, gibt es hier käufliche Liebe. Der Zutritt ist nur für Männer über 18 Jahren erlaubt: Die berühmt-berüchtigte Herbertstraße in Hamburg.
Die etwa 60 Meter lange Gasse, die vor den Blicken Neugieriger durch Tore geschützt wird, gehört zum alten Mythos St. Pauli. Hier gibt es die käufliche Liebe seit dem 19. Jahrhundert. Und nur Männern über 18 Jahren wird Zutritt gewährt. Frauen sollten es erst gar nicht wagen, dort hinein zu wollen - sie erwarten Beschimpfungen, faule Eier, kalte Duschen oder mit Urin gefüllte Eimer.“
https://www.hamburg-tourism.de/sehen-erleben/sehenswuerdigkeiten/herbertstrasse/
Halten Sie diese Werbung für angebracht und zeitgemäß?
Können sie mir sagen, wodurch es legitimiert ist, dass eine Straße der Stadt Hamburg ein jugendgefährdender Ort ist von dem auch Frauen ausgeschlossen sind?
Wurden die Tore und Beschilderungen, die „vor neugierigen Blicken schützten“, von der Stadt angebracht? Zum Schutz der Sexarbeiterinnen? Wenn ja, warum nur dort?
Im Wahlprogramm der Grünen heißt es:
Hamburg ist, was wir draus machen.
Ökologisch. Gerecht. Weltoffen.
Aus Grüne Stadtentwicklung:
„…Gemeinwohlorientiert, sozial ausgewogen und nachhaltig: Wir wollen für Hamburg eine Grüne Stadtentwicklung voranbringen, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert…“
Aus dem Grundsatzprogramm:
„…Wir akzeptieren es nicht, wenn Frauen nachts oder an bestimmten Orten Angst haben, auf die Straße zu gehen. Der öffentliche Raum gehört allen, alle müssen sich dort aufhalten können, selbstverständlich und ohne Angst. Mehr Polizei vor Ort kann die Sicherheit erhöhen…“
Gibt es außer der Herbertstraße weitere Straßen, die nicht an einer Stadtentwicklung, im Sinne ihres Wahlprogramms, teilhaben?
Wie stehen Sie zu den bisherigen Protesten von Anwohner*innen und Feminist*innen?

Vielen Dank im Voraus für Ihre Antworten
Anja Twest

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau T.,

vielen Dank für Ihre Frage. So wie die Werbung auf der von Ihnen zitierten Seite formuliert ist halte ich diese Werbung nicht für zeitgemäß. Unsere Fraktion wird mit Hamburg Marketing darüber das Gespräch suchen, ob es nötig ist, die Herbertstraße derartig zu bewerben.

Grundsätzlich ist für mich das Recht auf Selbstbestimmung auch im Umgang mit der Prostitution in Hamburg ein wichtiges Anliegen. Deshalb verurteile oder stigmatisiere ich Prosititution nicht, sondern setze mich für die Verbesserung der Situation der Betroffenen ein. Die Große Koalition hat auf Bundesebene das Prostitutionsschutzgesetz verschärft, so dass Prostitutierte inzwischen wieder mehr Repressalien ausgesetzt sind. Das ist der falsche Weg, um Frauen und Männern, die diese Beruf ausüben, den größtmöglichen Schutz zu geben. Wir benötigen eine Anerkennung als normalen Beruf, der selbstverständlich ausgeübt werden kann.

Das schreibe ich vorab, weil die Herbertstraße mit ihren Eingangstoren innerhalb eines größeren Stadtgebietes liegt, in dem Prostitution verboten ist. Die Tore markieren den einzig zulässigen Bereich, innerhalb dessen Prostitution auf St. Pauli offiziell erlaubt ist. Festgelegt ist dies in § 1 Satz 1 der Verordnung über das Verbot der Prostitution vom 21. Oktober 1980 (siehe http://www.landesrecht-hamburg.de/jportal/portal/page/bshaprod.psml?doc.id=jlr-ProstVerbVHApP1&st=lr&doctyp=BSBayern&showdoccase=1&paramfromHL=true#focuspoint).

Grundsätzlich handelt es sich um eine öffentliche Straße, zu der jede*r auch Zugang hat. Gleichzeitig haben die dort arbeitenden Frauen ein Interesse daran, geschützt zu werden. Auch auf ihren Wunsch hin kam es 1980 zur zitierten der Stadt. Auch wenn wir Ihre Argumentation gut nachvollziehen können, sehen wir auch, dass die Herbertstraße nicht mit den anderen Straßen Hamburgs, auf die sich die von Ihnen zitierten Stellen unseres Programms beziehen, vergleichbar oder gleichzusetzen ist. Das Bedürfnis der Prostituierten, sich neugierigen Besucher*innen nicht aussetzten zu müssen, ist nachvollziehbar.

Für eine gute Stadtentwicklung müssen wir uns insgesamt einsetzen. Hierzu gehört es auch, die Berufstätigkeit in der Prostitution als Teil einer Stadt zu akzeptieren und zu respektieren. Die Rechte von Menschen in der Prostitution zu verbessern ist am Ende auch ein Teil, der zu einer guten Stadtentwicklung beiträgt. Prostitution in Illegalität zu drängen führt dagegen nicht nur zu Repression gegen über Prostitutierten, sondern auch zu einer negativen Stadtentwicklung.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Gwosdz

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