Frage an Nicole Fritsche bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Nicole Fritsche
DIE LINKE
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Nicole Fritsche zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Henning H. •

Frage an Nicole Fritsche von Henning H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, daß unser Rechtssystem durch sog. Schiedsgerichte, wie sie im Freihandelsabkommen USA-EU vorgesehen sind und die keine Berufung zulassen, ausgehebelt wird? Sind Sie der Ansicht, daß mit dem einseitigen (nichtgerichtlichen) Klagerecht für Konzerne deren Macht unvertretbar erweitert wird?

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Hintze,

Vielen Dank für Ihre Anfrage.
Die Gefahr schätze ich sehr groß ein, daß unser Rechtssystem durch sog. Schiedsgerichte, wie sie im Freihandelsabkommen USA-EU vorgesehen sind und die keine Berufung zulassen, ausgehebelt wird. Sind Ich bin sehr wohl der Ansicht, daß mit dem einseitigen (nichtgerichtlichen) Klagerecht für Konzerne deren Macht unvertretbar erweitert wird. Ich möchte dies gern wie folgt erläutern: Die USA und Europa wollen die größte Freihandelszone der Welt schaffen und alle Medien, die dem Mythos vom unbegrenzten Wachstum begrenzter Systeme huldigen, jubeln. Doch Freihandel zwischen USA und Europa bedeutet auch offene Türen für Genfood, Hormonfleisch, noch unmenschlichere Arbeitsbedingungen und noch mehr Macht und Einfluss der Konzerne. Es geht um eine "Angleichung von Standards" und das macht das Thema so problematisch, denn verbessert werden die Standards nicht. In der Europäischen Union wurden, auch auf Druck von Umweltbewegung und Gewerkschaften, in den letzten Jahrzehnten die Rechte von VerbraucherInnen und Verbrauchern zumindest zum Teil gestärkt. In den USA regiert die Wirtschaft noch stärker über die Politik als in Europa. Ein Freihandelsabkommen verstärkt das Risiko, dass Verbraucherrechte und Umweltnormen geschwächt oder wieder abgeschafft werden. Der WDR Rundfunkrat fürchtet fatale Folgen für Informationsfreiheit und Medienvielfalt in Europa. Wollen wir wirklich, dass unser europäisches Wirtschaftsmodell noch stärker als bisher an das Wirtschaftssystem der USA "angepasst" wird? Freihandel kann und soll auch zur menschen- und umweltfeindlichen Deregulierung führen.
Eines der problematischsten Kapitel des Freihandels sind die sogenannten Schiedsgerichte. Vor einem solchen Schiedsgericht kann ein Großkonzern, also der Investor, gegen einen Staat wegen „Benachteiligungen aller Art“ klagen. Ein Beispiel wäre es, wenn z.Bsp. Monsanto den „vollen Schutz“ der Investition, etwa durch neue Umweltgesetze oder durch ein Gentechnikverbot verletzt sehen würde. Verhandlungen vor dem Schiedsgericht sind selbstverständlich geheim. Politisch begründet wird dies alles damit, dass Investoren im Ausland vor „Enteignungen ohne angemessene Erstattung“ geschützt werden müssten. Solche geheim tagenden Schiedsgerichte geben den Konzernen eine ungeheure zusätzliche, undemokratische Macht und schaffen eine Art von unkontrollierbarer Geheimgerichtsbarkeit.
Ein Europa, das in Zukunft noch stärker als bisher von Wirtschaftsinteressen und Freihandel bestimmt wird, ein Europa, das immer weniger ein Europa der Menschen und Regionen ist, gefährdet sich selber. Wir wollen ein nachhaltiges, zukunftsfähiges Europa der Menschen und nicht ein Europa der Konzerne und Umweltzerstörung. Umweltschutz, Nachhaltigkeit, eine europäische Energiewende und Verbraucherrechte schaffen Arbeitsplätze. Die europäischen Standards sollten gestärkt und nicht durch Freihandel geschwächt werden. Unnötige Zölle, bürokratische Hemmnisse und tatsächlich überflüssige Regularien können und sollen auch ohne Freihandelsabkommen abgebaut werden.

Mit freundlichen Grüßen,
Nicole Fritsche