Frage an Sahra Mirow bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Sahra Mirow
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Frage von Silke S. •

Frage an Sahra Mirow von Silke S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Mirow,

aus meiner Sicht gibt es in Deutschland eine riesen Entpolitarisierung wichtiger Dinge. Die Themen im Wahlkampf sind m.E. vor allem Dinge, die man nicht beeinflussen kann. Trump, Erdogan/ Türkei, Ukraine/Putin. Stimmen Sie mir zu, dass alltägliche Dinge aus diesem Grund in den Hintergrund rutschen?
Ein Beispiel: Deutschland nimmt mehr Steuern ein, aber es gibt sehr viel Obdachlosigkeit. Es ist von 335 000 die Rede, siehe diese Link: http://www.deutschlandfunk.de/sozialstatistik-immer-mehr-obdachlose-in-deutschland.1818.de.html?dram:article_id=373118
Wozu noch Einwanderung, wenn nicht mal alle hiesigen Bürger*innen Wohnungen haben?
Ich habe eine Wohnung, in der ich ständig gestört bin, die zu klein ist. Doch ich bin krank und habe in Baden-Württemberg kaum eine Chance eine andere bezahlbare Wohnung zu bekommen. Warum investiert man nicht die massiven Steuereinnahmen zu einem größeren Teil für den sozialen Wohnungsbau? Aus meiner Sicht federt man die Folgen der Zuwanderung, der Globalisierung usw. nicht gerecht ab, stimmen Sie dem zu?

Zum anderen möchte ich Sie fragen, warum Deutschland nicht eine "große Schweiz" werden könnte? Ein souveräner Staat, ohne EU-Technokraten und EU-Bevormundung, mit sicheren Grenzen, mit Volksabstimmungen?
Sind Sie für eine Verlängerung der Legislaturperiode des Bundestags auf 5 Jahre? Wäre das nicht eine weitere Entdemokratisierung?
Was wollen Sie gegen Lobbyismus tun z.B. anhand eines Lobbyistenregisters? Und was wollen Sie tun, um die Macht von Global-Player, Banken und Großerben zu beschränken?

Mit freundlichen Grüßen

S. S.

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau S.,

leider sind die sozialen Themen in diesem Wahlkampf in den Hintergrund gerückt. Natürlich sind die Entwicklungen in der Türkei und in Russland wichtig, speziell mit Hinblick auf den Umgang mit der dortigen Opposition. Die internationale Gemeinschaft darf da nicht weggucken, sondern muss anti-demokratische Entwicklungen immer umgehend skandalisieren und Druck ausüben, damit die Menschenrechte eingehalten werden. Es ist aber schon sehr bezeichnend wenn Schulz auf ein zweites Kanzler(in)duell mit Merkel pocht, weil die sozialen Themen im ersten „Duell“ kaum eine Rolle gespielt haben. Da sehe ich ein grundsätzliches Problem. Als LINKE stehen soziale Gerechtigkeit und Friedenspolitik für uns ganz vorne und ich würde mir wünschen, dass diese beiden Felder ebenfalls stärker diskutiert würden.

Ich stimme Ihnen zu, dass wir dringend den sozialen Wohnungsbau wiederbeleben müssen. Nachdem die Wohngemeinnützigkeit 1990 abgeschafft wurde, hat man damit dem Markt die Schaffung von Wohnraum überlassen. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass weniger profitable Bereiche, wie bezahlbarer Wohnraum für kleine und mittlere Einkommen, völlig vernachlässigt wurden. Gerade in den urbanen Ballungszentren ist die Lage katastrophal. Es war mal normal, bis zu einem Drittel des eigenen Nettoeinkommens für die Miete auszugeben. Heute müssen kleine und mittlere Einkommensbezieher mitunter bis zu zwei Drittel aufwenden und eine Wohnung in der Stadt zu finden, die das Jobcenter als angemessen betrachtet, ist oft kaum noch möglich.

