Gibt es angesichts des Vorgehens Israels gegen Palistinänser im Gazastreifen und gegen Unterstützer der Palistinänser (z. B. Hisbolah) seitens Deutschlands Sanktionen und Stopps von Waffenlieferungen?

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Andreas Larem
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Frage von Margarete P. •

Gibt es angesichts des Vorgehens Israels gegen Palistinänser im Gazastreifen und gegen Unterstützer der Palistinänser (z. B. Hisbolah) seitens Deutschlands Sanktionen und Stopps von Waffenlieferungen?

Werden heute noch - 79 Jahre nach Kriegsende des 2. WK - Zahlungen / Entschädigungsleistungen an Israel geleistet? Werden Rüstungsgüter (Waffen, Munition, U-Boote etc.) kostenlos an Israel bzw. verbilligt - in welcher Höhe in € - an Isarel geliefert?

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Sehr geehrte Frau P.,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 18. März 2024.

Ihre Frage bezieht sich zum Teil auf die Klage Nicaraguas vor dem Internationalen Gerichtshof. Ein demokratischer Rechtsstaat wie Deutschland, der sich der regelbasierten Ordnung verpflichtet sieht, muss sich an den Maßstäben der internationalen Verpflichtungen messen lassen, die er selbst eingegangen ist. Nicaragua aber nutzt die Klage vor dem internationalen Gerichtshof, um eine breite Weltöffentlichkeit für eine Verurteilung Israels zu erreichen. Schon allein die Klage erzielt den gewünschten Effekt. Wenn sich solche Klagen häufen, birgt das die Gefahr, dass die die Glaubwürdigkeit des Gerichts unterminiert wird.

Die deutsche Bundesregierung hat vor dem internationalen Gerichtshof klar dargelegt, dass Deutschland weder die Völkerrechtskonvention noch humanitäres Völkerrecht verletzt, weder direkt noch indirekt. Im Gegenteil: Deutschland ist der Wahrung und des Schutzes des Völkerrechts verpflichtet und arbeitet dafür international.

Die Klage beruht auf mehreren falschen Annahmen. So ist die Hilfe für die Palästinenser in Gaza nicht eingestellt worden, weil die zukünftigen Zahlungen an UNRWA zunächst ausgesetzt wurden. Das Auswärtige Amt wickelt die deutsche humanitäre Hilfe für Gaza derzeit über andere internationale Organisationen wie das Rote Kreuz, das Welternährungsprogramm WFP und UNICEF ab. Seit 7. Oktober ist die humanitäre Hilfe für Gaza auf 254 Mio. Euro angestiegen. Weiterhin ist Deike Potzel zur Sondergesandten für humanitäre Hilfe im Nahen und Mittleren Osten ernannt worden. Wir bleiben über die verschiedenen von uns geförderten Organisationen der zweitgrößte Geber für humanitäre Hilfe in Gaza. Wir werden im Lichte des Fortgangs der UNRWA-Untersuchungen ebenfalls über die Bewilligung neuer Mittel entscheiden. Der abschließende Untersuchungs-Bericht wird für Ende April 2024 erwartet. Wichtig ist jetzt, dass ein gangbarer Weg für Hilfslieferungen nach Gaza gefunden wird. Die Vorbereitungen für einen Seekorridor aus Zypern laufen mit u.a. Deutschlands Unterstützung. Ein US-Schiff zum Aufbau eines provisorischen Hafens ist unterwegs nach Gaza. Es wird damit gerechnet, dass für die Inbetriebnahme 60 Tage benötigt werden. Es werden weiterhin Air-Drops durch Jordanien durchgeführt.

Weiterhin hat Nicaragua behauptet, dass Deutschland Kriegswaffen exportiere. Doch handelt es sich zum weitaus größten Teil, zu 98 Prozent, um allgemeine Rüstungsgüter wie etwa Helme oder Schutzwesten, aber nicht um Waffen, die direkt bei Kampfhandlungen eingesetzt werden können. 

Seit Oktober 2023 sind nur vier Lizenzen für Kriegswaffen erteilt worden, dabei ging es vor allem um Munition für Trainingszwecke sowie zur Abwehr von Panzern. Alle Rüstungsexporte nach Israel werden von deutschen Behörden eingehend geprüft. Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr insgesamt Rüstungslieferungen für 326,5 Millionen Euro an Israel genehmigt. Die Rüstungsgüter wurden weder an Israel verschenkt, noch verbilligt zur Verfügung gestellt.

Im Hinblick auf Sanktionen verfolgt die Bundesregierung die Linie, nur gemeinsam mit unseren Partnern in Europa Sanktionen zu erlassen. Der Europäische Rat zeigte sich jüngst entsetzt, „angesichts der beispiellosen Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung und der kritischen humanitären Lage“. Alle Mitgliedstaaten verurteilten außerdem den Bau neuer Siedlungen im Westjordanland. Außerdem haben Sie angekündigt, nicht nur die Hamas, sondern auch radikale jüdische Siedler mit Sanktionen zu belegen.

