Frage an Stefan Schmidt bezüglich Politisches Leben, Parteien

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Stefan Schmidt
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Frage von Andreas S. •

Frage an Stefan Schmidt von Andreas S. bezüglich Politisches Leben, Parteien

Lieber Herr Schmidt,

sicher ist Ihnen die Petition zur Erhaltung von Volksabstimmungen im neuen Grundsatzprogramm der Grünen bekannt.
Als Stammwähler der Grünen in Bayern frage ich mich, wie Sie dazu stehen und ob Sie den Erhalt der Volksabstimmungen als Ziel in Ihrem Grundsatzprogramm auf dem anstehenden Parteitag unterstützen würden?

Mit besten Grüßen,
Andreas Spitzmüller

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Spitzmüller,

vielen Dank für Ihre Nachricht und die damit verbundene kritische Hinterfragung, in welcher Form Bürger*innenbeteiligung in unserem Grundsatzprogramm vorgeschlagen wird. Ich kann Ihre Bedenken nachvollziehen, dennoch sehe ich selbst Volksentscheide auf Bundesebene äußerst kritisch.

Die Entwicklungen der letzten Jahre haben Fragen aufgeworfen nach den Bedingungen, unter denen Verfahren der direkten Demokratie auf Bundesebene fair, transparent und sauber ablaufen können. Die immer stärkere Bedeutung der sozialen Medien, die für Desinformationskampagnen anfällig sind, der erkennbare Versuch ausländischer Regierungen, auf die Meinungsbildung in Deutschland mit Kampagnen Einfluss zu nehmen - all das hat sich geändert in den letzten Jahren.
Auf kommunaler Ebene gab es einzelne Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, bei denen zunächst völlig intransparent war, wer dahinter steckt, und sich dann heraus stellte, dass Kampagnen von Interessengruppen finanziert waren, etwa dem Wettgewerbe. Solche Entwicklungen müssen wir im Auge behalten und darauf reagieren, damit nicht Instrumente der direkten Demokratie zu neuen Instrumenten von Lobbygruppen werden, die ohnehin schon sehr viel Einfluss haben.
Während wir in Bayern gute Erfahrungen mit Volksbegehren gemacht haben, sehe ich die Umsetzung in anderen Bundesländern kritisch, weil dort auch Fragen zur Abstimmung gestellt werden, die rechtlich abgeschlossen sind, etwa durch Planfeststellungsverfahren. Das heißt, den Wählerinnen und Wählern wird suggeriert, dass sie noch eine Entscheidungsmöglichkeit haben, wo dies gar nicht mehr der Fall ist. Das entwertet solche Instrumente. Auch das ist zu beachten.
Schließlich sehe ich nach langen Jahren der Erfahrung mit direktdemokratischen Elementen, dass sie das Problem bergen, dass dort zwar für artikulationsstarke, gut organisierte Bürgerinnen und Bürger eine wünschenswerte neue Einflussmöglichkeit geschaffen wurde. Aber Menschen, denen die Ressourcen dafür fehlen, weil sie in benachteiligenden Lebensumständen leben, sind von solchen Instrumenten oft ausgeschlossen. Auch darauf müssen wir eine Antwort finden, damit die Gesellschaft nicht weiter zerfällt in Menschen mit sehr guten und Menschen mit sehr geringen Chancen gehört zu werden.

Sie sehen also, es gibt sehr viel zu debattieren zu diesem Punkt. Im Entwurf für unser Grundsatzprogramm, was beim Parteitag verabschiedet werden soll, werden Bürger*innen-Räte als Instrument der direkteren Beteiligung und Mitbestimmung vorschlagen. Mit diesen soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei ausgewählten Themen die Alltagsexpertise von zufällig ausgewählten Bürger*innen noch direkter in die Gesetzgebung einfließen zu lassen. Bürger*innen-Räte können nach unserer Vorstellung auf Initiative der Regierung, des Parlaments oder als Bürgerbegehren, also von unten aus der Bevölkerung heraus zu einer konkreten Fragestellung eingesetzt werden. Das soll auch auf Bundesebene möglich sein.

Direktere Beteiligung und Mitbestimmung der Bürger*innen bleibt uns Grünen wichtig. Denn die Essenz unserer Demokratie ist, dass Perspektiven aktiv eingebracht werden können. Eine vielfältige Demokratie braucht Einmischung, Repräsentanz, Lust zur Auseinandersetzung und Kompromissfähigkeit. Wir wollen, dass unsere Bevölkerung die Möglichkeit bekommt, die politische Agenda stärker selbst zu gestalten. Dieses Grundprinzip grüner Politik wird sich auch in unserem neuen Grundsatzprogramm wieder spiegeln.

All das sind Gründe, warum der Bundesvorstand Bürger*innen-Räte für die geeignete Form direkter Beteiligung auf Bundesebene hält. Aber wie Sie wissen, sind wir GRÜNE schon seit unserer Gründung eine basisdemokratisch ausgerichtete Partei. Unsere Mitglieder haben ein großes Mitspracherecht bei der künftigen Programmatik und bislang sind in unserer Parteizentrale weit über 1.000 Änderungsanträge zum neuen Grundsatzprogramm eingegangen, einige auch zu der Frage direkter Beteiligung und direkter Demokratie. Auf unserem (digitalen) Parteitag vom 20. bis 22. November werden wir unser neues Grundsatzprogramm und die Änderungsanträge ausgiebig diskutieren und dann das Programm in seiner endgültigen Fassung beschließen. Es bleibt also spannend.

Mit freundlichen Grüßen

Stefan Schmidt

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