Frage an Angelika Niebler bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Angelika Niebler
CSU
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Frage von Stefan D. •

Frage an Angelika Niebler von Stefan D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Niebler,

zum Thema TTIP:

In Ihrer Antwort vom 16.05.2014 führen Sie aus, dass das TTIP große Wachstumschancen bieten würde und keine europäischen Standards gesenkt werden sollen.

Für TTIP sprechen gerade einmal vage Wachstumshoffnungen von gerade einmal 0,48 % in zehn (!) Jahren, also nur 0,048 % pro Jahr (Quelle: CEPR-Studie im Aufrag der EU, http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/march/tradoc_150737.pdf ).

Für evtl. 0,048 % Wachstum wird eine der Demokratie widersprechende massive Beschränkung des politischen Handlungsspielraums in Kauf genommen allein zugunsten von Konzernen. Jedes Gesetz der EU oder eines EU-Staates, das Umwelt oder Verbraucherrechte schützt und dabei evtl. Gewinnerwartungen von Konzernen beeinträchtigt, muss dann als potentielles Handelshemmnis erst im Rahmen der „regulatorischen Kooperation“ mit den USA abgestimmt werden. Bei der ohnehin sehr schwierigen und langwierigen politischen Willensbildung innerhalb der EU beim Umwelt- und Verbraucherschutz gegen mächtige Wirtschaftsinteressen wird dann kaum eine Gesetzesinitiative, die Umwelt und Verbraucherrechte stärken soll, überhaupt noch zustande kommen. Selbst wenn dann noch ein solches Gesetz zustandekäme, könnten die Konzerne aufgrund der Investorenschutzklauseln die EU oder EU-Staaten mit Klagen vor geheimen, internationalen Schiedsgerichten überziehen. Faktisch wird daher jedes weitere Bestreben, Umwelt- und Verbraucherrechte zu verbessern, zum Erliegen kommen. Sie sprechen davon, dass europäische Standards nicht gesenkt werden sollen. Die EU-Schutzregelungen sind aber keineswegs das „non plus ultra“ des Umwelt- und Verbraucherschutzes. Was ist z.B. mit der dringend gebotenen Kennzeichnungspflicht für Fleisch von Tieren, die mit Gen-Futter gemästet wurden? Diese (und vieles andere nötige) könnte man endgültig abschreiben. Sollte TTIP nicht besser komplett begraben werden?

MfG
S. D.

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CSU

Sehr geehrter Herr D.,

haben Sie besten Dank für Ihre Anfrage vom 10. April 2015 über abgeordnetenwatch.de, in der Sie sich nach meiner Position zum Thema TTIP erkundigt haben. Gerne möchte ich nachfolgend auf Ihre Argumente eingehen:

Die EU ist - dicht gefolgt von den USA - die größte Volkswirtschaft der Welt. Ein Handelsabkommen mit den USA würde daher aus diesen beiden Wirtschaftsräumen den größten Binnenmarkt der Welt schaffen. Bereits 2011 waren 14 % der Arbeitsplätze in der Europäischen Union direkt oder auch indirekt von Exporten in Drittstaaten abhängig. Die USA sind für die EU mit weitem Abstand der wichtigste Handelspartner. Knapp 300 Mrd. € an Waren wurden allein im Jahr 2013 in die USA exportiert.

Die - wie Sie es nennen - "vagen Wachstumshoffnungen" von 0,48% in zehn Jahren (was im Übrigen nicht 0,048% pro Jahr entspricht) belaufen sich auf immerhin 119 Milliarden Euro Wachstum pro Jahr für die eu¬ropäische Wirtschaft – dies entspricht allein in Deutschland einem Zusatzeinkommen von etwa 500 Euro pro Haushalt. Aber bei TTIP geht es um viel mehr: Beispielsweise exportierten rund 150.000 europäische KMUs im Jahr 2012 in die USA und stellten dabei 28% der Gesamtexporte. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie ist eine der größten Herausforderungen für KMUs der Zugang zu Informationen darüber, welche Regulierung auf ihr jeweiliges Produkt zutrifft.

