Frage an Michael Roth bezüglich Innere Angelegenheiten

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Michael Roth
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Frage von Helmut S. •

Frage an Michael Roth von Helmut S. bezüglich Innere Angelegenheiten

IHRA-Arbeitsdefinition / Israelbezogener Antisemitismus

Sehr geehrter Herr Roth,

ich möchte Sie fragen, ob der Begriff des "Israelbezogener Antisemitismus" aus Ihrer und der Sicht des AA hinreichend objektivierbar ist um in der Praxis als belastbar i.S. eines wissenschaftlichen Begriffes gelten zu können.

Hintergrund meiner Frage:

Der Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus (UEA) der Bundesregierung in seiner Studie vom 7.4.2017 (Drucksache 18/11970) hinsichtlich der IHRA-Arbeitsdefinition eine Differenzierung vorgenommen hat. Unterschieden wird die Verwendbarkeit der Definition für Erfassung von Antisemitismus in der Polizeiarbeit und durch NGOs. Für diese "praktische Arbeit" wird der Definition eine besondere Eignung (wegweisendes Dokument) zugesprochen. Es ginge aber auch darum die Definition um eine "wissenschaftliche Perspektive da nur so die vielfältigen Facetten des Antisemitismus herausgearbeitet und analysiert werden können." (S. 24).

Die Erweiterung um die wissenschaftliche Perspektive ist hinsichtlich des Begriffs "israelbezogener Antisemitismus" offensichtlich nicht gelungen. Dazu wird ausgeführt, dieser Begriff sei in einer Grauzone angesiedelt. Eindeutigkeit im Hinblick auf Antisemitismus ergebe sich nur dann, wenn klassisch-antisemitsche Begriffe im Spiele seien (w.z.B. Morde an Juden gerechtfertigt, Juden als Kollektiv beschuldigt werden usw. / S. 27-28). Wenn die Grauzone dort beginnt, wo klassisch-antisemitische Begriffe und Argumentationsmuster nicht mehr vorkommen, dann ist das Konstrukt "israelbezogener Antisemitismus" insgesamt in einer Grauzone angesiedelt und nicht mehr eindeutig bestimmbar. Klassisch-antisemitische Stigmatisierungen sind selbsterklärend im Hinblick auf Antisemitismus. Der Rückgriff auf Umwegkommunikation, die ja für "israelbezogenen Antisemitismus" kennzeichnend sein soll, ist dann nicht mehr nötig, weil das Ressentiment direkt zum Ausdruck kommt.

MfG Helmut Suttor

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Sehr geehrter Herr Suttor,

für Ihre Frage zur IHRA-Arbeitsdefinition und zum Begriff „israelbezogener Antisemitismus" danke ich Ihnen und nehme gerne dazu Stellung.
Gerade aus seiner historischen Verantwortung heraus setzt sich Deutschland unmissverständlich gegen jede Form von Antisemitismus ein. Die Bundesregierung hat im Jahr 2016 im Konsens mit den anderen Mitgliedsländern der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) der Arbeitsdefinition zugestimmt und sie am 20. September 2017 durch Kabinettbeschluss in erweiterter Form politisch indossiert und in Umlauf gebracht. Mit der Aufnahme des letzten Satzes zur Bekämpfung von israelbezogenem Antisemitismus geht die Bundesregierung sogar über die von der IHRA konsentierte Fassung hinaus.
Damit hat die Bundesregierung die Grundlage für ein gemeinsames Verständnis von Antisemitismus auf nationaler Ebene gelegt und deutlich gemacht. Auch wenn die Definition keine rechtliche Bindungskraft entfaltet, so hat sie doch einen starken symbolischen Charakter. Für Behördenvertreterinnen und -vertreter in Bund und Ländern ist die Arbeitsdefinition ein wichtiges Instrument, um Antisemitismus zu erkennen und dagegen vorzugehen. So findet die IHRA-Definition beispielsweise beim Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz Anwendung. Ebenso haben viele zivilgesellschaftliche Organisationen, Städte und Gemeinden, Unternehmen, Fußballvereine usw. positive Erfahrungen mit der Definition gemacht. Ein im Januar 2021 von der EU-Kommission herausgegebenes Handbuch versammelt Beispiele von „best practice“ und unterstützt damit die Anwendung der Definition.
Deutschland setzt sich auch dafür ein, dass andere internationale Organisationen und Gremien die Definition ebenfalls zur Grundlage ihrer Arbeit machen. Ihre Anwendung und Verbreitung sowie die Vermittlung von Wissen über Antisemitismus bleibt national wie auch international eine Daueraufgabe. Unsere Botschaft ist klar: Für Antisemitismus darf es keinen Platz geben – weder in Deutschland noch an anderen Orten in der Welt.

Mit freundlichen Grüßen
Michael Roth

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