Frage an Ulla Jelpke bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Ulla Jelpke
DIE LINKE
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Frage von Robert S. •

Frage an Ulla Jelpke von Robert S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Jelpke,

Sie werden am 25.09.08 in Berlin an einer Podiumsdiskussion des Verbandes Binationaler Familien und der Türkischen Gemeinde teilnehmen und zwar als Vertreter von Die Linke. Zu dieser Veranstaltung habe ich mich nach Absprache mit dem Verband Binationaler gleichfalls angemeldet, und zwar als Redakteur des Online-Magazins Recht & Migration (und Anwalt mit fast 20 Jahren Erfahrung im Ausländerrecht). Ich habe im Vorfeld auf die Tagung aufmerksam gemacht und werde danach ausführlich darüber berichten.

Ich wäre Ihnen daher sehr verbunden, wenn Sie mir Ihre persönliche Meinung zu den eingeführten Hindernissen beim Ehegattennachzug schildern könnten, damit ich Ihre Argumente in dem geplanten Artikel angemessen berücksichtigen, Ihren Standpunkt korrekt wiedergeben und mich als Zuhörer auf die Podiumsdiskussion vorbereiten kann.

Die tägliche Beratungspraxis zeigt, daß beim Ehegattennachzug vor allem zwei Dinge sehr problematisch sind: Erstens der Nachweis von Sprachkenntnissen vor der Einreise ohne Rücksicht auf die konkrete Situation im Herkunftsland des Ehegatten und ohne Rücksicht auf dessen persönliche Lage. Und zweitens die Möglichkeit für die Ausländerbehörden, deutschen Staatsbürgern bei unzureichendem Einkommen eine Eheführung im Ausland (!) vorschreiben zu können.

Mit freundlichen Grüßen
Robert Stuhr

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Stuhr,
Vielen Dank für ihre Frage, die ich im folgenden gerne beantworte. Die Verzögerung bitte ich zu entschuldigen, sie ist noch eine Folge der gerade zuende gegangenen Sommerpause.
Aus den Erfahrungen von Betroffenen, die mir nun immer häufiger zugetragen werden, ist für mich ganz deutlich geworden: mit dem Erfordernis des Sprachnachweises ist eine Hürde aufgebaut worden, die für viele Ehegattinnen und Ehegatten unüberwindbar sein kann. Zum einen, weil für viele ein Goetheinstitut oder vergleichbare Einrichtungen nicht erreichbar ist und sie zum Teil tausende Kilometer (in China bspw.) dorthin reisen müssen. Eine zweite Hürde zum Spracherwerb, die mir und wohl auch vielen anderen nicht gleich in den Sinn gekommen ist, besteht schlicht in der Schrift - nicht überall auf der Welt benutzt man lateinische Buchstaben. Es muss also nicht nur eine neue Sprache, sondern auch eine neue Schrift (wenn nicht sogar überhaupt erst mal eine solche!) gelernt werden.

Ein zweiter ganz wesentlicher Kritikpunkt bestand und besteht gerade für mich und meine Partei in der sozialen Selektionswirkung der eingeführten Regelungen. Einerseits kann der Ehegattennachzug verhindert werden, wenn der in Deutschland lebende Ehepartner auf Sozialleistungen angewiesen ist; andererseits sind für nachziehende Ehegatten aus Industrienationen die Hürden wesentlich niedriger, sogar vom Sprachnachweis kann abgesehen werden - "bei erkennbar geringem Integrationsbedarf". Es sei allen gegönnt, sich nicht in die Mühlen der Bürokratie begeben zu müssen. Aber das Ergebnis kann eben sein, dass ein angeworbener "Hochqualifizierter" Nicht-EU-Bürger (mit entsprechendem Einkommen) ohne weitere Probleme seine Ehefrau mitbringen kann, während der eingebürgerte Deutsche mit geringer Qualifikation und Problemen am Arbeitsmarkt faktisch gezwungen wird, seine Ehe im Ausland zu führen. Denn das ist schließlich die einzige Alternative, die dann noch bleibt.

Diese Neuregelung des Ehegattennachzugs ist ganz klar auf den Versuch der Union zurückzuführen, jedes noch so kleine Loch in der Mauer um Deutschland stopfen zu wollen. Nach dem Anwerbestopp sind de facto Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung und eben der Familiennachzug die einzigen legalen Möglichkeiten, in die Bundesrepublik Deutschland einzuwandern. Nach Kräften ist die Union schon seit über 20 Jahren bemüht, die legale Einwanderung von schutzbedürftigen Flüchtlingen zu verhindern. In der Debatte um die Änderung des Asyl- und Aufenthaltsrechts im vergangenen Sommer waren sich einige Unions-Innenpolitiker nicht zu fein, von "Armutszuwanderung" zu reden. Nachdem dad Flüchtlingsrecht nun weitgehend zur Strecke gebracht ist, hat man sich den Ehegattennachzug vorgenommen - mit der scheinheiligen Begründung, Zwangsehen bekämpfen zu wollen.

Mittlerweile kommt durch ein Urteil des Europäischen Grichtshofs, wie Sie sicherlich schon wissen, wieder ein wenig Bewegung in die Sache. Dauerhaft in Deutschland lebende EU-Bürger können ihre Ehegatten nachziehen lassen, ohne dass diese sich einem Sprachtest unterziehen müssen. Welche Auswirkungen dieses Urteil auf die rechtliche Entwicklung haben wird, wird sich zeigen. Jedenfalls hat der Europäische Gerichtshof der Familieneinheit den Vorzug vor restriktiven Zuwanderungsbestimmungen gegeben, und daran sollten sich auch Gerichte und Gesetzgeber in Deutschland ein Vorbild nehmen.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen die Grundzüge meiner Position damit verdeutlichen,
Mit freundlichen Grüßen,
Ulla Jelpke