Frage an Anjes Tjarks bezüglich Gesundheit

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Anjes Tjarks
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Thomas J. •

Frage an Anjes Tjarks von Thomas J. bezüglich Gesundheit

Hallo, Herr Tjarks,

welche Pläne haben Sie fürs Gesundheitssystem? Was wollen Sie vor allem ändern? Soll es zum Beispiel weiter private und gesetzliche Versicherungen wie bisher geben? Bleibt es beim Gesundheitsfonds? Soll an der Organisation der gesundheitlichen Versorgung durch Ärzte und Kliniken etwas geändert werden? Welche Vorhaben gibt es im Bereich Pharmaindustrie und Apotheken?

Freundliche Grüße
Thomas Jokerst-Gracias

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Jokerst-Gracias,

danke für Ihre Frage. Mir ist vor allem wichtig, dass wir die Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland beenden. Der Grundgedanke der gesetzlichen Krankenversicherung war, dass Gesunde und Kranke, Junge und Alte sowie Gut- und Geringverdienende solidarisch füreinander einstehen. Doch unser Gesundheitssystem ist in Schieflage geraten. Privatversicherte sind häufig privilegiert und erhalten Vorzugsbehandlungen. Gut verdienende Angestellte, Beamte, viele Abgeordnete und die meisten Selbständigen gehören der privaten Krankenversicherung an. Als Privatversicherte versichern sie nur ihr eigenes, meist unterdurchschnittliches Krankheitsrisiko. Zum Solidarausgleich tragen sie so nicht bei - und man kann es Ihnen häufig auch nicht mal verübeln, weil die Systeme sie sonst grob benachteiligen würden.

Die grüne Bürgerversicherung: Unsere Alternative zur Zwei-Klassen-Medizin ist die grüne Bürgerversicherung: Eine für alle statt jeder für sich. Die grüne Bürgerversicherung bezieht alle Bürgerinnen und Bürger in die Solidargemeinschaft ein. Gleichzeitig wird die paritätische Finanzierung zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen wiederhergestellt.

Die grüne Bürgerversicherung sorgt aber nicht nur für die Stärkung der Solidarität. Sie ist ein entscheidender Schritt zu einer soliden Finanzierung des Gesundheitswesens, denn wir verbreitern die finanzielle Basis. Zukünftig wollen wir alle Einkommensarten gleichbehandeln und zur Finanzierung heranziehen. Also neben Arbeitseinkommen und Renten auch Kapitaleinkommen, zum Beispiel durch Aktiengewinne, Zinsen, Spekulationsgewinne und Mieteinnahmen. Zudem heben wir die Beitragsbemessungsgrenze auf das in der Rentenversicherung geltende Niveau. Das schafft mehr Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, indem es Gutverdienende fairer beteiligt, macht die Finanzierung zukunftsfest und schafft Raum für Beitragssatzsenkungen.

Die grüne Bürgerversicherung ist keine Einheitsversicherung. Sowohl die gesetzlichen als auch private Krankenversicherer können die Bürgerversicherung anbieten. Allerdings gilt eine gemeinsame Honorarordnung. Denn die Art und das Ausmaß der Behandlung von Patientinnen und Patienten dürfen nicht länger davon abhängig sein, ob diese privat oder gesetzlich versichert sind. Dabei werden wir sicherstellen, dass die höheren Honorare, die heute über die Privatversicherten an die Ärzteschaft und an die anderen Gesundheitsberufe fließen, insgesamt erhalten bleiben und gerechter verteilt werden. Der Wettbewerb unter den Anbietern darf dabei nicht über den Beitragsatz, sondern soll vor allem über die Qualität und Patientenorientierung geführt werden. Versicherte dürfen wegen ihres Alters, ihres Geschlechts oder möglicher Vorerkrankungen nicht benachteiligt werden. Die Beiträge sind strikt einkommensbezogen zu erheben. Zuzahlungen werden abgeschafft.

Die grüne Bürgerversicherung unterstützt Familien mit Kindern. Kinder werden kostenlos mitversichert, zeitlich begrenzt auch Verheiratete bzw. LebenspartnerInnen, die nicht erwerbstätig sind, aber Kinder erziehen oder Pflegeleistungen erbringen. Für alle anderen Ehepaare und für eingetragene Lebensgemeinschaften wird ein Beitragssplitting eingeführt. Damit wird die Bevorzugung von Alleinverdienerpaaren mit einem überdurchschnittlichen Haushaltseinkommen beendet.