Die „Wiedergutmachungspolitik“ Deutschlands in Bezug auf Israel wird als andauernder Prozess verstanden. Mit dem Begriff deutsche Wiedergutmachungspolitik werden die Maßnahmen Deutschlands zusammengefasst, durch die Verfolgte des Nationalsozialismus materiell entschädigt wurden. Sie ist ein Teilaspekt der deutschen Vergangenheitsbewältigung nach dem Zweiten Weltkrieg. Obwohl der Begriff „Wiedergutmachung“ nicht bedeutet, dass erlittenes Leid und jahrelange Entrechtung, Freiheitsentzug und Gesundheitsschäden durch die gewährten Leistungen abgegolten und „wieder gut gemacht“ werden können, hat sich der Ausdruck in der Fachwelt durchgesetzt.

Angesichts der immer länger zurückliegenden Zeit von Holocaust und Wiedergutmachung, der demographischen Entwicklung in Deutschland mit Generationen ohne familiären, regionalen oder kulturellen Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus und vor dem Hintergrund von zunehmendem Antisemitismus und Holocaustleugnung will das Bundesfinanzministerium im Rahmen der „Transformation der Wiedergutmachung“ Informationen zu den einschlägigen Aktenbeständen des Bundes, der Länder und perspektivisch weiterer Stellen sichtbar und einheitlich zugänglich machen. Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts wandelt sich insofern von einer aktiven Unterstützung für die Opfer der Verfolgung hin zu politischen Aktivitäten, bei denen die Vermittlung dessen, wie die Bundesrepublik national und international zur Wiedergutmachung beigetragen hat, im Mittelpunkt steht.

Weiterhin wurde außerdem am 10. September 1952 das Luxemburger Abkommen geschlossen, mit dem Warenlieferungen im Wert von 3 Milliarden DM an Israel und die Zahlung von 450 Millionen DM an die Jewish Claims Conference vereinbart wurde.

Sehr geehrte Frau P., ich danke Ihnen herzlich für Ihren Einsatz für die palästinensische Zivilbevölkerung. Eines sollte jedoch klar sein: Schließlich ist Israel von der Hamas angegriffen worden und wird immer noch angegriffen, übrigens auch von der Hisbollah aus dem Libanon. Israel war in seiner 75-jährigen Geschichte niemals einer solchen Welle terroristischer Gewalt und Brutalität ausgesetzt. Am 7. Oktober drangen mehrere tausend schwer bewaffnete palästinensische Terroristen in Israel ein und zogen mordend durch Städte und Dörfer. Etwa 1.200 Bürgerinnen und Bürger wurden auf brutalste Art und Weise ermordet, verstümmelt und vergewaltigt. Noch mehr wurden zum Teil schwer verletzt. Über 240 Israelis und Angehörige anderer Staaten– darunter Frauen und kleine Kinder – wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Ein großer Teil befindet sich bis heute unter unmenschlichen Bedingungen in Gefangenschaft. Zudem feuert die Hamas noch immer Raketen auf ganz Israel. Auch die Situation an der nördlichen Waffenstillstandslinie mit Libanon bleibt angespannt. Wiederholte Scharmützel bürgen eine große Eskalationsgefahr. Aufgrund der andauernden Gefahr mussten bislang über 250. 000 Israelis ihr Heim verlassen.

Wir verdammen die Gewalt der Terroristen in aller Schärfe. Ihr erklärtes Ziel war es Jüdinnen und Juden zu töten. Weder die Siedlungspolitik noch die schwindende Perspektive für eine Zwei-Staaten-Lösung rechtfertigt auch nur im Entferntesten diese Gewalt gegen unschuldige Frauen und Männer. Die Sicherheit Israels als Heimstätte für das jüdische Volk ist deutsche Staatsräson. Dies ist eine zentrale Lehre aus den deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs. Nie wieder darf es eine Welt geben, in der Jüdinnen und Juden keinen Zufluchtsort vor Antisemitismus und systematischer Gewalt finden können. Nach dem barbarischen Massaker der Hamas hat Israel das im Völkerrecht verankerte Recht, sich und seine Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen und die Sicherheit in und für Israel im Rahmen des humanitären Völkerrechts wiederherzustellen. Das hat Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung am 12. Oktober vor dem Deutschen Bundestag zurecht festgestellt.

