Frage an Sahra Wagenknecht bezüglich Wirtschaft

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Sahra Wagenknecht
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Frage von Markus S. •

Frage an Sahra Wagenknecht von Markus S. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Wagenknecht,

ich wende mich heute mit einer Frage an Sie, die einen großen Teil der politisch interessierten Bundesbürger beschäftigt:

Wie stehen Sie zu dem Entwurf des ESM Vertrages, welcher mit einem Startkapital von EUR 700 Milliarden, versehen mit der Möglichkeit der Nachforderung in beliebiger Höhe (also unbegrenzt), mit einer bedingungslosen und unwiderruflichen Zahlungsverpflichtung im Wesentlichen durch die Bundesrepublik Deutschland (Zahlungsfrist: 7 Tage) ausgestaltet ist?

Der deutsche Haftungsanteil beträgt zunächst (vor unbegrenzter Nachforderungsmöglichkeit) ca. EUR 210 Milliarden. Ein deutscher Bundeshaushalt hat ein Volumen von ca. EUR 310 Milliarden.

Auf die totale Immunität der Führung des ESM und seiner Angestellten möchte ich hier gar nicht im Detail eingehen. Für mich sind die Größenordnungen der Haftungssummen, die ja nach oben offen sind, schockierend genug.

Zwar handelt es sich hier zunächst um Eventualverbindlichkeiten, doch Sie als selbständiger Kaufmann haben sicher eine Vorstellung davon, dass Bürgschaften im Zweifel auch einzulösen sind.

Besteht ein Finanzierungsplan für diese gigantischen Zahlungsverpflichtungen, welche Steuern werden erhöht, welche Leistungen gesenkt um im ersten Schritt (!) EUR 210 Milliarden leisten zu können?

Sind Sie der Ansicht ein Mandat zu haben, für eine solche weit reichende Entscheidung, die auch künftige Generationen betrifft ?

Wie steht es mit rechtlichen Bedenken (No Bailout Klausel, Grundgesetz)?

Ihrer Antwort sehe ich mit Interesse entgegen.

Mit freundlichen Grüßen

Markus Schneider

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BSW

Sehr geehrter Herr Schneider,

vielen Dank für Ihre Frage zu einem so wichtigen Thema.

Am vergangenen Donnerstag hat der Deutsche Bundestag über den Euro-Rettungsschirm EFSF abgestimmt. DIE LINKE hat als einzige Fraktion geschlossen gegen die Erweiterung der EFSF gestimmt, da wir es nicht verantworten können, dass weitere Steuermilliarden verbrannt werden, um Bankprofite zu sichern. Der sogenannte Euro-Rettungsschirm wird den Euro nicht retten – im Gegenteil. Die den Krisenländern verordneten Kürzungsprogramme werden nämlich zu mehr Armut, mehr Arbeitslosigkeit und noch mehr Schulden führen. Stattdessen zielt der Schirm darauf ab, den Banken Zeit zu kaufen, damit diese sich vollends aus der Verantwortung stehlen können. Dies trifft auf die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) genauso zu wie auf den geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der die EFSF spätestens 2013 ersetzen soll.

Sie haben völlig Recht, dass diese Bürgschaften im Notfall, d.h. bei einer Staatspleite und einem Schuldenschnitt, auch fällig werden. Nach Auskunft des Bundesministers der Finanzen haftet Deutschland im Rahmen des von der Bundesregierung geplanten erweiterten Euro-Rettungsschirms neben den 211 Mrd. Euro zusätzlich für Zinsen. Laut Deutscher Bank kämen im Haftungsfall insgesamt bis zu 400 Mrd. Euro an Kosten auf Deutschland zu.

Ich teile Ihre Ansicht, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ein Recht darauf haben, von der Bundesregierung zu erfahren, wer für diese Kosten im Notfall aufkommen soll. Die Linksfraktion hat die Bundesregierung dazu aufgefordert, eine verbindliche Garantieerklärung darüber abzugeben, dass im Haftungsfall des Euro-Rettungsschirms Löhne, Renten und Sozialleistungen nicht gekürzt, Steuern, die die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger zu tragen haben, nicht erhöht werden und das Geld der Sparerinnen und Sparer sicher ist. Dies hat die Bundesregierung leider abgelehnt. Stattdessen denkt Finanzminister Schäuble darüber nach, wie der Euro-Rettungsschirm „gehebelt“ werden kann, damit er noch mehr und noch riskantere Geschäfte tätigen kann.

Auch ihre rechtlichen Bedenken kann ich gut verstehen. Nach unserer Ansicht ist die Konstruktion der Euro-Rettungsschirme (EFSF und ESM) nur schwer sowohl mit deutschem Recht als auch den europäischen Verträgen vereinbar. Es kann nicht sein, dass Entscheidungen über Milliardensummen am Parlament vorbei getroffen werden. Daher haben wir von der Bundesregierung ein Begleitgesetz zur EFSF gefordert, dass dem Bundestag im Hinblick auf die EFSF umfassende Mitwirkungs- und Kontrollrechte sichert.

Wir sind der Ansicht, dass die Eurokrise in erster Linie das Ergebnis teurer Bankenrettungspakete und entfesselter Spekulation auf den Finanzmärkten ist. Auch immer neue Steuersenkungen für Reiche haben die Staaten arm gemacht. Die europäische Schuldenkrise und der wachsende private Reichtum sind daher zwei Seiten derselben Medaille. Statt den Finanzhaien weitere Steuermilliarden in den Rachen zu werfen, wollen wir die Profiteure und Verursacher der Krise zur Kasse bitten. Nötig ist eine Entschuldung der Krisenländer und eine Sanierung des europäischen Bankensystems – finanziert über eine Vermögensabgabe für Millionäre und Multimillionäre. Zudem muss die Demokratie von der Diktatur der Finanzmärkte befreit werden, indem die Staatsfinanzierung von den Launen der Investmentbanker und Ratingagenturen unabhängig gemacht wird und die privaten Banken in gesellschaftliches Eigentum überführt und strikt reguliert werden. Schließlich muss das deutsche Lohndumping beendet und die Binnenwirtschaft gestärkt werden, da nur so die bestehenden Ungleichgewichte in der Eurozone abgebaut werden können.

Mit freundlichen Grüßen
Sahra Wagenknecht

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