Frage an Michael Piazolo bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Prof. Dr. Michael Piazolo
Michael Piazolo
FREIE WÄHLER
100 %
/ 1 Fragen beantwortet
Frage von Gabriele E. •

Frage an Michael Piazolo von Gabriele E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Piazolo,

Bayern vertritt in Bezug auf die Übertrittsregelung auf weiterführende Schulen einen sehr restriktiven Weg. Die magischen Zahlen 2,33 und 2,66 basierend auf ca. 22 Leistungserhebungen, (welche noch von Intransparenz, wie unterschiedliche Anforderungsprofilen der Schulen, nach oben oder nach unten angepasste Notenschlüssel, ganz nach päd. Ermessen der Lehrkraft, etc. etc. geprägt sind) entscheiden über die "Erlaubnis" zu dem Übertritt auf eine weiterführende Schule. 14 andere Bundesländer sehen es liberaler und geben den Eltern das Recht der letzten Entscheidung. Sind bayerische Eltern soviel unmündiger als Eltern in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Bremen, Brandenburg, Schleswig-Holstein, Saarland, NRW?

Nun meine Fragen:

Chancengleichheit:
Wie geht es mit Ihrem Verständnis für Chancengleichheit einher, dass bayerische Schüler die "Chance des Elternwillens" nicht bekommen. Gleiche Chancen für alle!
Gerechtigkeit:
Wie geht es mit Ihrem Verständnis für Gerechtigkeit einher, dass bayerische Schüler schlichtweg gegenüber anderen Bundesländern ungerecht behandelt werden.
Diskriminierung:
Wie geht es mit Ihrem Verständnis für Diskriminierung -Anti-Diskriminierung einher, wenn Schüler aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bundesland anderes behandelt werden als Schüler anderer Bundesländer.

Ich bitte, Sie mir meine Fragen zu beantworten.

(Ausführungen über die Durchlässigkeit des bay. Schulsystems, ob, wie, warum, weshalb, es nicht sinnvoll ist, Eltern entscheiden zu lassen, Kulturhohheit, etc. sind nicht nötig.) Es geht mir - ich wiederhole mich - schlichtweg um Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Diskriminierung. Ich habe deshalb auch ganz bewusst die Überschrift Demokratie und Bürgerrechte gewählt.

Die Bürgerinitiative www.uebertrittbayern.de behält sich das Recht vor, Ihre Antwort zu veröffentlichen.

Prof. Dr. Michael Piazolo
Antwort von
FREIE WÄHLER

Der Freistaat Bayern hat ein begabungsgerechtes und differenziertes Schulsystem mit hoher Durchlässigkeit (vgl. Art. 6 Abs. 1 und 2 BayEUG). An die Grundschule schließen sich die weiterführenden Schularten Mittelschule, Realschule und Gymnasium an, die über ein je eigenes Profil verfügen (vgl. Art. 7a, 8 und 9 BayEUG). Die Eignung von Schülerinnen/Schülern für die jeweilige Schulart wird im Rahmen des begabungsgerechten Übertrittsverfahrens festgestellt. Verwiesen sei dabei ausdrücklich auch auf die Möglichkeit zum Besuch des Probeunterrichts an der aufnehmenden Schulart unter Berücksichtigung des Elternwillens und eines Übertritts in späteren Jahrgangsstufen.
Online auf der Homepage des Staatsministeriums finden alle Schülerinnen und Schüler und ihre Erziehungsberechtigten die Übertrittsvoraussetzungen in die unterschiedlichen Schularten, auch mit Hinweisen auf Übertrittsmöglichkeiten in späteren Jahrgangsstufen (Übersicht zu den Regelungen online einsehbar unter https://www.km.bayern.de/schueler/schularten/uebertritt-schulartwechsel.html). Neben der Klassenlehrkraft sind die zuständige Beratungslehrkraft und die Staatlichen Schulberatungsstellen die ersten Ansprechpartner bei Fragen zur Schullaufbahn und helfen gerne weiter.

Die Schulwahl nach der Grundschule bedeutet aufgrund der Durchlässigkeit des bayerischen Schulsystems keine abschließende Entscheidung über die weitere schulische Laufbahn und den Schulabschluss des Kindes. Das bayerische Schulsystem eröffnet jeder Schülerin und jedem Schüler einen individuellen Bildungsweg, der regelmäßig an neue Gegebenheiten und Ziele angepasst werden kann. Jeder Abschluss bietet einen Anschluss! Allen bayerischen Schülerinnen und Schülern steht somit eine Vielzahl an Wegen und Möglichkeiten offen. Dies ermöglicht langfristig bei entsprechenden Leistungen das Erreichen jedes Bildungsziels. Zum Beispiel werden inzwischen über 40% der Hochschulzugangsberechtigungen über FOS/BOS, Fachschulen und Fachakademien erworben.

Bayerische Schülerinnen und Schüler sind durch das kind- und begabungsgerechte Übertrittsverfahren somit keineswegs einer Benachteiligung gegenüber Schülerinnen und Schülern in anderen Bundesländern ausgesetzt.

