Frage an Aydan Özoğuz bezüglich Familie

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Aydan Özoğuz
SPD
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Frage von Christoph S. •

Frage an Aydan Özoğuz von Christoph S. bezüglich Familie

Viele staatliche Großprojekte sind am Ende teuer und dauern länger bis zur Inbetriebnahme als von der Politik erhofft. Kann es sein, dass dies auch mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz so geht, weil die dafür nötigen Immobilen und das Personal kurzfristig nicht zu beschaffen sind?

Kann es sein, dass der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz verfassungswidrig ist, weil die Gemeinden damit überfordert werden?

Ist der Beruf „Erzieher“ Ihrer Meinung nach auskömmlich? Ab dem wievielten Kind ist ein Doppelverdiener-Erzieher-Ehepaar auf Harz 4-Aufstocken angewiesen? Oder sollte sich zumindest einer einen besser bezahlten Job suchen?

Wie groß ist ihrer Meinung nach der zumutbare Umweg auf dem Weg zur Arbeit oder die weiteste Entfernung zum Wohnort für einen Ersatzkindergarten? Ist die Benutzung des Fahrrads zumutbar? Wie lange höchsten Reisezeit im ÖPNV? Kann ein Auto vorausgesetzt werden?

Qualitätsmangel aus Personalmangel?
Kann es sein dass die gegen das Betreuungsgeld angeführten Qualitätsargumente der Kitas sich nicht realisieren lassen?

? Kompromiss zur CSU?: das Betreuungsgeld solange bezahlen, bis die Kindergärten qualitativ, quantitativ, Öffnungszeiten ok sind?

kurze Öffnungszeiten: Sind K. nur für Teilzeitler mit kurzem Pendelweg gedacht oder haben auch Vollzeit-Fernpendler (ca 10-12h Abwesenheit) und Wechselschichtler einen Anspruch auf einen Kitaplatz während ihrer Arbeits- und Pendelzeit?

Gibt es in der Grundschulzeit dann wieder eine Betreuungslücke?

Kitas werden mit über 1000Euro pro Kind und Monat subventioniert. Lohnt sich das? Viele Eltern verdienen doch gar nicht so viel, besonders bei mehreren Kindern oder Teilzeitlern. Ist es nicht gesamtwirtschaftlich viel billiger, wenn die Eltern auf die Kinder selber aufpassen?

Spielkreis statt Vollzeit-Kita: Statt dessen Erziehungsergänzung und Vorschule in pädagogisch wertvollen Kleingruppen mit 15h/Woche, sodass die knappen Ressource effektiv für viele Kinder genutzt werden können.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Strebel,

vielen Dank für Ihre vielen Fragen.

Sie haben natürlich Recht, dass bereits heute abzusehen ist, dass vor allem in Ballungsräumen und Großstädten die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz schwierig wird bzw. zu scheitern droht. Obwohl es den Kommunen, Ländern und Trägern unter Aufbringung von erheblichen finanziellen Mitteln und Knowhow in den letzten Jahren gelungen ist, Hunderttausende neuer Plätze zu schaffen, lesen wir derzeit in den Nachrichten von einer Lücke von ca. 150.000 Plätzen und den Sorgen vieler Kommunen vor einer Klagewelle der Eltern. Diese Entwicklung kam für den aufmerksamen Beobachter nun auch nicht überraschend - die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits im Mai 2012 - also vor über acht Monaten - auf die dringenden Probleme hingewiesen und einen Maßnahmenkatalog aufgestellt. Diesen können Sie auch im Antrag der SPD-Bundestagsfraktion „Kita-Ausbau statt Betreuungsgeld“ (Drs. 17/9572) nachlesen.

Viele Kommunen und viele Bundesländer sahen und sehen sich vor erheblichen Schwierigkeiten: Der bei Verabschiedung des Kinderförderungsgesetzes (KiFöG) im Dezember 2008 kalkulierte Bedarf für Kita- und Krippenplätze war insbesondere in den Ballungsräumen zu niedrig angesetzt. Zugleich fehlen mancherorts geeignete Liegenschaften und Immobilien, vor allem in Metropolregionen mit einer höheren Nachfrage.

Um das politische Versprechen an Eltern und Familien auf ein ausreichendes Angebot einzulösen, hätte die schwarz-gelbe Bundesregierung das Ausbauprogramm an die tatsächliche Entwicklung anpassen müssen: Dies beinhaltet auch eine deutlich höhere Nachfrage und Tariferhöhungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ferner müssten die Planungen auf der Grundlage aktueller Bedarfsprognosen in Verbindung mit der tatsächlichen demografischen Entwicklung und ihren regional unterschiedlichen Entwicklungen auf den Ausbaubedarf fortgeschrieben werden.

