Frage an Volker Wissing von Stefan K. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Dr. Wissing,
ich muß nachhaken beim Thema "Milliarden für Griechenland". Es ist für sehr viele Menschen nicht nachvollziehbar, warum unser gutes deutsches Steuergeld in ein Faß ohne Boden nach Griechenland geworfen wird. Hierzu ein aktueller Kommentar aus der FAZ, Quelle: http://www.faz.net/artikel/C30106/eu-schuldenkrise-berliner-goldesel-30437075.html .
"Berliner Goldesel
Den Griechen wird auch mit neuen Bürgschaften in annähernd dreistelliger Milliardenhöhe am Ende die Puste ausgehen. Die Chancen, den Staatsbankrott abzuwenden, stehen auch mit einem zweiten Hilfspaket schlecht. Die Mehrheit der Ökonomen sieht nicht, wie die Griechen wirtschaftlich stabilisiert werden können, ohne ihre Schuldenlast durch Umschuldung drastisch zu verringern. Die Warnungen kommen nicht aus dem Blauen, sie basieren auf Erfahrungswerten mit der Tragfähigkeit von Schulden.
Die Abgeordneten von Union und FDP sind am Freitag im Bundestag aber nicht dem Rat der Ökonomen gefolgt, sondern abermals dem Werben des Bundesfinanzministers für neue Hilfszusagen der Euroländer. Dies nicht unbedingt, weil sie in Wolfgang Schäubles Rettungskunst wesentlich mehr Zutrauen hätten als in den Sachverstand der Ökonomenzunft, die hier so einig ist wie selten. Schließlich haben Kanzlerin und Finanzminister mit ihren Einschätzungen zur Schuldenkrise mehrfach falsch gelegen.
Weil man mit den ersten Hilfen für Griechen, Iren und Portugiesen schon weit in die falsche Richtung gelaufen ist, werden die Kosten der Umkehr immer höher. Mit neuem Geld verlängert man ein bekanntes Schlamassel und muss sich nicht den unbekannten und nicht geringen Risiken eines Schuldenschnitts stellen.
Die Berliner Goldesel sind blind für die Gefahr, dass ihre Freigebigkeit die Haushaltsdisziplin in der EU untergräbt – mit enormen Risiken für Euro und Wirtschaft. Das wird Europa nicht einen, sondern spalten."
Wieso riskiert die FDP mit ihrer Zustimmung zu den Milliardenhilfen die Spaltung Europas?
Sehr geehrter Herr Knoll,
vielen Dank für Ihre Frage vom 12. Juni 2011.
Die Ökonomen sind bei weitem nicht so einheitlicher Meinung, wie gemeinhin der Anschein erweckt wird. Wenn Sie fragen, ob Griechenland umschulden sollte, werden ihnen die meisten dies wohl bejahen. Wenn Sie nachfragen, ob sie sicher sind, dass es keine Ansteckungsgefahr für die übrigen Länder der Eurozone gibt, dann werden die Antworten schon sehr viel differenzierter.
Bei der US Bank Lehman Brothers sind die meisten Ökonomen auch davon ausgegangen, dass eine Pleite keine gravierenden Folgen haben wird - und haben sich fatal geirrt. Sollte sich die Politik auch bei Griechenland irren und es zu einer Eurokrise kommen, würde der gesamte Kontinent und sogar die Weltwirtschaft tief erschüttert. Wenn Griechenland umschuldet, erhalten die Märkte das Signal, dass Umschuldungen in der Eurozone möglich sind. In dem Moment gehen die Anleihezinsen für alle Anleihen im Eurogebiet nach oben. Auch für deutsche Staatsanleihen, denn auch wir refinanzieren uns mit mehr als 40 Mrd. Euro jedes Jahr an den Finanzmärkten. Damit würden die Schuldenprobleme aller Euroländer weiter verschärft und die Gefahr weiterer Umschuldungen drastisch steigen. Jede Umschuldung führt aber dazu, dass die Ratingagenturen die Anleihen der entsprechenden Länder auf "Default" setzen muss, damit darf die Europäische Zentralbank diese nicht mehr als Sicherheiten akzeptieren und muss andere einfordern. Das dürfte zahlreiche Banken vor enorme Liquiditätsprobleme stellen, das heißt ihr Eigenkapital würde durch die aufgrund der Entwertung der Staatsanleihen notwendigen Abschreibungen deutlich reduziert werden. Das führt dazu, dass die Banken zum einen kaum noch Kredite vergeben, aber auch keine Anleihen mehr kaufen können. Beides hat gravierende Auswirkungen auf die Wirtschaft und den Sozialstaat. Ohne Kredite kann die Wirtschaft kaum noch investieren, was wiederum zu einer Steigerung der Arbeitslosigkeit führt. Bedingt durch die Eurokrise dürften auch die deutschen Exporte in die jeweiligen Länder deutlich zurückgehen, was die Arbeitslosigkeit zusätzlich verschärfen würde. Dadurch erhöhen sich die Sozialausgaben des Staates, welche dieser aber, da die Banken kaum noch Anleihen kaufen können, über höhere Steuern finanzieren muss. Die steigende Steuerbelastung führt zu einer Verfestigung der Rezession und damit zu einer langfristigen Verarmung unseres Landes.
Die Bürgschaften für Griechenland sind ein erhebliches Risiko, aber wie groß ist das Risiko, dass die gesamte Eurozone in eine tiefe Rezession mit hoher Arbeitslosigkeit schlittert - und wäre dieses tatsächlich für uns billiger, als unser Beitrag zur Eurostabilisierung?
Leider erhalten Sie auf diese Frage von kaum einem Ökonomen eine belastbare Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Volker Wissing, MdB