Frage an Rainer Arnold bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

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Rainer Arnold
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Frage von William W. •

Frage an Rainer Arnold von William W. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Arnold,

ein weiteres klares ja für den Afghanistaneinsatz werden wir als Ihre Wähler nicht hinnehmen.

Über 60% der Bevölkerung ist gegen diesen Einsatz.

Wie können Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren,
dass seit knapp 8 Jahren keine oder kaum Fortschritte in diesem Land zu verzeichnen sind?

Dieser Einsatz strotzt vor Doppelmoral und das wissen sie auch.

Wenn sie Frauen befreien wollen,
dann beginnen sie im Rotlicht-Milieu von Hamburg,
wo seit Jahrzehnten Frauen aus dem Osten zur Prostitution gezwungen werden.

Wenn Sie gegen Extremisten vorgehen wollen
dann bekämpfen sie die Nazis und Autonomen Querulanten in Magdeburg und anderen Städten Deutschlands, oder liberale MarktwirtschaftsExtremisten.

Wenn Sie Deutschland vor Gefahren beschützen möchten,
dann bitte logisch aus dem Eignen Land heraus.

Nehmen Sie sich ein Beispiel am holländischen Parlament
und stoppen sie unsere Beteiligung an diesem irrsinnigen Kriegseinsatz!

Wir SPD-Wähler werden diesen Einsatz zur Vertrauensfrage machen.

Karin Kortmann hat es schon erwischt, wir werden das fortführen und jeden Bundestagsabgeordneten der SPD bei öffentlichen Auftritten konfrontieren mit ihrem Abstimmungsverhalten über den Afghanistaneinsatz.
Wie werden sie am 26.02. abstimmen und begründen sie ihre Wahl?

Herzlichen Gruß
William Weizmann

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Weizmann,

ich habe am 26.02. dem Afghanistanmandat zugestimmt und möchte Ihnen diese Entscheidung auch gerne erläutern.

Wie Sie wissen, hat sich die Rolle Deutschlands seit dem Ende des „Kalten Krieges“ massiv gewandelt. Die internationale Verantwortung des wiedervereinigten Deutschlands als eine europäische Mittelmacht ist enorm gewachsen. Zugleich hat sich, spätestens seit den Terroranschlägen des 11. September 2001, der Sicherheitsbegriff auch für unser Land verändert. Als Folge der Anschläge hat Deutschland unter der rot/grünen Koalition, auf der Grundlage des Beschlusses des UN-Sicherheitsrates und zusammen mit unseren Partnern in der NATO, auch militärische Verantwortung in Afghanistan übernommen. Aus meiner Sicht steht dies in keinem Widerspruch zu dem Bekenntnis der Bundesrepublik Deutschland zu ihrer historisch gewachsenen und begründeten Verantwortung für eine kooperative internationale Friedenspolitik.

Klar ist, dass ein stabiles Afghanistan auch im Interesse Deutschlands liegt. Trotz der Fortschritte beim Aufbau einer eigenen Sicherheitsstruktur ist die afghanische Regierung derzeit jedoch noch nicht in der Lage, in allen Teilen des Landes selbstverantwortlich für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Eine Fortsetzung des internationalen Engagements in Afghanistan ist also weiterhin erforderlich, um einen Rückfall des Landes in die Zeit des Bürgerkrieges, der Herrschaft der „Taliban“ und deren Unterstützung der Terrorgruppierung „Al Qaida“ zu verhindern. Auf alle Fälle muss verhindert werden - und dies liegt im unmittelbaren Interesse Deutschlands -, dass Afghanistan erneut zu einem Rückzugsraum des internationalen Terrorismus werden kann.

Das Ziel der ISAF unterscheidet sich wesentlich von dem vergangener Akteure. Es besteht nicht darin, in Afghanistan einen Krieg zu führen und zu entscheiden. Ein stabilisiertes Afghanistan, das für seine Sicherheit aus eigener Kraft heraus sorgen kann, wird hingegen positiv in die gesamte Region ausstrahlen. Dies ist vor allem im Hinblick auf das atomar bewaffnete Nachbarland Pakistan von besonderer Bedeutung und sollte nicht vergessen werden.

