Frage an Rainer Arnold bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Portrait von Rainer Arnold
Rainer Arnold
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Rainer Arnold zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Daniel P. •

Frage an Rainer Arnold von Daniel P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Arnold,

am vergangenen Wochenende erfuhr ich, dass der Sohn einer Freundin der Familie im Einsatz in Afghanistan gefallen ist. Bereits vor diesem Tag habe ich die Nachrichten zum Afghanistan-Einsatz verfolgt, auch oder insbesondere weil mein Bruder über Weihnachten 2005/2006 in Kunduz stationiert war. Die derzeitige Diskussion um die Ausrüstung und Ausbildung unserer Soldaten ist mir daher sehr wichtig. Berichte, wie beispielsweise die der ZDF-Sendung Frontal 21, hierzu finde ich sehr beunruhigend. Dort wird von unzureichender Ausrüstung und unzureichender Vorbereitung gesprochen. Selbst Todesfälle hätten angeblich durch besser gepanzerte Fahrzeuge vermieden werden können. Weiterhin ist dort die Rede davon, dass aus “politischen Kalkül” heraus die Risiken bzw. Anforderungen des Einsatzes nicht klar in dem Umfang benannt würden, wie dies erforderlich wäre. Insbesondere soll der Ausrüstungmangel eine Folge hiervon sein. Sollte dies zutreffend sein, hielte ich das für eine Zumutung für die Soldaten.
Mich würde interessieren, wie Ihre Position hierzu ist. Mich würde auch interessieren, wie und in welchem Umfang und mit welcher Zielsetzung sich Deutschland Ihrer Meinung nach zukünftig in Afghanistan engagieren soll.

Mit freundlichen Grüßen,
Daniel Pape

Portrait von Rainer Arnold
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Pape,

vielen Dank für Ihre Email vom 8. April 2010. Bitte entschuldigen Sie die verspätete Antwort. Mit Bestürzung habe ich vom Todesfall in ihrem engen Bekanntenkreis gelesen. Ich möchte Ihnen und vor allem der Freundin Ihrer Familie mein tiefes Mitgefühl aussprechen.

In Ihrem Schreiben gehen Sie auf die aktuelle Diskussion über Mängel bei der Ausbildung und Ausrüstung unserer Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan ein. Diese Diskussion wird zurecht geführt. Auch ich beanstande z. B. nun schon seit fast drei Jahren die Ausrüstung des DINGOS, speziell was die Bewaffnung betrifft. Dies habe ich auch öffentlich getan. Das Verteidigungsministerium hat mir versichert, dass in Kürze die ersten DINGOS mit FLW 100 / 200 der Truppe zulaufen sollen. Dies ist ein erster wichtiger Schritt, wenn er auch ziemlich spät kommt. Dadurch wird aber der Eigenschutz der Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan deutlich verbessert.

Des weiteren bin ich der Auffassung, dass die Ausbildung auf den Fahrzeugen und an dem Gerät erfolgen sollte, die in Afghanistan zum Einsatz kommen. Es ist ein Unding, dass die-ses Ausbildungsgerät in Deutschland entweder nur eingeschränkt oder sogar überhaupt nicht zur Verfügung steht. Es kann doch nicht sein, dass auf altem Gerät ausgebildet wird und die Soldatinnen und Soldaten, wenn sie nach Afghanistan kommen, erst einmal eine 14?tägige Fahrschule machen müssen. Auch dies habe ich immer wieder im Verteidigungsausschuss, aber auch in öffentlichen Äußerungen bemängelt. Die Mitglieder des Verteidigungsausschusses waren sich - wenn wir mal die LINKE ausklammern - immer einig, dass für Soldaten im Einsatz die bestmögliche Ausrüstung mit höchstem Eigenschutz zur Verfügung stehen muss. Die Forderungen, die an uns Mitglieder herangetragen wurden, wurden auch immer umgesetzt. Ich sehe das Problem darin, dass das Militär seinen Bedarf - aus welchen Gründen auch immer - nicht präzise definiert und entsprechend in die Haus-haltsberatungen einbringt. Natürlich haben die Großprojekte wie A 400 M, EUROFIGTHER und NH 90 einen gewissen Verdrängungseffekt auf andere Beschaffungsvorhaben. Dies darf aber nicht dazu führen, dass der Bedarf für die Soldaten im Einsatz darunter leidet oder, dass nur unzureichend ausgebildet wird. Eine entsprechende Anfrage beim Verteidigungsministerium hat darüber hinaus ergeben, dass nun verstärkt auch das neue Gerät und die Fahrzeuge für entsprechende Ausbildung in Deutschland zulaufen. Dadurch wird ein wichtiger Schritt getan, den Schutz und die Sicherheit zu verbessern.

Ich stehe auch heute noch zu dem deutschen Engagement in Afghanistan. Gern möchte ich Ihnen meine Position darlegen.

