Werden Sie dem Antrag 20/4886 der CDU/CSU-Fraktion zum Thema ME/CFS zustimmen?

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Sönke Rix
SPD
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Frage von Carolin R. •

Werden Sie dem Antrag 20/4886 der CDU/CSU-Fraktion zum Thema ME/CFS zustimmen?

Sehr geehrter Herr Rix,
laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung haben 500.000 Menschen in Deutschland die Diagnose der neuroimmunologischen Erkrankung ME/CFS (G93.3). Zusätzlich ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen (https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/138766/ME-CFS-ist-fuer-die-allermeisten-Betroffenen-eine-schwere-und-chronische-Erkrankung). Ich bin eine dieser Erkrankten.
Am 19.1.2023 wurde der Antrag 20/4886 im Bundestag diskutiert und es herrschte fraktionsübergreifende Einigkeit, dass dringend etwas passieren müsse, um den Erkrankten zu helfen. Gerne möchte ich daher erfahren, ob Sie persönlich diesem Antrag zustimmen werden.
Ich freue mich auf Ihre Rückmeldung. Vielen Dank und beste Grüße aus Schleswig-Holstein

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SPD

Sehr geehrte Frau R.,

ich werde dem Antrag 20/4886 nicht zustimmen.

Das mag Ihnen auf den ersten Blick unverständlich vorkommen, da der Antrag tatsächlich ein wichtiges, lange vernachlässigtes, Thema aufgreift. Die Plenardebatte und die öffentliche Anhörung, die zu dem Antrag im Mai stattgefunden hat, hat gezeigt, dass es großen Handlungsbedarf gibt. Leider lässt der Antrag der Unionsfraktion an vielen Stellen die notwendige Seriosität vermissen. Viele der formulierten Forderungen liegen außerhalb des Kompetenzbereichs der Bundesregierung. So entscheidet die Bundesregierung – um nur ein paar Beispiele zu nennen – weder über die Aufnahme von ME/CFS in die ambulante spezialfachärztliche Versorgung, noch über die Berücksichtigung in den Curricula bzw. Lernzielkatalogen der medizinischen Fakultäten.

Dazu kommt, dass die Union mit ihrem Antrag im Grunde genommen offene Türen einrennt, denn das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) haben bereits in enger Abstimmung mit dem Parlament unterschiedliche Maßnahmen eingeleitet:

Die konkreten Ursachen von ME/CFS sind im Detail noch nicht bekannt, da es sich um ein sehr vielfältiges Krankheitsbild handelt. Grundlagenforschung ist daher das Gebot der Stunde. Das BMBF fördert deshalb die Etablierung der Nationalen Klinischen Studiengruppe „Post-Covid Syndrom und ME/CFS“ zur Durchführung von klinischen Phase II-Studien mit insgesamt zehn Millionen Euro bis Ende 2023. Hier sollen bereits zugelassene Medikamente identifiziert werden, die bei positiven Studienergebnissen schnell in die Versorgung gelangen können.

Das BMG wiederum fördert einen Verbund des Klinikums rechts der Isar der TU München und der Charité Berlin. Ziel ist der Aufbau eines altersübergreifenden klinischen Registers mit einer Biodatenbank. Die durch das Register gewonnenen Daten werden ausdrücklich auch Patientinnen und Patienten mit ME/CFS nach einer COVID-19-Infektion erfassen.

Die gemeinsamen Anstrengungen der Bundesregierung werden in einem beim BMG angesiedelten Arbeitsstab zwischen den beteiligten Ressorts fortlaufend koordiniert. In die Arbeit des Stabes fließen kontinuierlich auch Hinweise und Forschungsanstrengungen aus aller Welt ein. Darüber hinaus hatte das BMG das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bereits im März 2021 damit beauftragt, den aktuellen Wissenstand zu ME/CFS bis Juni 2023 systematisch aufzuarbeiten. Das IQWiG hat am 15.05.2023 einen umfassenden vierteiligen Bericht vorgelegt. Darin wird ausführlich auf den Wissensstand zum Krankheitsbild sowie die Studienlage zu etablierten Therapieverfahren und deren Nutzen eingegangen. Der Bericht stellt fest, dass die Evidenzlage zur Behandlung von ME/CFS schwach und die Erkrankung insgesamt noch wenig verstanden ist. Dennoch wurden Empfehlungen zu notwendigen und weitergehenden Gesundheitsinformationen sowie Handlungsoptionen für die Gesundheitspolitik, Ärzteschaft und Wissenschaft formuliert. Gemeinsam mit der Bundesregierung sind wir nun mit der Auswertung dieser Informationen befasst.

Im Lichte dieses Berichts werden die bereits laufenden Aufklärungskampagnen – beispielsweise durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) – weiter ausgebaut. Dies wird jedoch noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Darüber hinaus hat der Bundesminister für Gesundheit, Prof. Dr. Karl Lauterbach, jüngst die Dringlichkeit verstärkter Forschungsanstrengungen zu Long-Covid und ME/CFS öffentlich unterstrichen und angekündigt, sich in den Haushaltsberatungen des Deutschen Bundestages für die Aufstockung der Forschungsmittel für diesen Bereich einzusetzen.

Die Ampelkoalition hat sich außerdem in ihrem Koalitionsvertrag auf das Ziel der Schaffung eines deutschlandweiten Netzwerks von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen für Long-COVID und ME/CFS-Betroffene verständigt. Zur Umsetzung dieser Vereinbarung mit den Ländern und Kassenärztlichen Vereinigungen laufen zwischen den beteiligten Ressorts der Bundesregierung intensive Gespräche. Mit einer Umsetzung rechne ich in der zweiten Jahreshälfte 2023.

Selbsthilfevereinigungen und die Akteure des Gesundheitswesens sind aber ihrerseits bereits aktiv geworden und haben Anlaufstellen für die betroffenen Menschen und ihre Angehörigen identifiziert und veröffentlicht. Beispiele sind das Fatigue Centrum der Charité — Universitätsmedizin Berlin oder auch das Netz von Long-Covid-Ambulanzen. Um die Versorgungssituation zügig weiter zu verbessern, haben wir im Parlament mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz im Dezember 2022 den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, gesetzlich damit beauftragt, bis zum 31. Dezember 2023 eine Richtlinie für eine berufsgruppenübergreifende koordinierte und strukturierte Versorgung für Personen mit Long-/Post-COVID zu beschließen. Der G-BA kann dabei den Anwendungsbereich der Richtlinie auch auf die Versorgung von ähnlichen oder hiermit in Verbindung stehenden Krankheitsbildern erstrecken. Hierfür käme auch ME/CFS in Betracht. 

Mir ist bewusst, dass trotz aller Anstrengungen die Forschungs- und Versorgungslage für die betroffenen Menschen derzeit noch nicht zufriedenstellend ist. Darum werden wir als SPD-Bundestagsfraktion nicht nachlassen, auf Ihr Anliegen im Rahmen unser Möglichkeiten bei Wissenschaft, Forschung und Ärzt:Innenverbänden hinzuweisen, Fortschritte anzumahnen und durch finanzielle Mittel zu unterstützen.

Ihnen persönlich wünsche ich eine baldige Besserung Ihrer gesundheitlichen Situation.

Mit freundlichen Grüßen

Sönke Rix

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