In Bayern haben Schülerinnen und Schüler in jeder Schulart – nicht nur auf dem Gymnasium – sehr gute Zukunftschancen. Denn Bayern verzeichnet gemäß Bildungsmonitor 2018 des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln schon seit vielen Jahren den bundesweiten Bestwert bei der beruflichen Bildung: Nirgends in Deutschland ist das Ausbildungsstellenangebot so hoch, die Erfolgsquote der Berufsschüler in der dualen Ausbildung sowie die Fortbildungsintensität so überzeugend wie in Bayern. Dementsprechend weist Bayern gemäß der Studie „Education at a glance 2018/Ländervergleich“ bundesweit den geringsten Anteil an frühen Schulabgängern auf (18-24-Jährige, die sich nicht in Bildung oder Ausbildung befinden und über keinen Abschluss des Sekundarbereichs II verfügen). Das bayerische differenzierte Schulsystem und das Übertrittsverfahren erzeugt somit keineswegs Ungerechtigkeit, sondern eröffnet Chancen und eine große Vielfalt an individuell möglichen Bildungswegen.

Eltern haben in Bayern die Möglichkeit, den Bildungsweg ihres Kindes aktiv mitzugestalten. Die Regelungen zum Übertritt von der Grundschule an eine weiterführende Schulart eröffnet den Eltern durchaus Gestaltungsspielräume. Im Rahmen des geltenden Übertrittsverfahrens wird Eltern professionelle Beratung zu Fragen der Schullaufbahnplanung ihres Kindes angeboten. Konkret tritt - neben den auch bereits in den Jahrgangsstufen 1 und 2 bestehenden Möglichkeiten und Anlässen der Einzelberatung durch Lehrkräfte, Beratungslehrkräfte und Schulpsychologen sowie weitreichende Angebote der Staatlichen Schulberatung Bayern - in Jahrgangsstufe 3 eine erweiterte allgemeine Beratung der Erziehungsberechtigten ein. So werden die Erziehungsberechtigten an einem zusätzlichen Elternabend über das differenzierte Bildungssystem, dessen Durchlässigkeit und vielfältige Abschluss- und Anschlussmöglichkeiten informiert. In Jahrgangsstufe 4 führen die Grundschule und die weiterführenden Schularten Mittelschule, Realschule und Gymnasium Informationsveranstaltungen zu den jeweils angebotenen Bildungswegen bzw. den jeweiligen Schulprofilen und Schwerpunkten der Schule durch. Auch die weiterführenden Schularten stellen ein breit angelegtes Begleit- und Unterstützungssystem zur Verfügung.

Der Übertritt von der Grundschule an die weiterführenden Schularten erfolgt somit letztendlich auf der Basis von unterschiedlichen Elementen, die zusammen in eine ausgewogene Balance gebracht sind: die ausführliche bereits angesprochene Elternberatung, ein Übertrittszeugnis mit Schullaufbahnempfehlung durch die Grundschulen, die Möglichkeit zum Besuch des Probeunterrichts an der aufnehmenden Schulart und darauf aufbauend die Elternentscheidung. Dem Elternwillen wird somit ein beträchtliches Gewicht gegeben, so dass alle Erziehungsberechtigten die Chance bzw. Möglichkeit haben, sich aktiv einzubringen und die Übertrittsentscheidung in enger Abstimmung mit der jeweiligen Grundschule zu treffen.

Zur Erhöhung der Transparenz und zur Reduzierung des Leistungsdrucks sieht das weiterentwickelte Übertrittsverfahren für die Jahrgangsstufe 4 Richtzahlen für Leistungsnachweise und die vorherige Ansage von Terminen für Leistungsnachweise vor. Außerdem wird eine stärkere Ausweisung von prüfungsfreien Lernphasen ermöglicht.

Die schriftliche Zwischeninformation über den aktuellen Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler Mitte Januar ermöglicht es den Eltern, frühzeitig Förderbedarf zu erkennen und gemeinsam mit den Lehrkräften geeignete Fördermaßnahmen zu besprechen. Zur Umsetzung der besprochenen Fördermaßnahmen sieht die Stundentafel der Grundschule in den Jahrgangsstufen 1 bis 4 insgesamt fünf Wochenstunden „Flexible Förderung“ als Pflichtunterricht vor. Um dem erhöhten Förderbedarf in der Jahrgangsstufe 4 gerecht zu werden, wird der Klassenverband an staatlichen Schulen in der Förderstunde bei großen Klassen geteilt. Vorgesehen ist die Teilung der Förderstunde bei Klassen der Jahrgangsstufe 4 mit mehr als 25 Schülerinnen und Schülern.

Eine Mehrzahl der Schulleiterinnen und Schulleiter, Klassenlehrkräfte der Jahrgangsstufen 3 und 4 sowie Elternvertreter begrüßen diese wichtigen Elemente des kind- und begabungsgerechten Übertrittsverfahrens. Dies zeigen die Ergebnisse der Online-Befragung
der letzten Jahre zum Übertritt in Bayern an 700 bayerischen Grundschulen.

Was möchten Sie wissen von:
Prof. Dr. Michael Piazolo
Michael Piazolo
FREIE WÄHLER