Frage an Stephan Kühn bezüglich Umwelt

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Stephan Kühn
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Frage von Philipp D. •

Frage an Stephan Kühn von Philipp D. bezüglich Umwelt

Sehr geehrter Herr Kühn,

die deutsche Regierung treibt die Energiewende derzeit minder erfolgreich voran. Eine Fokussierung auf Biomasse sowie Wind- und Solarenergie auf Teilflächen der BRD wird aus meiner Sicht zur Deckung unseres Endenergiebedarfes längst nicht ausreichen. Dazu im Folgenden ein paar Zahlen, welche sich an die Erkenntnisse des wissenschaftlichen Beraters des britischen Ministeriums für Energie und Klimawandel, Prof. David J.C. MacKay, anlehnen.

Die im Jahresmittel von einer Windfarm erzielbare Leistungsdichte beträgt ca. 2 MW/km². Photovoltaik-Freiflächenanlagen erzielen ca. 5 MW/km². Energiepflanzen erzielen eine Leistungsdichte von 0,5 MW/km² [1] und somit nochmals geringere Flächenenergieerträge. Zum Vergleich: Der Flächenenergiebedarf in der BRD beträgt ca. 1 MW/km².[1] Diese Zahlen verdeutlichen, dass wir zur vollständigen Deckung unseres Energiebedarfes einen wesentlichen Teil unserer Landesfläche für WKA, PV-Anlagen und Energiepflanzen aufwenden müssten. Der hohe Flächenbedarf der Erneuerbaren sowie die in der Praxis immer noch fehlenden Speicher in der Größenordnung von TWh sind offensichtlich Ursache dafür, dass die deutsche Energiewende derzeit scheitert. Die deutschen CO2-Emmissionen blieben in den letzten 10 Jahren nahezu konstant, die reale Energieausbeute von Windkraft und PV steigt im Mittel kaum noch an. Gleichzeitig legen wir ab 2022 AKW mit einer jährlichen Energieausbeute von 76 TWh still.

Wäre es im Hinblick auf die o.g. Zahlen, dem Ziel einer Abkehr von Kohle/Gas und aus Sicht des Naturschutzes nicht sinnvoll, über Kernenergie auf sachlicher Ebene und mit Vernunft statt Angst neu zu diskutieren, Chancen und Risiken gegeneinander abzuwägen, wie derzeit im Ausland der Fall? Ist es nicht an der Zeit, Forschungsprojekte, wie etwa den sicheren Dual-Fluid-Reactor des IFK Berlin, zu unterstützen?

Freundliche Grüße,
Dipl.-Ing. P. D.

[1] David J.C. MacKay. Sustainable Energy – without the hot air. UIT Cambridge, 2008.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr D.,

vielen Dank für Ihre Nachricht und bitte entschuldige Sie meine späte
Rückmeldung.

Der Dual-Fluid-Reaktor ist wie fast alle Reaktoren der sogenannten IV. Generation bisher kaum mehr als ein Konzept auf dem Papier und das obwohl schon seit 20 Jahren an diesen neuen Atomkraftwerken geforscht wird. Das „Generation IV International Forum“, ein Zusammenschluss aus 13 Staaten plus Euratom, arbeitet seit dem Jahr 2000 an der vermeintlich sicheren, sauberen und günstigen Atomenergie. Die sechs Konzepte, die dort ausgearbeitet werden, sind jedoch nichts Neues, sondern in ihren Grundkonzepten schon seit Jahrzehnten bekannt. Versuchsreaktoren zu den Konzepten gibt es bisher nicht, keines dieser Konzepte wird deshalb in naher Zukunft in großem Maßstab zu Energieerzeugung betragen und trotzdem hat die Forschung schon Milliarden Euro verbraucht. Fragen zur Sicherheit, zu Atommüll und zur Verbreitung von kernwaffenfähigem Material werden von den Protagonisten nur theoretisch beantwortet, ob diese Reaktoren wirklich funktionieren würden, ist völlig unklar und nicht sehr wahrscheinlich. Statt immer mehr Geld für die Atomforschung auszugeben, können wir die Mittel besser in Erneuerbare Energien stecken, die schon heute funktionieren und marktreif sind.

Die Zahlen zur Leistungsdichte aus der Studie von MacKay sind überholt. Neue Windenergieanlagen und Photovoltaikanlagen sind inzwischen weit effizienter geworden. Zudem verkennt die physikalische Größe "Leistungsdichte", dass die Fläche nicht nur für die Energieerzeugung genutzt wird. So liegt das Potential für PV-Anlagen auf Dächern und Fassaden bei rund 200 Gigawatt in Deutschland. Diese Anlagen können gebaut werden, ohne zusätzliche Fläche in Anspruch zu nehmen. Bei PV-Freiflächenanlagen und Windenergieanlagen besteht die Möglichkeit der landwirtschaftlichen Nutzung um die Anlagen herum. Die Leistungsdichte ist bezogen auf die wirklich versiegelte Fläche bei Windenergieanlagen deshalb auch wesentlich höher.

Zusätzlich wird durch den vermehrten Einsatz von Strom der Primärenergieverbrauch in den nächsten Jahren sinken. Weitere Effizienzmaßnahmen zum Beispiel bei der energetischen Sanierung von Gebäuden, werden zu einem weiteren Rückgang des Energiebedarfs führen. Zudem sehen wir es nicht als Problem an, wenn wir in Zukunft z.B. synthetische Kraftstoffe für den Flugverkehr nicht in Deutschland herstellen, sondern importieren. Bisher importieren wir über 80 Prozent unserer Energie.

Zusammenfassend sehen wir keinen Grund, Milliarden in eine in 20 Jahren möglicherweise funktionierende Atomtechnik zu investieren, die dann das Risiko der Proliferation und des Entweichens vom radioaktiven Materials trotzdem nicht lösen kann, wenn mit den Erneuerbaren Energien eine klimafreundliche, kostengünstige und sichere Energieversorgung schon heute zur Verfügung steht.

Mit freundlichen Grüßen
Stephan Kühn