Frage an Aydan Özoğuz bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Aydan Özoğuz
SPD
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Frage von Marten Z. •

Frage an Aydan Özoğuz von Marten Z. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Özuguz,

ich würde gerne wissen, was Ihre Meinung als meine Volksvertreterin zur Repräsentativität unserer Demokratie ist. Da Sie an den Fraktionszwang und damit de facto nicht an Ihr Gewissen gebunden sind, scheint mir Ihre persönliche Meinung und damit auch Ihre Verbindung zu Ihrem Wahlkreis (und damit meinem Zuhause und mir) wenig wichtig zu sein. Hinzu kommt, dass die Parteien den Bürgern in letzter Zeit immer mehr Prinzipienlosigkeit vorleben und ich persönlich das Gefühl habe, Politiker entfernen sich immer mehr von der Mehrheit der Bevölkerung. Wenn beispielsweise Aussagen aus dem Wahlkampf wenige Monate später keinerlei Gültigkeit mehr haben, in wiefern repräsentiert das System dann noch diejenigen, die ihre Stimme aufgrund dieser Aussagen abgegeben haben?

Mir persönlich gehen allmählich die wählbaren Parteien aus, nachdem Ihre Parteispitze sich scheinbar komplett von sozialdemokratischen (oder sonstigen nicht-monetaren) Werten befreit hat. Ich nehme an, das geht anderen Wählern in anderen Teilen des politischen Spektrums ähnlich.

Ich habe zuletzt einen Aufruf zu mehr politischer Beteiligung gelesen und frage Sie daher jetzt an dieser Stelle mit aufrichtiger Neugier: Wie viel Sinn macht es, wenn ich mit Ihnen in Kontakt trete? Was, außer mich vertrösten und Parteilinie predigen können Sie tun?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Zabel,

vielen Dank für Ihre Frage. Im Bundestag gibt es keinen „Fraktionszwang“. Der Artikel 38 des Grundgesetzes regelt unmissverständlich, dass die Mitglieder des Bundestages nicht an Aufträge oder Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind.
Dass die Fraktionen (insbesondere die an der Regierungskoalition beteiligten) sich bemühen, an einer Art „Fraktionsdisziplin“ festzuhalten und bei Entscheidungen ein möglichst einheitliches Abstimmungsverhalten zu verfolgen, finde ich hingegen nachvollziehbar. Im Vorfeld von Abstimmungen wird innerhalb der Fraktionen, Arbeitsgruppen und anderer Gesprächsforen sehr intensiv diskutiert. Jede und jeder Abgeordnete kann hier seine Auffassung frei vertreten und einbringen. Dass am Ende des Meinungsbildungsprozesses ein mehrheitliches Votum beschlossen wird, an welches sich in der Regel die meisten Abgeordneten halten, dient vor allem der Sicherstellung stabiler politischer Verhältnisse. Wäre dies nicht so, würde es zudem vermutlich nicht zu Unrecht heißen: Was ist denn nun die Linie der SPD?
Diese Handhabung beeinträchtigt aber nicht meine persönliche Meinung oder meine Rolle als Vertreterin des Wahlkreises Hamburg-Wandsbek. Ich halte stets einen engen Kontakt zum Wahlkreis, lade Wandsbekerinnen und Wandsbeker sehr regelmäßig zu politischen Gesprächsformaten ein und nehme viele Anregungen von ihnen mit in meine Arbeit. Es gibt auch immer wieder Fälle, in denen ich durch die Bereitstellung von Informationen oder die Herstellung von Kontaktmöglichkeiten ganz individuelle Hilfestellung leisten kann, wenn Bürgerinnen und Bürger sich mit ihren Anliegen an mich wenden.
Eine Demokratie, wie wir sie in Deutschland haben, bedeutet auch häufig Kompromisse. Dass im Wahlkampf benannte Ziele manchmal in Koalitionsverhandlungen „abgeschwächt“ werden oder ein Koalitionspartner die Ziele des anderen Partners mitträgt, auch wenn diese nicht zu den „Herzensprojekten“ der eigenen Partei gehören, ist bei einer demokratischen Regierungsbildung wohl nie auszuschließen. Natürlich kommt es dadurch gelegentlich zu Enttäuschung und Unmut bei der Wählerschaft und in dem einen oder anderen Fall genauso bei den Volksvertretern. Noch mehr Transparenz, Information und Einbindung in politische Entscheidungsprozesse würde in vielen Fällen sicherlich dienlich sein, um das Vertrauen in die politischen Parteien zu stärken. Gleichzeitig funktioniert die Ausgestaltung unserer Demokratie insgesamt gut und ich sehe keine überzeugende Alternative für unser Prinzip der repräsentativen Demokratie.

Mit freundlichen Grüßen
Aydan Özoğuz, MdB

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