Frage an Stefan Kaufmann von Sigfrido H. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Kaufmann,
in folgendem Auszug Ihrer Antwort an Hrn. Purwin erklären Sie "...Im Übrigen sind Kostensteigerungen und Bedenken bei großen Infrastrukturprojekten gerade bei langen Planungszeitläufen üblich..." Zitatende
Wogegen es bei Großprojekten innerhalb der Privatwirtschaft auch mit langen Planungsabläufen für Lieferanten undenkbar ist, Kosten um 60 oder 70% einfach so anzuheben. Es drohen der Rauswurf aus dem Projekt oder Konventionalstrafen.
Staatliche Auftraggeber, hier von Stuttgart 21, nehmen es aber seelenruhig hin, dass die Kosten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit explodieren werden. Der Bundesrechnungshof bleibt ungehört, der Landesrechnungshof glänzt durch Abwesenheit. Staatliches controlling, so mein Eindruck ist ungewollt. Dann beschwert sich der Bürger auch über die horrenden Kosten und wird mit politisch gewollter Polizeigewalt eingeschüchtert und verprügelt.
In mehreren Berichten des investigativen Journalismus (Financial Times Deutschland, Frontal 21, Der Spiegel) wird erwähnt, dass sich die Kosten im zweistelligen Milliardenbereich ansiedeln werden.
Die Zeitschrift Stern spricht sogar von verschwiegenen Unwägbarkeiten. Die genannten Medien haben schon in der Vergangenheit mit ihren fundierten Rechercheergebnissen für Transparenz gesorgt.
Wie können Sie mir als Bürger die Befürchtung nehmen, dass es bei dem Grossprojekt Stuttgart 21 `nicht mit rechten Dingen´ zugeht? Wir befinden uns in der schlimmsten Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik und jeder ungerechtfertigte Euro mehr an Staatsausgaben, ist nicht hinnehmbar.
Stuttgart 21 ist für 2 Mrd. Euro (absolute Preisgarantie) nicht zu realisieren? Dann muss es gestoppt werden, es ist uns teuer, wir brauchen nicht noch ein Faß ohne Boden. Schließlich haben wir ja noch die 190 Mrd. für die HRE zu bezahlen. Mit diesen Geldern könnten wir hunderte von versifften Bahnhöfen herrichten und Schienen instandsetzen statt Prunkbauten zu errichten.
Mfg. S. Hartwig
Sehr geehrter Herr Hartwig,
herzlichen Dank für Ihre E-Mail. Gerne will ich Ihnen antworten.
Der von Ihnen zitierte Passus bezog sich auf die vergangenen Kostensteigerungen, die in einem Zeitraum von 15 Jahren entstanden sind und künftige inflationsbedingte Preissteigerungen berücksichtigt. Es ist schlicht falsch, dass die Kosten von heute auf morgen „einfach so“ um 60 bis 70 Prozent angehoben wurden.
Ihren Vergleich mit der Privatwirtschaft halte ich für sehr gewagt. Es wurde viel darüber diskutiert, unser Eisenbahnnetz im Zuge einer Bahnprivatisierung zu privatisieren. Aus gutem Grund haben sich solche hauptsächlich von der FDP befürworteten Überlegungen nicht durchgesetzt. Kostensteigerungen wären dann nur deshalb unwahrscheinlicher, weil ein privater Netzbetreiber überhaupt kein Interesse hätte, in irgendeiner Form ins Netz zu investieren. Beispiele wie Großbritannien zeigen die fatalen Folgen einer solchen Privatisierung. Ich bin von den positiven Effekten eines freien Markts überzeugt, aber nicht in diesem Bereich. Deshalb ist ein Vergleich mit einem Privatunternehmen hier auch fehl am Platz.
Zu Ihrem Vergleich der Kosten von Stuttgart 21 mit der Bankenrettung habe ich hier auf Abgeordnetenwatch schon mehrfach Stellung bezogen. Staatliche Bürgschaften (und nicht Zahlungen) zur Sicherung der Stabilität unserer Währung eignen sich nicht, vollständig finanzierte, über Jahrzehnte geplante und im Bau befindliche Infrastrukturprojekte in Deutschland in Frage zu stellen. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob man Stuttgart 21 befürwortet oder nicht. Deutschland ist in Zukunft auf eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur angewiesen, die leider schon heute nicht überall gegeben ist. Neben sicherlich notwendigen Einsparungen und Effizienzeigerungen sollte man gerade im Verkehrsbereich auch die Einnahmeseite überprüfen. Ich befürworte beispielsweise die Einführung einer PKW-Maut in Form einer Vignette für die Benutzung der Bundesautobahnen. Damit könnte der Ausbau und Erhalt des Bundesfernstraßennetzes mitfinanziert werden, freiwerdende Mittel könnten der Bahninfrastruktur zu Gute kommen.
Die von Ihnen aufgeführten Beispiele des „investigativen“ Journalismus beziehen sich weitgehend auf vom BUND und den Grünen in Auftrag gegebene Gutachten der Vieregg und Rößler GmbH aus München. Diese Beratungsfirma besteht aus zwei Personen: einem Betriebswirtschaftler und einem Psychologen/Soziologen und steht wg. strittiger Gutachten im Nahverkehr in München schon länger in der Kritik. Wirklich „investigativer“ Journalismus darf und soll Großprojekte wie Stuttgart 21 kritisieren. Mit Gefälligkeitsgutachtern ist dies aber nicht möglich.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Stefan Kaufmann