Schwarz-Gelb will das Gegenteil: Die noch regierende Koalition will den Solidarausgleich innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung immer weiter abbauen. Die steigenden Gesundheitsausgaben sollen über pauschale Zusatzbeiträge alleine den Versicherten aufgebürdet werden.

Primärversorgung durch Haus- und Kinderärzte stärken Wir wollen die wohnortnahe gesundheitliche Versorgung weiter verbessern und den Zugang unabhängig von Alter, Einkommen, Geschlecht, Herkunft, Behinderung, sozialer Lage und Wohnort sicherstellen. Kern muss eine Primärversorgung sein, in der Haus- und KinderärztInnen sowie die Angehörigen weiterer Gesundheitsberufe auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Dafür sind u. a. die Aufwertung der HausärztInnen und des Berufsbildes der Pflege, eine veränderte Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsberufen und ein Vergütungssystem erforderlich, das die besonderen Leistungen der Primärversorgung, wie die Beratung und Begleitung der PatientInnen, berücksichtigt. Hausarztverträge können dabei ein Beitrag sein, um eine wohnortnahe Primärversorgung zu gewährleisten und die Qualität der Versorgung zu verbessern.

Falsche ökonomische Anreize in Krankenhäusern korrigieren Wir wollen außerdem eine Kurskorrektur in der Krankenhauspolitik. Fehlerhafte ökonomische Anreize im derzeitigen Finanzierungssystem, die zu unangebrachten oder ethisch fragwürdigen Therapieentscheidungen führen können, wollen wir beheben. Die Vergütungen, die die Krankenhäuser für die Behandlung der Patientinnen und Patienten erhalten, müssen die steigenden Personal- und Sachkosten angemessen berücksichtigen. Die Qualität der Behandlung sowie der Patientennutzen sollten zunehmend in die Vergütung eingehen. Die Vorhaltekosten der Notfallversorgung und die Kostenstruktur der unterschiedlichen Krankenhausgrößen müssen angemessen berücksichtigt werden. Sicherheit von pharmazeutischen Produkten verbessern

Sicherheit, Wirksamkeit und Nutzen von Medizinprodukten müssen verbessert werden. Dazu gehören ein europaweit einheitliches staatliches Zulassungsverfahren für Hochrisikoprodukte, strenge Vorgaben für klinische Studien, ein Medizinprodukteregister und eine bessere Nutzenbewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Notwendig ist zudem eine Produkthaftpflicht für Medizinproduktehersteller.
Die kürzlich eingeführte Nutzenbewertung neuer Arzneimittel ist ein wichtiger Schritt. Sie ermöglicht, den Preis eines Medikaments davon abhängig zu machen, welcher Patientennutzen mit ihm verbunden ist. Hier wollen wir die Pharmaunternehmen in die Pflicht nehmen. Damit alle Informationen zu einem Arzneimittel in seine Bewertung einfließen können, wollen wir die Pharmaunternehmen verpflichten, alle Arzneimittelstudien registrieren zu lassen und deren Resultate zu veröffentlichen. Forschungsprojekte zur spezifischen Verträglichkeit von Arzneimitteln bei Kindern sowie zur geschlechterspezifischen Verträglichkeit müssen ausgebaut werden. Medizinische Forschung muss transparent gestaltet, Abhängigkeiten von Drittmittelgebern in der Forschung konsequent offengelegt werden.

Fremdbesitzverbot von Apotheken abschaffen
Sie haben auch nach den Apotheken gefragt. Hier gilt es einen alten Zopf - das Fremdbesitzverbot von Apotheken - abzuschaffen. Eine gute Beratung hängt nicht an den Besitzverhältnissen einer Apotheke.

Ich hoffe, dass ich bei diesem komplexen und sehr reformbedürftigen Bereich einen groben Überblick über unsere Ziele geben konnte und würde mich freuen, wenn Sie am 22. September Grün wählen

Ihr

Anjes Tjarks