Klar ist, dass ein stabiles Afghanistan auch im Interesse Deutschlands liegt. Trotz der Fortschritte beim Aufbau einer eigenen Sicherheitsstruktur ist die afghanische Regierung derzeit jedoch noch nicht in der Lage, in allen Teilen des Landes selbstverantwortlich für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Eine Fortsetzung des internationalen Engagements in Afghanistan ist also weiterhin erforderlich, um einen Rückfall des Landes in die Zeit des Bürgerkrieges, der Herrschaft der "Taliban" und deren Unterstützung der Terrorgruppierung "Al Qaida" zu verhindern. Ein unüberlegter und übereilter Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan, würde das bisher durch die internationale Gemeinschaft Erreichte zunichte machen.

Ein stabiles Afghanistan ist jedoch mit einer alleinig militärischen Bekämpfung von "Taliban" und "Al Qaida" nicht zu erreichen. Daher hat Deutschland in der Afghanistanpolitik von Beginn an einen umfassenden und ganzheitlichen Ansatz verfolgt, den die Sozialdemokratie in dem "erweiterten Sicherheitsbegriff" festgeschrieben hat. Dieser zielt darauf ab, durch eine Vielzahl von Maßnahmen, die Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch afghanische Kräfte ("selbsttragende Sicherheit") zu ermöglichen. Er schließt neben dem Einsatz internationaler militärischer Kräfte zum Schutz der Bevölkerung vor allem polizeiliche, gesellschaftspolitische, ökonomische, ökologische und kulturelle Aspekte ein.

Aus meiner Sicht ist es erforderlich, dass die Bundeswehr in ihrem Verantwortungsbereich im Norden Afghanistans für eine absehbare Zeit militärisch präsent bleibt. Sie schafft damit die militärische Voraussetzung für den Einsatz internationaler Hilfsorganisationen und die eigene humanitäre Hilfe. Ein ausschließlich ziviler Aufbau ist ohne eine militärische Schutzkomponente noch nicht zu erreichen. Sofort nach dem Abzug der ISAF würden “Taliban”, “Al-Quaida” und “Warlords” ähnliche Verhältnisse wie 2001 herstellen. Viele zivile Entwicklungsprojekte müssten eingestellt werden. Ein unüberlegter und übereilter Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan, wie manche diesen fordern, würde das bisher durch die internationale Gemeinschaft Erreichte also zunichte machen. Dieser auch für mich bedrückenden Realität können wir uns nicht verschließen.

Es steht für mich jedoch auch fest, dass sich die bisherige Politik der Weltgemeinschaft in Afghanistan als zu wenig erfolgreich erwiesen hat. Für das weitere Vorgehen sind Veränderungen erforderlich. Vor allem muss eine klare Perspektive für einen schrittweisen Abzug der internationalen Militärpräsenz entwickelt werden. Für diese Perspektive tritt die SPD ein.

Die Bundesregierung vertritt nach der Londoner Konferenz eine Position, in der sie eine Vielzahl der Forderungen der SPD berücksichtigt hat. Im Mittelpunkt der Bemühungen muss die rasche Übergabe der Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände liegen. Hierzu gehört vor allem die deutliche Verstärkung der Ausbildungsunterstützung für die afghanischen Streitkräfte und Polizei. Wie von der SPD gefordert, wird der Anteil der Soldaten, die in der Ausbildung der Afghanen eingesetzt werden, signifikant erhöht, und die “Übergabe in Verantwortung” bereits für Anfang 2011 angekündigt. Weitere Kampftruppen und ein “robusteres Mandat” haben wir abgelehnt und konnten uns hiermit auch durchsetzen. Auch die Forderung der SPD nach einer Verdoppelung der Aufwendungen für den zivilen Wiederaufbau hat die Bundesregierung fast vollständig berücksichtigt.

Darüber hinaus fordert die SPD jedoch, mit Blick auf die Sicherheitslage vor Ort, einen international abgestimmten Abzug der Bundeswehr in dem Zeitkorridor zwischen 2013 und 2015. Dies ist ebenso ein Wunsch der afghanischen Regierung, die wir noch stärker als bisher in die Pflicht nehmen müssen.

Die SPD wird sich auch weiterhin aktiv in die Gestaltung der Afghanistanpolitik der Bundesregierung einbringen. Insbesondere die Einbringung der von der Bundesregierung vorgesehenen sogenannten “flexiblen Reserve” von 350 Soldaten wir die SPD sehr kritisch beobachten. Im Mittelpunkt steht für uns nicht eine Erhöhung des militärischen Beitrages, sondern konkrete Vereinbarungen und Zieldaten, die eine Überführung Afghanistans in eine selbsttragende Sicherheit ermöglichen. Hierauf müssen alle Bemühungen ausgerichtet sein. Je schneller dieses Ziel erreicht wird, umso eher kann die Präsenz internationaler Truppen in Afghanistan reduziert und schließlich beendet werden.

In der Hoffnung, Ihnen meine Position näher gebracht zu haben verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Rainer Arnold