Frage an Sören Bartol bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Sören Bartol
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Frage von Philip K. •

Frage an Sören Bartol von Philip K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Bartol,

Danke für ihre vorige Antwort, diesmal möchte ich sie gerne um eine Stellungnahme zu einem Gutachten bitten.

Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein hat heute ein Gutachten zum den Themen Vorratsdatenspeicherung, Telekommunikationsüberwachung und heimliche Ermittlungsmaßnahmen veröffentlicht (siehe https://www.datenschutzzentrum.de/presse/20070628-vorratsdatenspeicherung.htm ), in dem qualifiziert beschrieben ist, was ich persönlich, viele informierte Menschen und die Datenschützer in Deutschland von obigem Themenkomplex halten. Zu viele (wenn nicht sogar alle) der angedachten Sicherheitsgesetze sind unverhältnismäßig, über alle Maßen verfassungsfeindlich und decken zudem nur Staats- und Lobbyinteressen (hier sei z.B. die Musikindustrie genannt), nicht jedoch die Interessen der Bürger. Ich frage mich regelmäßig, wieso scheinbar niemand der Entscheider in der Regierung auf so intelligente Leute, wie Herrn Peter Schaar (Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit) oder andere Experten hört und einfach alle Sicherheitsgesetze gegen jegliche Vernunft und Argumentation auf den Weg gebracht werden.

Ich glaube die SPD als Partei bzw. Sie als MdB sollten sich dringend um eine Politik für ein freies und offenes Deutschland bemühen (ganz konträr zu dem, was ihr Koalitionspartner und Teile aus ihren eigenen Reihen gerade machen – Stichwort Überwachungsstaat). Wenn man aktuelle Meinungsumfragen sieht, findet bei der CDU/CSU ein reger Zulauf statt und die SPD verliert. Für Deutschland erachte ich eine alleinige CDU/CSU Regierung als extrem schädlich, wenn man betrachtet was die Politiker dieser Parteien unserem freien Rechtsstaat antun wollen.

Was ist Ihr Rat an alle mündigen Bürger, wie kann man sich dem Thema annehmen?

Es ist schlimm genug, dass es eine weit verbreitete Einstellung ist, zu sagen mich gehen solche neuen Gesetze nichts an, denn ich habe ja nichts zu verbergen…

Viele Grüße,
Philip Kaufmann

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SPD

Sehr geehrter Herr Kaufmann,

als Sozialdemokrat stehe ich jeder Ausweitung von Sicherheitsmaßnahmen zulasten von Bürgerrechten nicht zuletzt aufgrund der geschichtlichen Erfahrung kritisch gegenüber. In einem Rechtsstaat muss die Balance von Freiheit und Sicherheit gewährleistet sein - auch bei einer veränderten Gefährdungslage, wie sie der internationale Terrorismus bedeutet.

Die Bedrohung und die damit verbundene Angst der Menschen zu instrumentalisieren, um in Richtung eines Überwachungsstaates zu marschieren, halte ich für gefährlich und falsch. Einige Äußerungen, mit denen Herr Schäuble in der Anti-Terror-Debatte für Schlagzeilen gesorgt hat, sind hier in der Tat Besorgnis erregend. Insbesondere mit Forderungen nach Verfassungsänderungen darf man nicht inflationär umgehen, mehr Zurückhaltung wäre wünschenswert gewesen. Nicht zuletzt weil Deutschland insgesamt sehr gut gegen die Terrorgefahr gerüstet ist. Es gibt nur wenige Bereiche, für die man eine Anpassung des Instrumentariums prüfen muss, etwa wenn Terroristen bei Anschlagsvorbereitungen modernste Kommunikationstechnologien nutzen.

Die in dem Gutachten des unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holsteins geäußerten Einwände zu den hier vorgesehenen Maßnahmen haben einige meiner persönlichen Bedenken verstärkt. Inwieweit der darin geäußerte Vorwurf der Vefassungsfeindlichkeit auf einzelne Punkte zutrifft, wird nun innerhalb des Bundesministeriums der Justiz geprüft.

Zur Vorratsdatenpeicherung: bei dem von Bundesjustizministerin Zypries vorgelegten Entwurf zur Vorratsdatenspeicherung handelt es sich um die Umsetzung einer entsprechenden EU-Richtlinie. Der Entwurf bewegt sich am unteren Rand der Vorgaben dieser Richtlinie. Schon mit dem in Brüssel erzielten Kompromiss war es unter Beteiligung von Frau Zypries gelungen, ein Ergebnis zu erarbeiten, das neben der Kriminalitätsbekämpfung auch die Verpflichtung zur Wahrung der Bürgerrechte ernst nimmt und die Vorratsdatenspeicherung auf das reduziert, was erforderlich und angemessen ist. So konnte etwa die von den Initiatoren hier ursprünglich vorgehene Speicherfrist von 36 Monaten in langen Verhandlungen auf 6 reduziert werden.

Nun hat sich die EU-Generalanwältin Juliane Kokott am 18. Juli in ihrem Schlussantrag im EuGH-Verfahren "Promusicae gegen Telefónica de España SAU" für eine enge Zwecksetzung in der Vorratsdatenspeicherung und gegen eine Weitergabe erhobener Vorratsdaten an nichtstaatliche Stellen ausgesprochen. Dies folge, so der Antrag, aus den EU-Datenschutzbestimmungen. Der Schlussantrag spricht sich aber nicht gegen die Vorratsdatenspeicherung an sich aus. Diese Frage wurde sogar explizit offen gelassen (Nr. 81 d. Antr.) Ein Schlussantrag des Generalanwalts dient den Richtern in einem EuGH-Verfahren als Entscheidungsgrundlage, nimmt das Urteil jedoch noch nicht vorweg. In der Mehrheit der Fälle folgen die Richter jedoch dem Votum des Generalanwalts. Um sagen zu können, was das für den Entwurf aus dem Bundesjustizministerium bedeutet, ist jetzt das Urteil des EuGH abzuwarten.

In der Sache der Online-Durchsuchungen vertritt meine Partei die Auffassung, diese nicht in das geplante BKA-Gesetz aufzunehmen, sondern das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im kommenden Frühjahr abzuwarten. Solange ungeklärt ist, wie zur Terrorbekämpfung relevante Inhalte von der Festplatte gezogen werden können, ohne gleichzeitig in ebenfalls dort abgelegten Liebesbriefen zu stöbern, wäre es politisch unverantwortlich, Online-Durchsuchungen in die BKA-Novelle hineinzunehmen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dazu nun einen Fragenkatalog vorgelegt. Bevor dieser nicht hinreichend beantwortet ist, lehnen wir weitere Entscheidungen ab.

Sie fragen, was man als Bürger tun kann, um politische Entscheidungen zulasten von Freiheitsrechten zu verhindern. Zunächst: Demokratie braucht Partizipation. Sie braucht eine kritische Öffentlichkeit, Medien, die den Mächtigen auf die Finger schauen und Bürgerinnen und Bürger, die sich engagieren. In einer freien Gesellschaft gibt es viele Möglichkeiten politisch aktiv zu werden - in Parteien, Initiativen, Organisationen oder Vereinen. Ich kann nur jedem empfehlen, dies gemäß seiner Überzeugung zu tun.

Der Weg hin zu einer Ausweitung von Sicherheitsmaßnahmen, die eine kontinuierliche Einschränkung von Freiheitsrechten bedeuten, ist mit der SPD jedenfalls nicht zu machen. Man kann die Freiheit nicht verteidigen, indem man sie abschafft.

Mit freundlichen Grüßen
Sören Bartol

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