Ein stabiles Afghanistan ist jedoch mit einer alleinig militärischen Bekämpfung von „Taliban“ und „Al Qaida“ nicht zu erreichen. Daher hat Deutschland in der Afghanistanpolitik von Beginn an einen umfassenden und ganzheitlichen Ansatz verfolgt, den die Sozialdemokratie in dem /„erweiterten Sicherheitsbegriff“/ festgeschrieben hat. Dieser zielt darauf ab, durch eine Vielzahl von Maßnahmen, die Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch afghanische Kräfte /(„selbsttragende Sicherheit“)/ zu ermöglichen. Er schließt neben dem Einsatz internationaler militärischer Kräfte zum Schutz der Bevölkerung vor allem polizeiliche, gesellschaftspolitische, ökonomische, ökologische und kulturelle Aspekte ein.

Aus meiner Sicht ist es erforderlich, dass die Bundeswehr in ihrem Verantwortungsbereich im Norden Afghanistans für eine absehbare Zeit militärisch präsent bleibt. Sie schafft damit die militärische Voraus­setzung für den Einsatz internationaler Hilfsorganisationen und die eigene humanitäre Hilfe. Ein ausschließlich ziviler Aufbau ist ohne eine militärische Schutzkomponente noch nicht zu erreichen. Sofort nach dem Abzug der ISAF würden „Taliban“, „Al-Qaida“ und „Warlords“ ähnliche Verhältnisse wie 2001 herstellen. Viele zivile Entwicklungsprojekte müssten eingestellt werden. Ein unüberlegter und übereilter Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan, wie manche diesen fordern, würde das bisher durch die internationale Gemeinschaft Erreichte also zunichte machen. Dieser, auch für mich bedrückenden Realität, können wir uns nicht verschließen.

Auch für mich steht jedoch fest, dass sich die bisherige Politik der Weltgemeinschaft in Afghanistan als zu wenig erfolgreich erwiesen hat. Für das weitere Vorgehen sind Veränderungen erforderlich. Vor allem muss eine klare Perspektive für einen schrittweisen Abzug der internationalen Militärpräsenz entwickelt werden. Für diese Perspektive tritt die SPD ein.

So haben wir Sozialdemokraten unsere Vorschläge zum weiteren Vorgehen in Afghanistan dargelegt. Wir haben unsere Erwartungen an die Bundesregierung bereits im Dezember 2009 formuliert, um den Afghanistaneinsatz erfolgreich beenden zu können. Dieses Papier finden Sie unter http://www.rainer-arnold.de/pdf/entschliessungsantrag_isaf.pdf

Im Anschluss an die Afghanistankonferenz am 22. Januar 2010 im Willy-Brandt-Haus in Berlin haben zudem ein Positionspapier zur Dauer und Perspektive des deutschen Afghanistan-Engagements sowie zur Stärkung des zivilen Engagements und des wirtschaftlichen Aufbaus verabschiedet. Dieses Papier finden Sie ebenfalls auf meiner Homepage unter http://www.rainer-arnold.de/pdf/spd_positionspapier_afg.pdf

Die wichtigsten Punkte für uns sind:

- Der Schutz der Zivilbevölkerung, der auch in der noch verbleibenden Zeit im Mittelpunkt unseres Engagements stehen muss,

- eine deutliche Verstärkung der Aktivitäten im Bereich der Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Sicherheitskräfte und eine klare Festlegung auf endgültige Zielgrößen beim Aufbau von Polizei und Armee,

- die Erstellung eines konkreten Zeitplans für die schrittweise Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte in der Nordregion, der Beginn des Rückzugs der Bundeswehr parallel zur der von US-Präsident Obama in seiner „Westpoint“- Rede am 1. Dezember 2009 angekündigten Reduzierung der US-Truppen im Sommer 2011,

- Entwicklung und zeitliche Einordnung messbarer und qualitativer Fortschrittskriterien bei der Sicherheitssituation, der Armutsentwicklung, der Versorgung der Bevölkerung und bei weiteren Verbesserungen der afghanischen Regierungsführung;

- Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch die afghanische Armee und Polizei bis spätestens 2015, um die Voraussetzung für die endgültige Beendigung des Einsatzes der Bundeswehr in einem zeitlichen Korridor zwischen 2013 und 2015 zu schaffen,

- die Einbeziehung aller Kräfte des Landes in einen Waffenstillstands-, Friedens- und Versöhnungsprozess,

- deutlicher Aufwuchs der Hilfe beim zivilen Aufbau ohne zeitliche Befristung.

