Sind Sie für eine Impfpflicht?

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Ali Al-Dailami
BSW
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Frage von Herbert S. •

Sind Sie für eine Impfpflicht?

Der Parteivorstand der LINKEN fordert in dem Beschluss „Corona gemeinsam besiegen – solidarische Notbremse jetzt!“ (https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand/detail/corona-gemeinsam-besiegen-solidarische-notbremse-jetzt/) eine allgemeine Impfpflicht für Volljährige.
Teilen Sie diese Forderung des Parteivorstandes? Falls ja, wie soll nach Ihrer Meinung so eine Impfpflicht durchgesetzt werden? Soll es Geldstrafen geben (die hauptsächlich die arme Bevölkerung treffen, auch wenn die Strafen nach Einkommen gestaffelt sind)? Soll es im Falle einer Weigerung, sich impfen zu lassen, Gefängnisstrafen geben? Soll es im Falle einer Weigerung, die Geldstrafe zu zahlen, zu Gefängnisstrafen kommen? Sollen die Polizei oder das Militär die Unwilligen zum Impfen bringen? Soll es Berufsverbote geben, falls eine Impfung verweigert wird?
Falls Sie die Forderung des Parteivorstandes nicht teilen, begründen Sie bitte Ihre Ablehnung.

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Antwort von
BSW

Sehr geehrter Herr S.,

 

vielen Dank für Ihre Frage, die ich Ihnen wie folgt beantworten möchte:

 

Ich habe in der Abstimmung im Parteivorstand gegen den Antrag eine allgemeine Impfpflicht für volljährige einzuführen, gestimmt. Wie in vielen Fällen sind solche Entscheidungen immer eine Frage der vorgenommenen Abwägung aller Aspekte. Die Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht lenkt meines Erachtens vom Versagen der Bundesregierung ab. Das Gesundheitssystem wurde kaputtgespart, Krankenhausbetten sogar während der Pandemie noch abgebaut.

Die jetzige Hauptargumentation für die Impfpflicht, nämlich die Überlastung des Gesundheitssystems, ist hausgemacht: Anstatt die Arbeitsbedingungen in den Kliniken für Pflegepersonal endlich zu verbessern, haben seit Beginn der Pandemie etliche Pflegekräfte wegen des zunehmenden Stresses ihren Job gekündigt. Es bedarf also verbesserter Arbeitsbedingungen und Anreize für Pflegekräfte, um sie dafür zu gewinnen, in ihren Job zurückzukehren und das auf den schnellen Profit ausgelegte Gesundheitssystem (Beispiel Fallpauschalen) endlich an den tatsächlichen Bedarf anzupassen.

Wie eine Studie des unabhängigen Instituts "Psyma" belegt, können sich ganze 48 Prozent der ausgebildeten Pflegekräfte, die ihrem Beruf in den vergangenen Jahren den Rücken gekehrt haben, bei besseren Arbeitsbedingungen einen Wiedereinstieg in die Pflege vorstellen.

 

Auch verfassungsrechtlich halte ich eine Impfpflicht in diesem Fall für höchst bedenklich. Nicht, weil ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit per Gesetz grundsätzlich nicht möglich wäre, gerade wenn es um den Schutz anderer geht, wie etwa bei der Masernimpfung. Aber durch den Staat ausgeübter Zwang zu einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Bei der Masernimpfung sprechen wir von einer zweimaligen Immunisierung im Kleinkindesalter, die für den Rest des Lebens nahezu hundertprozentigen Schutz bietet. Bei den gegen COVID-19 in Deutschland bisher verfügbaren Impfstoffen liegt die Wirksamkeit weit niedriger. Zudem können auch Geimpfte, wenn auch zu einem geringeren Grad, das Virus an andere übertragen. Auch können sie sich, wenn auch in der Regel mit milderen Symptomen, erneut infizieren. Vor allem aber ist nicht klar, wie oft die COVID-19-Impfung erforderlich sein wird. Dass der Impfschutz schon nach einigen Monaten nachlässt, ist hinlänglich bekannt.

 

Auch kann die Zwangsmaßnahme einer Impfpflicht nur dann angemessen sein, wenn alle anderen Möglichkeiten, um die Impfquote zu erhöhen, ausgeschöpft wurden. Dies ist ganz offensichtlich nicht der Fall. Seit über einem halben Jahr hätte sich die Bundesregierung bemühen können, einen oder mehrere von der WHO zugelassene Totimpfstoffe auch in Deutschland zur Verfügung zu stellen und so auch diejenigen zu erreichen, die explizit nur mit einem Totimpfstoff geimpft werden wollen. Sie hätte niedrigschwellige Angebote insbesondere in abgehängten Stadtteilen und auf dem Land bereitstellen können. Sie hätte mehr Angebote auch in anderen Sprachen machen müssen. Und beim Boostern hätte sie sicherstellen müssen, dass diejenigen, die eine Auffrischung am dringendsten benötigen (nämlich, ältere und vorerkrankte Menschen), diese auch zuerst erhalten. All das hat das Bundesland Bremen mit einer linken Gesundheitssenatorin umgesetzt und so eine überdurchschnittlich hohe Impfquote erreicht.

Wie Sie bereits in der Ausführung ihrer Frage angedeutet haben, treffen eventuelle Sanktionierungen wie Geldstrafen jene Menschen am härtesten, die von Armut betroffen oder bedroht sind. Auch deshalb lehne ich diese mit der Impfpflicht möglicherweise einhergehenden Maßnahmen ab. Dies betrifft selbstverständlich auch die anderen "Maßnahmen", die Sie in ihrer Frage beschrieben haben. Ich hoffe, ich konnte Ihnen ihre Fragen ausreichend beantworten.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

Ali Al-Dailami

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