Frage an Nicole Fritsche bezüglich Gesundheit

Nicole Fritsche
DIE LINKE
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Frage von Dagmar S. •

Frage an Nicole Fritsche von Dagmar S. bezüglich Gesundheit

Wie stehen Sie zur Organspende?

Haben Sie sich mit dem Hirntodkonzept auseinandergesetzt?

Wissen welche Bedeutung der Hirntod für das Rechtsgut leben hatte?

Finden Sie, dass die Informationspflichten des § 2 TPG von den hierzu verpflichteten Stellen erfüllt wird?

Wissen Sie welche spezifisch berufliche Tätigkeit der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankasse ausübte?

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Schön,
vielen Dank für Ihre sehr interessante Anfrage. Sehr gern habe ich mich aufgrund dessen mit dem Thema Hirntod tiefer auseinandergesetzt.

Viele Bürgerinnen und Bürger haben in den letzten Jahren das Vertrauen in die Organtransplantation verloren, nicht nur durch Missstände innerhalb der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) und durch die Skandale um Manipulationen der Wartelisten für Organempfängerinnen und -empfängern. In der Bevölkerung, bei Fachmedizinerinnen und -medizinern sowie bei Ethikerinnen und Ethikern besteht Skepsis gegenüber der Hirntodkonzeption und der Hirntoddiagnostik und somit findet auch eine viel zu geringe Aufklärung der Menschen statt, welche sich per Organspendeausweis über sich selbst verfügen.
Für die Vorbehalte am Hirntodkonzept gibt es eine Reihe von Gründen:
1. Zweifel an der Hirntodkonzeption
Mit der Entwicklung der Intensiv- und besonders der Transplantationsmedizin wurde der Begriff „Hirntod“ vor knapp einem halben Jahrhundert eingeführt, da seit Verwendung der Herz-Lungen-Maschine Herzversagen und Hirnversagen zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden können. Damals herrschte die Überzeugung vor, dass ein funktionierendes Gehirn unerlässlich dafür sei, dass der Körper mehr als nur kurze Zeit (d. h. Stunden bzw. maximal Tage) überleben könne. So wurde dieser Zeitpunkt mit dem biologischen und rechtlichen Tod des Menschen gleichgesetzt. Nach § 3 des Transplantationsgesetzes (TPG) ist bis heute die Feststellung der Diagnose „Hirntod“ Voraussetzung zur Organentnahme. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer definierte 1997 den Hirntod als Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms, und legte eine entsprechenden Richtlinie zur Feststellung des Hirntods fest. Somit können Organe dann für eine Transplantation geeignet sein, wenn die Durchblutung nicht bzw. nicht zu lange unterbrochen wurde. Die Zweifel an der Hirntodkonzeption verstärken sich bei vielen Fachleuten aufgrund der Beobachtungen, dass auch bei hirntoten Menschen Herzschlag wahrnehmbar sei, die Fähigkeiten zu Ausscheidung und Temperaturregulierung erhalten bleiben, Schwangerschaften ausgetragen werden und der Abstand zwischen Hirntod und Eintritt des Herzstillstands Wochen bis mehrere Jahre betragen kann.
2. Skepsis bezüglich Hirntoddiagnostik
Nicht nur an der Hirntodkonzeption, sondern auch an der Hirntoddiagnostik in Deutschland wird Kritik geübt. Diese Kritik betrifft mehrere Aspekte, die Unsicherheiten bei der Feststellung des Hirntods mit sich bringen.
a) Nach den Richtlinien der Bundesärztekammer ist nur der Nachweis klinischer Kriterien wie der Verlust des Bewusstseins und einer Reihe von Reflexen sowie der Verlust der Spontanatmung (Apnoe) verpflichtend vorgeschrieben. Apparative Kriterien zur Messung der elektrischen Aktivität oder der Durchblutung des Gehirns, die auch im europäischen Ausland gängig sind, wie ein Null-Linien-Elektroenzephalogramm (EEG), zerebrale Hirnperfusionsszintigraphie oder Doppler-Sonographie, müssen in Deutschland in den meisten Fällein nicht zwimgend durchgeführt werden.
b) Es ist zu bezweifeln, dass wirklich der irreversible Ausfall sämtlicher Hirnfunktionen festgestellt werden können, wo nur Teilbereiche des Gehirns, jedoch Funktionen des Mittelhirnes, des Kleinhirns und der Großhirnrinde gar nicht untersucht würden.
c) Die in Deutschland vorgeschriebenen Wartezeiten zwischen der ersten und zweiten neurologischen Untersuchung werden eher als unzuverlässig und daher nur als grober Erfahrungswert angesehen, weshalb gefordert wird, in jedem Fall eine geeignete apparative Zusatzdiagnostik einzusetzen.
d) An die Stelle der in den BÄK-Richtlinien vorgesehenen Erfahrungen muss eine qualifizierte Ausbildung in der Hirntoddiagnostik treten, mit Nachweis der Befähigung durch Prüfung und Zertifizierung, vorzunehmen durch die Ärztekammern. Derzeit gibt es kein spezifisches Zertifikat für Hirntoduntersuchungen, das die Befähigung nachweist.
e) Ohne entsprechende spezielle Qualifizierung könnten unter Umständen nicht ausreichend erfahrene Ärztinnen und Ärzte Komapatientinnen und -patienten für tot erklären, obwohl „deren Hirnrinde noch bei Bewusstsein“ sei.
f) An den sterbenden Patientinnen und Patienten werden somit medizinische Maßnahmen ausgeführt, die nicht deren eigenem gesundheitlichem Wohl, sondern allein dem Interesse der zukünftigen Empfängerinnen und Empfänger dienen.
g) Desweiteren dürfen den Patientinnen und Patienten, bei denen eine Hirntoddiagnostik geplant ist, keine Schmerz- und Beruhigungsmittel mehr verabreicht werden, weil sonst eine Hirntoddiagnostik kaum mehr möglich ist.
h) Diese oben geschilderten Maßnahmen können mit ggf. abgegebenen Patientenverfügungen kollidieren oder dem Wunsch und Verständnis der sterbenden Person und seiner Angehörigen nach einem „menschenwürdigen Sterbeprozess“ widersprechen Die Fraktion DIE LINKE im Bundestag hat in einem Entschließungsantrag zur Änderung des Transplantationsgesetzes (Bundestagsdrucksache 17/9778) schon im Mai 2012 darauf aufmerksam gemacht und Änderungen gefordert. Dieser wurde jedoch leider abgelehnt.
Zur 3. Frage: Dr. Baas war bis 1999 selbst Transplantationschirurg.

Mit freundlichen Grüßen
Nicole Fritsche