Es ist deswegen dringend geboten, die Bundesmittel für den geförderten Wohnungsbau bedarfsgerecht zu erhöhen und dafür zu sorgen, dass die Mittel auch in den Kommunen ankommen. Pro Jahr fordert DIE LINKE deswegen 250.000 neue Wohnungen. Hierfür sollen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die Wohnungsbaugenossenschaften, das Mietshäusersyndikat und Mietergemeinschaften in die Lage versetzt werden, Wohnungen zurückzukaufen. Für diese Rekommunalisierung müssen entsprechend Fonds aufgelegt und ein kommunales Vorkaufsrecht gestärkt werden. Damit die Mieten aber auch bezahlbar bleiben ist es unabdingbar, dass diese Wohnungen letztendlich auch dauerhaft in öffentlicher Hand bleiben.

Volksentscheide, wie in der Schweiz oft praktiziert, würde ich mir auch für Deutschland wünschen. Allerdings, und das ist wichtig, brauchen wir da eine andere Konzeption. Ich schließe mich dem Modell von Mehr Demokratie e.V. an – einer Gruppe, die sich für mehr Beteiligung und bundesweite Volksentscheide einsetzt und bei der ich auch Mitglied bin. Der zentrale Unterschied zu den Volksentschieden in der Schweiz ist die Einbeziehung des Bundesverfassungsgerichtes, das in dieser Konzeption Abstimmungsinhalte ob der Verfassungsmäßigkeit vorab prüfen würde. Das halte ich für wichtig, damit wir am Ende nicht über Minarette in Deutschland abstimmen, sondern nur über Inhalte, die auch grundgesetzlich vereinbar sind.

Die Einführung eines verbindlichen Lobbyregisters finde ich ebenfalls sehr wichtig. Lobbyismus ein an sich ja erstmal etwas ganz normales, schließlich versuchen auch Gewerkschaften und Sozialverbände für ihre Anliegen Gehör zu finden. Nur wenn die großen Wirtschaftsverbände mit wesentlich mehr Mitteln und Einwirkungsmöglichkeiten derart viel Gehör finden, dass sie sogar an der Erarbeitung von Gesetzesentwürfen direkt beteiligt werden, dann ist das ein Problem und unterhöhlt die Demokratie. Oder wenn hochrangige Politikerinnen und Politiker nach ihrer Mandatstätigkeit in gut dotierte Unternehmens- und Vorstandstätigkeiten wechseln und zwar in den Gebieten, in denen sie vorher im Bundestag gearbeitet haben, dann ist das ein Problem und wirft die Frage auf, ab wann man eigentlich von Korruption sprechen müsste.

Hier braucht es dringend geeignete Instrumente, wie beispielsweise eine strikte Karenzzeit, ein Verbot von Unternehmensspenden an Parteien und besagtes Lobbyregister, um dieser Einflussnahme entgegenzuwirken. DIE LINKE ist (leider) die einzige Partei, die keine Spenden von Unternehmen annimmt, das sollte sich in meinen Augen dringend ändern. Nur so können wir unabhängige Politik erwarten.

Global-Player und Großerben brauchen klare gesetzliche Vorgaben. DIE LINKE will große Erbschaften, Vermögen und große Unternehmen wieder stärker besteuern, das halte ich für den richtigen Weg. Warum zahlen Amazon, Starbucks und Co. kaum Steuern, die kleinen und mittleren Unternehmen aber schon? Gerade auch die Großen müssen zur Finanzierung des Allgemeinwohls angemessen herangezogen werden. Steuern müssen da bezahlt werden, wo mensch die Staatsbürgerschaft hat oder wo die Wertschöpfung stattfindet. Außerdem setzen wir uns für eine Angleichung des Unternehmenssteuerrechts auf EU-Ebene ein, um dem Steuerdumping-Wettbewerb einen Riegel vorzuschieben. Öffentliche Infrastruktur zerfällt, nicht nur in Deutschland. Höchste Zeit, dass auch die richtig Reichen und Großunternehmen wieder stärker zur Verantwortung gezogen werden.

Mit besten Grüßen
Sahra Mirow