Frage an Stephan Kühn bezüglich Arbeit und Beschäftigung

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Stephan Kühn
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Petra A. •

Frage an Stephan Kühn von Petra A. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Kühn,

wenn eine Zuwanderung unkontrolliert und nicht in Abstimmung mit den Menschen sondern rein aus ökonomischen oder politischen Gründen erfolgt, ist diese dann gut? Verlierer sind aus meiner Sicht unqualifizierte Zuwanderer, die mit zu großen Erwartungen und Versprechungen nach Deutschland kommen, aus ihrem gewohnten Lebensumfeld herausgerissen werden und mit der Kultur und der Gesellschaft in unserem Land nicht zurechtkommen. Aber aus meiner Sicht kann auch die hiesige Bevölkerung ein Verlierer sein, wenn eine zu hohe Zuwanderung zu Arbeitsplatzmangel und Ghettoisierung ihres Lebensumfeldes führt, der Sozialstaat belastet wird und somit der Innere Frieden gestört wird. Stimmen Sie dem zu?

Gerne sende ich Ihnen diesen Link mit:

www.fr-online.de/arbeit---soziales/armutsmigration-riexinger-greift-csu-an,1473632,25746234.html

Wie Sie anhand dieses Links sehen können, sagte Herr Riexinger u.a. folgendes:

„Wenn eine Regierungspartei gegen Ausländer hetzt, darf man sich nicht wundern, wenn braune Gewaltbanden Taten folgen lassen. Hetze hilft niemandem.“

Was soll denn an dem CSU-Vorstoß "Hetze" sein? Bisher stand besagten Personen meines Wissens diese Sozialleistungen auch nicht zu.

Bei rp-online.de steht u.a. folgende Arbeitsmarktprognose:

"Arbeitslose würden von den neu geschaffenen Arbeitsplätzen aber nur vergleichsweise wenig profitieren. Ihnen fehle es oft an der erforderlich Qualifikation. "Arbeitslose und das Angebot an offenen Stellen passen oftmals nicht zusammen", stellen die IAB-Wissenschaftler fest. Daher würden Unternehmen neue Stellen immer häufiger mit gut ausgebildeten Zuwanderern aus Süd- und Osteuropa besetzen".

Wenn man dieser Prognose glauben darf, wird es für viele Arbeitslose wohl keine neue Chance auf einen neuen Job geben.
Warum missachtet die Politik das?
Seit Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema und habe viele ausländische Freunde.

Mit freundlichen Grüßen

Petra Althoff

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Althoff,

vielen Dank für Ihre Email zum Thema Zuwanderung und Arbeit.

Die von der CSU losgetretene Debatte über die angebliche Armutszuwanderung ist gefährliche Stimmungsmache und hat dabei nur eins im Sinn: Die anstehenden Kommunal- und Europawahlen. Aber, wer – wie die CSU – die Faktenlage konsequent ignoriert, macht eine sachliche Diskussion nahezu unmöglich und schürt Vorurteile.

Ich möchte aber gerne bei den Fakten bleiben, die die grüne Bundestagsfraktion bereits im Juni 2013 ausgiebig diskutiert und in einem Positionspapier ( http://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/fraktion/beschluesse/Beschluss_Zuwanderung.pdf ) abgeschlossen hat. Auf der Neujahrsklausur der Grünen Bundestagsklausur in Weimar vom 8. bis 10. Januar wurde der aktuelle Stand mit Experten erneut debattiert.

Festzuhalten ist: Es gibt keine „Masseneinwanderung“ aus Bulgarien und Rumänien. Die meisten Neueinwanderer kamen zuletzt aus den Euro-Krisenstaaten. Dennoch, die Einführung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit wird voraussichtlich zu einem Anstieg der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien führen.

Der Begriff „Armutszuwanderung“ ist allerdings vollkommen irreführend: Rund die Hälfte der Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien sind qualifizierte Fachkräfte, etwa 22 Prozent mit Hochschulabschluss sind hochqualifiziert. Der überwiegende Teil der ZuwandererInnen kommt auf dem deutschen Arbeitsmarkt gut zurecht: die allermeisten gehen einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach. Die Arbeitslosenquote liegt etwa auf dem allgemeinen Niveau in Deutschland. Auch der Anteil der SGB II-Bezieher liegt nur geringfügig über dem Bevölkerungsdurchschnitt und damit weit unter dem anderer Zuwanderergruppen.

Die Einwanderung aus Rumänien und Bulgarien ist kein flächendeckendes Phänomen. Sie betrifft besonders einige deutsche Großstädte und hier vor allem solche Stadtteile, in denen sich soziale und ökonomische Probleme ohnehin konzentrieren und die gezielt Unterstützung benötigen.
Die Freizügigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Europa ist eine Grundfreiheit der Europäischen Union. Sie hat – allen Unkenrufen zum Trotz – schon im Zuge der bisherigen Osterweiterung in der EU insgesamt zu wirtschaftlichem Aufschwung geführt – sehr zum Vorteil Deutschlands. Diese Erfolgsgeschichte kann sich vor dem Hintergrund des zunehmenden Bedarfs an Fachkräften bei der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien fortsetzen. Auch angesichts des demographischen Wandels sind Zuzüge von jungen Menschen nur zu begrüßen. „Deutschland profitiert von der Zuwanderung aus diesen beiden Ländern“ so jedenfalls lautet das Fazit des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. (siehe hier: http://www.iab.de/194/section.aspx/Publikation/k130814303 ). Von einem Arbeitsplatzmangel, wie Sie ihn anführen, ist da keine Rede.

Die nun geltende Arbeitnehmerfreizügigkeit kann zudem dazu beitragen, Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit von Zuwanderern zurückzudrängen, da sie reguläre Beschäftigungsverhältnisse möglich macht.

Aber Sie haben Recht, denn neben den gut integrierten ArbeitnehmerInnen gibt es unter den Zuwandernden aus Rumänien und Bulgarien aber natürlich auch solche, die sich bislang in eher prekären Erwerbs- und Lebenslagen befinden, über keinen Schul- oder Berufsabschluss verfügen und bisher kaum Zugang zum Arbeitsmarkt hatten. Dies ist zwar eine zahlenmäßig kleine, aber eine auffällige Gruppe.

Diese Menschen benötigen Hilfe zur Selbsthilfe und Schutz vor Ausbeutung. Wir halten es für dringend notwendig, dass Unionsbürgerinnen und –bürger, die ihr Grundrecht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit wahrnehmen, in die Lage versetzt werden, eine Beschäftigung aufzunehmen. Dazu bedarf es Maßnahmen der Sprachförderung, eine bessere Anerkennung ausländischer Qualifikationen und die Förderung beruflicher Aus- und Weiterbildung.

Aber auch die besonders betroffenen Kommunen benötigen Unterstützung: Manche Städte sind so pleite, dass sie noch nicht einmal imstande sind, Mittel des Europäischen Sozialfonds für notwendige Integrationsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Diese Kommunen sehen den Bund zu Recht in der Verantwortung, sie bei der Bewältigung ihrer sozialen Aufgaben und Integrationsmaßnahmen zu unterstützen. Der schwarz-rote Koalitionsvertrag hat lediglich Worthülsen zu bieten. Damit ist niemandem geholfen.

Mit freundlichen Grüßen
Stephan Kühn