Während die SPD mit dem Zehn-Punkte-Plan, mit einer internationalen Konferenz, mit einem Positionspapier und mit einer Diskussion innerhalb der Partei frühzeitig die Debatte über einen Strategiewechsel und eine Abzugsperspektive bestimmt hat, konnte sich die Bundesregierung erst Ende Januar auf ein gemeinsames Konzept verständigen, das die Bundeskanzlerin einen Tag vor der Londoner Konferenz am 27.1. dem Bundestag präsentierte. Inzwischen hat die Bundesregierung einen neuen und veränderten Antrag zur Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr am ISAF-Einsatz vorgelegt. Zentrale Forderungen der SPD wurden von der Bundesregierung in ihren Antrag übernommen. Das betrifft zum Beispiel die Verdopplung der Mittel für den zivilen Wiederaufbau und die Erhöhung der Zahl der Ausbilder für die afghanischen Sicherheitskräfte. Die Bundesregierung hat sich auch unsere Forderung zu Eigen gemacht, in sicheren Distrikten so schnell wie möglich mit der Übergabe der Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände zu beginnen. Und auch in Bezug auf die von uns geforderte Abzugsperspektive hat die Regierung eingelenkt und angekündigt, der Abzug solle 2011 beginnen. Auf einen Zeitkorridor für die Beendigung des Einsatzes will die Regierung sich nicht festlegen. Aber Kanzlerin und Außenminister haben inzwischen einhellig erklärt, dass sie die afghanische Regierung darin unterstützen, bis 2014 die volle Sicherheitsverantwortung ohne ausländische Streitkräfte zu übernehmen. Angesichts der reflexhaften Empörung, die unser Vorschlag eines Korridors für den Abzug der Bundeswehr zwischen 2013 und 2015 am Anfang ausgelöst hat, ist das eine bemerkenswerte Entwicklung.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat von Beginn des Afghanistaneinsatzes an deutlich gemacht, dass der Kampf gegen den Terrorismus mit militärischen Mitteln allein nicht zu gewinnen ist und den neuen globalen Bedrohungen auf Dauer nur mit einer konsequenten zivilen Konfliktbearbeitung und Krisenprävention entgegen gewirkt werden kann. Wir erwarten, dass sich die Bundesregierung auch nach der Londoner Afghanistankonferenz aktiv und mit Nachdruck dafür einsetzt, dass die internationalen Bemühungen um einen Strategiewechsel weiter konkretisiert und zügig in die Tat umgesetzt werden. Es ist nicht Aufgabe und Ziel von ISAF, einen „Krieg“ in Afghanistan zu führen. Schwerpunkt des deutschen Afghanistan-Engagements muss auch weiterhin der Wiederaufbau und die Unterstützung der afghanischen Regierung zur Übernahme der Sicherheitsverantwortung im Land sein.

Unsere Zustimmung zur Neu-Mandatierung erfolgt für zwölf Monate. Sie ist verbunden mit dem klaren Auftrag für einen Strategiewechsel, der eine verantwortbare Abzugsperspektive öffnet. Während der kommenden zwölf Monate wird die SPD-Bundestagsfraktion sorgfältig darauf achten, ob die Bundesregierung ihre gemachten Zusagen einhält. Dies gilt insbesondere für den Umgang mit der „flexiblen Reserve“, aber auch mit Blick auf die notwendige Übergabe beruhigter Regionen in afghanische Verantwortung und weitere Vorbereitungen für die jetzt auch von der Bundesregierung für 2011 in Aussicht genommene Truppenreduzierung in Afghanistan. Ob hier Wort gehalten wird, ist eine Frage der Glaubwürdigkeit und des Verhältnisses von Parlament und Regierung im Umgang mit dem schwierigen Thema der Auslandseinsätze und wird nicht nur mit Blick auf künftige ISAF-Mandate, sondern bei allen künftigen Mandatsentscheidungen eine entscheidende Rolle spielen.

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Arnold