Neben dem Leid, das die Hamas seit dem 7. Oktober über Israel gebracht hat und immer noch bringt, zieht der Angriff auch schreckliche Konsequenzen für die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen nach sich. Seit Kriegsausbruch sind laut palästinensischen Angaben über 33 000 Menschen in Gaza ums Leben gekommen, ein Großteil davon Frauen und Kinder. Über 1,5 Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser mussten wiederholt ihre Häuser verlassen. Die humanitäre Lage vor Ort ist katastrophal: Es fehlt an Essen, Trinken und Medikamenten. Einerseits muss Israel die Zufuhr von humanitären Gütern verbessern und beschleunigen. Gleichzeitig müssen die Güter in der Zivilbevölkerung ankommen. Sie dürfen nicht von der Hamas beschlagnahmt werden, während ihre Zivilbevölkerung hungert.

Die Hamas benutzt die palästinensische Zivilbevölkerung bewusst als Schutzschild und nimmt somit ihr Leid sehenden Auges in Kauf – auch indem sie ihre terroristische Infrastruktur an zivile Einrichtungen wie Wohnhäuser, Krankenhäuser und Schulen koppelt. Damit erschafft sie absichtlich ein furchtbares und unmenschliches Dilemma für Israel, das die Hamas unschädlich machen muss, um ihre Bevölkerung zu schützen, und zugleich Zivilistinnen und Zivilisten schonen will. Dies verdeutlichte Bundespräsident Steinmeier in seiner Videobotschaft vom 26. November.

Deutschland setzt daher seine humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung in Gaza selbstverständlich fort. Aufgrund des großen Leids der Zivilbevölkerung tut die Bundesregierung alles in ihrer Macht stehende, um auf eine humanitäre Feuerpause hinzuwirken. Sie spricht mit Israel darüber, wie während der Feuerpausen und auch danach Menschen aus den Gefahrenzonen heraus- und Hilfsgüter hineingelangen können. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betonte vor seiner Reise in die Region am 26. November, dass Deutschland bereitstehe, um mitzuhelfen, Kranke und Kinder aus dem Gazastreifen zu evakuieren.

Die Hamas muss ihre Waffen endgültig niederlegen, damit von ihr keine Gefahr für Israel mehr ausgeht. Die Hamas ist nicht an einer Verbesserung der humanitären Situation der palästinensischen Bevölkerung interessiert, sondern eine Terrororganisation, die seit dem Massaker am 7. Oktober mehrfach bekräftigt hat, einen solchen Anschlag jederzeit wiederholen zu wollen. Sie hat kein Interesse an einer friedlichen Koexistenz mit Israel. Ihr Ziel ist die Vernichtung Israels und die Auslöschung seiner jüdischen Bevölkerung.

Israel muss bei seinem Vorgehen gegen die Hamas jedoch die Verhältnismäßigkeit wahren. Die angekündigte Großoffensive auf Rafah, wohin in den letzten Monaten mehr als eine Millionen Zivilistinnen und Zivilisten geflüchtet sind, bereitet uns große Sorge. Die Zivilbevölkerung hat keinen sichereren Zufluchtsort. Große Teile des Gazastreifens sind bereits zerstört. In jedem Konflikt sind die Regeln des humanitären Völkerrechts zu achten, das militärische Notwendigkeiten anerkennt, gleichzeitig aber den bestmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung aller Konfliktparteien selbst noch im bewaffneten Konflikt zum Ziel hat.

Auch wenn das heute weiter entfernt scheint denn je, müssen wir auch an die Zeit nach dem Krieg denken und auf die langfristige Perspektive des Nahen und Mittleren Ostens und die Zukunft Gazas schauen. Israelis und Palästinensermüssen eines Tages Seite an Seite und ohne Terror auf der Grundlage einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung leben können. Den Menschen muss ein Leben in Sicherheit, Freiheit, Würde und mit gleichen Rechten ermöglicht werden. Um den Weg dafür zu ebnen waren seit dem 7. Oktober der Bundespräsident, der Bundeskanzler, die Bundestagspräsidentin, die Außenministerin und die Entwicklungsministerin bereits mehrmals in Israel und der Region. Die Zukunft kann nur vor Ort gestaltet werden, deswegen spricht Deutschland mit all seinen Partnern in der Region, um Gesprächskanäle zu öffnen.

Uns als Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik kommt auch eine wichtige Aufgabe zu. Wir müssen uns dem herrschenden Desinformationskrieg auch in den sozialen Medien entschieden entgegenstellen und zu differenzierten Debatten beitragen. Jeder von uns kann dazu beitragen, Gespräche im persönlichen Umfeld zu ermöglichen und einander zuhören. Klar bleibt, die Bedrohung jüdischer Menschen in Deutschland darf in keiner Art und Weise legitimiert werden. Kontextualisierung darf nicht zu Relativierung führen. Für uns steht außer Frage, dass jedes Menschenleben gleich schwerwiegt. Deshalb gilt unserer Anteilnahme allen zivilen Opfern dieses Krieges.

Ich hoffe, dass diese Antwort für Sie hilfreich war.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr 

Andreas Larem, MdB

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