Und wie Sie richtig ausführen, möchten Eltern für ihre Kinder nicht nur einen „Aufbewahrungsort“, sondern eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe Betreuung durch Fachkräfte, die mit Freude und Engagement bei der Arbeit sind - und die dafür natürlich eine angemessen Entlohnung erhalten. Dies ist eines der Leitmotive sozialdemokratischer Politik. Tatsächlich sind in den letzten sechs Jahren zusätzliche 65.000 Erzieherinnen und Erzieher eingestellt worden. Trotzdem fehlen in den meisten Ländern und Kommunen derzeit noch Fachkräfte. Verschärft wird das Problem meines Erachtens in Zukunft auch zusätzlich durch eine in den nächsten Jahren anstehende Pensionierungswelle im Bereich der Kindertageseinrichtungen.

Die Probleme sind da und werden auch in naher Zukunft nicht kleiner. Die Lösung dieser Probleme besteht aber gewiss nicht in der Einführung des Betreuungsgeldes – auch nicht übergangsweise: Das Betreuungsgeld mit seinen jährlichen kosten von rund zwei Milliarden Euro gefährdet die Erreichung der Ziele im Kitaausbau. Die Mittel fürs Betreuungsgeld müssten stattdessen dringend und dauerhaft in den forcierten Ausbau und in den Betrieb von KiTAs und Tagespflege investiert werden. 166.000 zusätzliche Plätze könnten mit dem Geld entstehen und den laufenden Betrieb finanzieren. Das entspricht dem Großteil der noch fehlenden Plätze, die wir noch brauchen, um den Rechtsanspruch zu erfüllen.

Sie fragen auch, ob die hohen Kosten der Kitabetreuung gesamtwirtschaftlich „lohnen“: Ich halte nichts davon, irgendeine Seite zu stigmatisieren und zu sagen, diese oder jene Art der Kinderbetreuung sei richtig. Eltern müssen selbst entscheiden, welche Option für sie und ihre Kinder am besten ist: die Kinder zu Hause betreuen oder stundenweise in eine Kindertageseinrichtung bringen. Was mir aber am Herzen liegt, ist die Möglichkeit, beides tun zu können, ohne dabei die Kinder auf das Abstellgleis zu schieben. Die in der Debatte um das Betreuungsgeld vielzitierte „Wahlfreiheit“ besteht meines Erachtens erst, wenn ausreichend Kitaplätze vorhanden sind. Wenn – zumeist – Frauen die Möglichkeit haben, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren und sich nicht mit der Geburt von ihrem Beruf verabschieden müssen. Leider wird sehr wenig darüber gesprochen, was denn eigentlich mit den Kindern zu Hause gemacht wird. Was mit denjenigen Kindern ist, die vielleicht weniger Anreize bekommen. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Das Betreuungsgeld der Regierungskoalition legt ja eben keinen Anspruch auf die Art der Betreuung, sondern zahlt das Geld einfach aus. Einzige Voraussetzung, das Betreuungsgeld zu erhalten, ist, keine staatliche Leistung, sprich: keinen Krippenplatz, in Anspruch zu nehmen.

Die Wahlfreiheit möchte ich im Übrigen auch nicht am Gehalt der Mutter (oder des Vaters) festmachen. Der gesamtgesellschaftliche und der gesamtwirtschaftliche Nutzen sowie die individuelle Sicherheit auch in Bezug auf das Alter ist meines Erachtens höher, wenn Frauen aktiv am Arbeitsleben teilhaben, sich einbringen und auch unabhängig vom Ehemann bzw. Partner wirtschaftlich existieren können. Betrachten Sie das Thema Altersarmut: Viele Frauen, die ihr Leben lang nicht oder nur in Minijobs gearbeitet haben, stehen heute - und zukünftig noch mehr - vor dem Problem der Armut im Alter. Für wen soll das gut sein?

Ich bin trotz all der genannten Probleme eine Verfechterin des Kitaausbaus und die Tatsache, dass der Rechtsanspruch zum 1. August 2013 möglicherweise nicht für alle gewährleistet werden kann, ist kein Grund, die Sache noch weiter zu verzögern. In Hamburg haben wir uns vorgenommen, eine Vorreiterfunktion einzunehmen und werden wahrscheinlich auch den Anspruch für alle Kinder erfüllen können. Dies ist ein wichtiger Schritt.

Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung nicht immer diese Schritte zurück macht: Betreuungsgeld oder doch Kitaausbau, Atomkraft oder doch Energiewende, Bekämpfung von Steuersündern oder doch lieber nur darauf drängen, dass alle straffrei bleiben? Ich denke, da ist die Bundesregierung doch wirklich gefragt, deutlicher zu zeigen, was sie eigentlich will.

Mit freundlichen Grüßen

Aydan Özoğuz, MdB

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