Und hier kommen wir zum Thema "regulatorische Kooperation". Der Grundgedanke, der hier dahinter steckt, ist zunächst einmal richtig: In der EU und in den USA gelten derzeit immer noch größtenteils unterschiedliche Normen und Regeln für Produkte und Dienstleistungen. Insbesondere Exporteure von Waren und Dienstleistungen stoßen hier auf Schwierigkeiten, weil sie ihre Produkte zwei Mal testen, zulassen oder zertifizieren müssen. Dies ist mit Aufwand und Kosten verbunden. Mit der "regulatorischen Kooperation" soll mittels einer engeren Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden in der EU und den USA erreicht werden, dass beispielsweise in der Automobil-, Chemie- und Pharmaindustrie unnötige Vorschriften im Handel vermieden, Zertifizierungsverfahren gegenseitig anerkannt oder auch Produktanforderungen harmonisiert werden.

Hier wird es meines Erachtens auf folgende Punkte ankommen:
- Welche Bereiche werden von der regulatorischen Kooperation am Ende erfasst sein und welche bleiben ausgeschlossen?
- Wird es sowohl dem Gesetzgeber in den USA als auch dem Gesetzgeber in der EU weiterhin möglich sein, das von ihm angestrebte Schutzniveau (einschließlich höherer Schutzniveaus) zum Schutz von Gemeinwohlinteressen selbst festzulegen?
- Welche Rolle spielt der angedachte Regulierungsrat (Regulatory Cooperation Body)? Diesen sehe ich persönlich ebenfalls sehr kritisch.

Letztendlich existiert eine regulatorische Kooperation zwischen der EU und den USA bereits seit 2007 in einem "Hochrangigen Forum für regulatorische Zusammenarbeit" im Rahmen der Vereinbarungen des Transatlantischen Wirtschaftsrats (TEC). Im TTIP soll an diese Kooperation angeknüpft werden.
Es geht nicht darum, unsere hohen europäischen Standards zu senken - schließlich wollen auch die USA umgekehrt keine Absenkung ihrer Standards (oder war Ihnen bekannt, dass deutsche Äpfel de facto nicht in die USA exportiert werden können, weil sie die Standards schlichtweg nicht erfüllen?). Ihre Sorge, dass in Zukunft keine Gesetzesinitiative mehr zustande kommen wird, die Umwelt und Verbraucherrechte stärken soll, ist daher aus meiner Sicht unbegründet.

In diesem Zusammenhang darf ich auf eine interessante Studie der London School of Economics hinweisen, die aufzeigt, welche Interessensgruppen (Verbraucherschützer oder Wirtschaftsvertreter) erfolgreicher lobbyieren - Sie werden überrascht sein:
http://blogs.lse.ac.uk/europpblog/2015/02/18/contrary-to-popular-opinion-business-actors-are-less-successful-than-citizen-groups-at-lobbying-eu-legislators/

Im Hinblick auf das Thema Schiedsgerichte bin ich überzeugt, dass wir in dem Handelsabkommen mit den USA keine Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit (ISDS) benötigen. Sowohl bei den USA als auch bei den Ländern der Europäischen Union handelt es sich um Staaten, deren Rechtssysteme auf dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit beruhen. Daher muss es vielmehr Ziel der Verhandlungen sein, dass das TTIP-Abkommen unmittelbare Anwendung findet und sich die Streitparteien demnach vor nationalen Gerichten auf das Abkommen berufen können. Aus diesem Grund habe ich mich im Übrigen kürzlich bei der Abstimmung im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments in einer Stellungnahme zum Thema TTIP gegen ISDS ausgesprochen.

Ich bin nicht der Meinung, dass TTIP vollständig begraben werden sollte, wenngleich auch weitere Verbesserungen in dem Abkommen zwingend notwendig sind.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Angelika Niebler, MdEP

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