Frage an Ralph Brinkhaus bezüglich Reaktorsicherheit

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Ralph Brinkhaus
CDU
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Frage von Bernhard M. •

Frage an Ralph Brinkhaus von Bernhard M. bezüglich Reaktorsicherheit

Wäre die CDU/CSU nach dem 26. September bereit, der Stilllegung der Brennelementefabrik in Lingen und der Urananreicherungsanlage in Gronau zuzustimmen, um so eine schwarz/grüne oder grün/schwarze Koalition zu ermöglichen ?

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CDU

Sehr geehrter Herr Müller,

haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen.

Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt weder, wie die Bundestagswahl am 26.9. ausgehen wird, noch, wie die etwaigen Koalitionsverhandlungen dann laufen werden. Insofern ist es schwer, solchen Fragen jetzt vorwegzugreifen.

Grundsätzlich ist das Thema auch nicht so einfach zu bewerten. Ich habe aufgrund der Komplexität des Sachverhalts um eine fachliche Stellungnahme des BMWi gebeten, die wie folgt ausfällt:
„Eine Schließung der Brennelementefabrik der Advanced Nuclear Fuels (ANF; Lingen) und der Urananreicherungsanlage des Unternehmens URENCO (Gronau), die beide unbefristete Betriebsgenehmigungen haben, wäre allein durch Bundesgesetz möglich. Es bestehen aber seitens des BMWi größte Bedenken, dass eine solche Enteignungsregelung verfassungskonform wäre; in jedem Fall müsste eine finanzielle Entschädigung vorgesehen werden, die auch steigende Nachfrage und Marktpreise zu berücksichtigen hätte.

Der 2001 mit den Energieunternehmen vereinbarte und dann gesetzlich festgelegte Atomausstieg wurde mit Restrisiken begründet und umfasst allein die mit Kernspaltung betriebenen Kernkraftwerke zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität; andere Anlagen, in denen Kerntechnik genutzt wird, wie z.B. ANF und URENCO, waren hiervon bewusst nicht umfasst.

Die denkbaren Risiken aus diesen Anlagen sind nicht mit Kernkraftwerken vergleichbar. Bei ANF und URENCO findet keine Kernspaltung statt. Es wird jeweils nur mit geringen Mengen an Kernbrennstoffen hantiert. Selbst im Falle von schweren Unfällen ist eine Unterkritikalität gewährleistet, sodass keine über die reguläre Katastrophenschutzvorsorge hinausgehenden einschneidende Maßnahmen für die Nachbarschaft der Anlage nötig sind. Bei ANF und URENCO handelt es sich vielmehr um Unternehmen, die bei einer Risikobetrachtung mit anderen Unternehmen der Verfahrenstechnik und Chemieindustrie vergleichbar sind. Für bestimmte Chemieanlagen ist im Vergleich von einem deutlich höheren Risikopotential und der Notwendigkeit von einschneidenden Maßnahmen des Katastrophenschutzes im Fall von schweren Störfällen auszugehen.

Gegen die Schließung der Anlagen bestehen jeweils verfassungsrechtliche (Eigentumsfreiheit, Berufsausübungsfreiheit, Gleichheitssatz), europarechtliche (unionsrechtlich Eigentumsfreiheit und unionsrechtlicher Gleichheitssatz) und im Fall von URENCO auch völkerrechtliche Bedenken: Hier wäre die Kündigung des völkerrechtlichen Vertrages von Almelo sowie weiterer Abkommen zwischen Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika Voraussetzung für die Schließung der Anlage.

Weitere Bedenken gegen eine zwangsweise Schließung der Anlagen ergeben sich insbesondere aus außen- und wirtschaftspolitischen Aspekten. So würde mit der Schließung der Anlagen von ANF sowie URENCO und der damit einhergehenden Kündigung völkerrechtlicher Verträge ein (politischer) Reputationsschaden für den Standort Deutschland einhergehen, der den Ruf als Investitionsstandort sowie die Rolle Deutschlands als fairer Makler und kooperativer Partner in Frage stellen könnte. Ferner dürfte dies auch zu einer Belastung der auswärtigen Beziehungen insbesondere zu den Niederlanden und Großbritannien (Vertragsstaaten des Vertrages von Almelo), zu Frankreich (ANF ist Tochterunternehmen der franz. Framatome) sowie Belgien, der Schweiz, Frankreich und allen sonstigen Ländern führen, in denen Kernkraftwerke Brennelemente von ANF beziehen.

Zudem hat die Bundesregierung insbesondere am Fortbestand von URENCO und deren Technologietochter in Deutschland ein spezifisches Interesse, da diesen für die Verfolgung nichtverbreitungspolitischer, sicherheits- und außenpolitischer Belange erhebliche Bedeutung zukommt: Sie belegt Deutschlands Status als fortgeschrittener Technologiehalter, und trägt zur Legitimation von Deutschlands ständigem Sitz im Gouverneursrat der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) und der maßgeblichen Teilnahme an herausragenden internationalen Verhandlungen (z.B. Iran-Nuklearabkommen) bei. Ohne unmittelbares Anreicherungs-Knowhow wäre diese Position gefährdet.

Die ungeachtet des deutschen Atomausstiegs erfolgende Nutzung der Kernenergie zur Erzeugung von Elektrizität und ihre Entwicklung in den Nachbarstaaten Deutschlands sowie weltweit sind zu begleiten, um aktiv das deutsche Sicherheitsverständnis sowohl bilateral als auch multilateral weiterhin in die Diskussion sicherheitstechnischer Fragestellungen zu kerntechnischen Anlagen einbringen und an der Weiterentwicklung des internationalen Regel- und Normenwerks und des Standes von Wissenschaft und Technik mitwirken zu können.

Der Bundesregierung ist bekannt, dass in verschiedenen Nachbarländern der Betrieb bestehender Kernkraftwerke verlängert, bestehende Anlagen ersetzt oder Kernkraftwerke neu gebaut, geplant oder geprüft werden, bspw. in Frankreich, Finnland, Großbritannien, den Niederlanden sowie Mittel- und Osteuropa.

Eine zwangsweise Schließung der genannten Anlagen stünde auch dem im August 2020 vom Bundeskabinett beschlossenen „Konzept der Bundesregierung zur Kompetenz- und Nachwuchsentwicklung für die nukleare Sicherheit“ entgegen. Ausgehend von der Feststellung, dass die Bundesrepublik auf viele Jahrzehnte mit der Herausforderung sicherer nuklearer Entsorgung befasst sein wird, zielt die Kompetenzentwicklung gleichzeitig auf die Fortentwicklung der notwendigen Kompetenzen und Kapazitäten in Deutschland, um gerade auch neuen Entwicklungen im Ausland folgen, sie einschätzen und bereits im Entwicklungsstadium hinsichtlich ihrer Sicherheit positiv beeinflussen zu können. Hier ist auch der Beitrag von nuklearen Exportunternehmen wesentlich. Das Konzept bemerkt in diesem Zusammenhang: „Die Lieferung deutscher Güter und Leistungen kann zur Verbesserung der Sicherheit ausländischer Nuklearanlagen und der Vermittlung deutscher Sicherheitsphilosophie und -kultur in der konkreten Anwendung in der Praxis beitragen und eine Möglichkeit von Informationsrückfluss nach Deutschland aus der praktischen Anwendung im Ausland bilden. Dies wird sich in der Zukunft leichter aufrechterhalten lassen, wenn die in Deutschland ansässigen Unternehmen auf dem internationalen Markt aktiv bleiben.“

Mit freundlichen Grüßen
Ralph Brinkhaus

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