Frage an Alexander Graf Lambsdorff bezüglich Arbeit und Beschäftigung

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Alexander Graf Lambsdorff
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Frage von Konrad A. •

Frage an Alexander Graf Lambsdorff von Konrad A. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Lambsdorff!

Ich habe 30 Jahre in der Gastronomie gearbeitet. Nun macht meinen Job ein junger Pole.

Ihre Fraktion möchte keinen Mindestlohn, grenzenlose Dienstleistungen, Freizügigkeit für alle usw. Also immer Dinge, die die Arbeitnehmer in Deutschland in Not bringen.

Nun muss ich zum Arbeitsamt.

Können Sie sich vorstellen, wie es ist, wenn man keinen "großen Namen" trägt, kein Kapital hat? Sondern ständig nur ausgebeutet wurde! Und dann kommen junge Männer wie Sie in den Medien vor, die mehr Wettbewerb, weniger Arbeitnehmerrechte usw. befürworten.

Haben Sie die Ängste der Menschen bei der Dienstleistungsverordnung nicht ernst genommen?
Ist es in Ordnung, wenn mein ehem. Arbeitgeber mich entlassen hat? Nur, weil er einen billigeren Arbeitnehmer fand.
Wie wollen Sie die Arbeitnehmer in Deutschland vor Billigkonkurrenz schützen? Da hört man von Ihnen leider nie etwas.

Mit freundlichen Grüßen

Konrad Albrecht

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Albrecht,

bitte entschuldigen Sie meine späte Antwort auf Ihre Anfrage. Ich hoffe, dass Sie in dieser Zeit schon wieder weiter gekommen sind. Sicher waren Sie beim Arbeitsamt und hören sich um, wo es vielleicht für Sie beruflich weiter gehen könnte. Meine liberalen Kollegen und ich arbeiten dafür, Gesetze so zu schreiben, dass Arbeitsplätze geschaffen werden.

Vielleicht ist es wirklich so, dass Sie Ihren damaligen Arbeitsplatz noch hätten, wenn die EU die sog. Niederlassungsfreiheit nicht hätte, die es grundsätzlich allen EU-Bürgern ermöglicht, in ein beliebiges anderes EU-Land zu ziehen und einen Arbeitsplatz anzunehmen. Wenn dies so ist, tut es mir ehrlich für Sie Leid. Allerdings ist die Niederlassungsfreiheit - neben den drei anderen Grundfreiheiten Warenverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit und freier Kapitalverkehr- eine der tragenden Säulen der EU. Ohne diese Freiheiten wäre die EU nicht, was sie heute ist: der größte Binnenmarkt der Welt, der hunderttausende von Arbeitsplätzen geschaffen hat.

Zudem hat die EU bei der Aufnahme der neuen Mitglieder im Jahr 2004 wohl bedacht, dass mehr neue EU-Bürger auf der Suche nach Arbeit in die ´alte EU´ strömen könnten, als es Arbeitsplätze gibt und deswegen eine Übergangsfrist eingeführt. Diese Option ermöglicht den ´alten´ Mitgliedern, ihre Arbeitsmärkte zunächst für Bürger aus ´neuen´ Staaten nur schrittweise zu öffnen. Deutschland hat sich entschieden, diese Möglichkeit voll auszuschöpfen - bis einschließlich 2011 ist der deutsche Arbeitsmarkt prinzipiell für osteuropäische Arbeitnehmer nicht zugänglich. Insofern hat der polnische Bürger, auf denen Sie sich beziehen, nur dann rechtmäßig ihren Job übernehmen können, wenn er selbständig ist. Eine Anstellung ist rechtlich nicht möglich.

Doch selbst wenn es jemand aus einem anderen EU-Mitgliedstaat gewesen wäre: In der europäischem Politik haben alle die Verantwortung, sich für das Wohl von allen EU-Bürgern einzusetzen. Die Liberalen tun dies in tiefem Vertrauen in die Freiheit und unterstützen auch eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes

Wenn man bei Ihrem persönlichen Schicksal beginnt, politisch zu denken, so müsste man sich entschließen, Sie und alle, denen es ähnlich geht, vor dem Verlust von Arbeit zu bewahren. Das ist ein verführend plausibler Gedanke. Wenn man ihn aber zu Ende denkt, wird sehr schnell klar, dass man Furchtbares anrichten würde. Jeden Einzelnen vor dem Verlust von Arbeit zu beschützen würde nämlich zum Beispiel zweierlei bedeuten: Man müsste Ihrem ehemaligen Arbeitgeber Gesetze aufbürden, die es ihm schwerer gemacht hätten, Sie zu entlassen. Und man müsste verhindern, dass polnische Arbeiter in Deutschland arbeiten dürfen. Ihre damalige Arbeit wäre so sicherer gewesen - immerhin für einige Zeit. Aber was würde das bedeuten?

Es würde bedeuten, dass viele Arbeitgeber, die gerne jemanden neu anstellen wollen, davor zurückschrecken, weil sie den Arbeitsplatz auch dann weiter bezahlen müssten, wenn das Geschäft mal schlechter geht. Dieses Risiko ist für viele Arbeitgeber bereits heute so groß, dass sie den neuen Arbeitsplatz nicht entstehen lassen. Auf ganz Deutschland bezogen würde das für viele tausende Arbeitslose eins bedeuten: Keine Hoffnung auf neue Arbeit. Hoffnungslosigkeit.

Sollte man sich also wenigstens dafür einsetzen, dass keine Polen in Deutschland Arbeitsplätze bekommen? Auch das klingt zunächst plausibel. Aber das würde bedeuten, dass all denen, die im europäischen Ausland Arbeit gefunden haben, der Job verloren ginge. Das sind nicht nur Polen - sehr viele Deutsche haben den Schritt gewagt und haben in ganz Europa Arbeit gefunden. All denen würde die Arbeit genommen. Die Freiheit der Menschen, in ganz Europa arbeiten zu können, und die Freiheit von Firmen, aus ganz Europa Arbeiter anstellen zu können, hat maßgeblich dazu beigetragen, dass unsere europäischen Staaten sich wirtschaftlich gut entwickeln. Auch wenn es sich für Sie derzeit ganz und gar nicht danach anfühlt: ich bin ganz sicher, dass auch Sie langfristig von den Früchten dieser Freiheit profitieren würden.

Was ich versuche, Ihnen nahe zu legen, ist dieses: Nach dem Verlust Ihres Arbeitsplatzes ist es nur allzu verständlich, dass Sie von der Politik erwarten, dass man Sie beschützt. Wenn die Politik aber die einfache Lösung wählt und Sie vor dem Verlust von Arbeit beschützt, zerstört sie somit auch die Arbeit vieler tausender anderer Menschen. Dieser wäre ein großer Fehler - der richtige Weg ist es, nicht jeden Einzelnen vor dem Verlust einer Arbeitsstelle zu beschützen, sondern mehr Menschen zu neuer Arbeit verhelfen.

Schöpfen Sie Hoffnung und glauben Sie daran, dass auch Sie wieder Arbeit finden werden, die Ihnen Freude und Auskommen bringt.

Mit den besten Wünschen für Ihre Zukunft bin ich

Ihr

Alexander Graf Lambsdorff