Frage an Aydan Özoğuz bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Aydan Özoğuz
SPD
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Frage von Wolf L. •

Frage an Aydan Özoğuz von Wolf L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Özoguz,

ich mache mir seit vielen Monaten Sorgen um die sich immer weiter verkleinernden Spielräume der Politik gegenüber den Großkonzernen und Banken. Vor allem habe ich die Sorge, dass die Bürger immer weniger Vertrauen in die Politik und damit gegenüber den Politikerinnen und Politikern haben, wenn sie feststellen, dass die Wünsche der Multinationalen Konzerne mehr zählen als der in Umfragen ermittelte Wusch der Bürger.

Nun kommt meine konkrete Frage:

Wie stehen Sie zu den geplanten Freihandels- und Investitionsschutzabkommen CETA und TTIP?
Wie stehen Sie zur organisierten Entmachtung der Politiker durch Konzernlobbyisten, die dann im "Regulierungsrat" und anderen demokratisch nicht legitimierten Gremien schon mal vorab entscheiden, über was nachher die Abgeordneten noch abstimmen dürfen? Finden Sie es nicht auch einer Demokratie unwürdig, dass selbst Abgeordnete erst nach jahrelangen Protesten einen dann auch noch eingeschränkten Zugang zu den verhandelten Texten gewährt wird und dies darüber noch nicht einmal mit anderen reden, geschweige den sich Kopien oder Notizen machen dürfen...?
Beteiligen Sie sich auch an der Verschleierungstaktik von Herrn Gabriel, mit den absurden Behauptungen "TTIP ist schlecht" "CETA ist gut"?

Oder geht es Ihnen wie 70% der Bürger, die sich in Umfragen gegen die Fortsetzung der Geheimverhandlungen zu TTIP und gegen die vorläufige Inkraftsetzung von wichtigen CETA Regelungen durch die EU Kommission. ?

Klar ist doch : Beide Abkommen sind eine Gefahr für unsere Demokratie, für Sozial- und Umweltstandards, die öffentliche Daseinsvorsorge und die kulturelle Vielfalt.

Wie sehen Sie hier Ihre Aufgabe als gewählter Volksvertreter?
Kann ich damit rechnen, dass Sie im Interesse von Mensch und Umwelt und nicht für den Profit Ihre Stimme erheben?

Wie werden Sie als SPD Mitglied abstimmen, wenn Herr Gabriel Ihre Stimme für CETA haben möchte?

Mit besorgten Grüßen

Wolf Langlotz

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Langlotz,

vielen Dank für Ihre Fragen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP. Auch wenn ich die von Ihnen angeführte „Verschleierungstaktik“ in Bezug auf die beiden Abkommen nicht erkennen kann, möchte ich gerne auf verschiedenen Aspekte Ihrer Fragen eingehen:

"Wie stehen Sie zu den geplanten Freihandels- und Investitionsschutzabkommen?"

Ich habe bereits in der Vergangenheit (auch hier auf Abgeordnetenwatch) geäußert, dass ich grundsätzlich für die Verhandlungen zwischen der EU und den USA bzw. Kanada bin – denn die ohnehin intensiven Handelsbeziehungen, von denen auch unsere Exportwirtschaft profitiert, könnten von solch umfassenden Abkommen gestützt werden. Gleichzeitig gibt es für mich als auch die SPD einige Aspekte, die eben nicht verhandelbar sind: dies betrifft beispielsweise Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz, die kommunale Daseinsvorsorge, Arbeits- und Tarifvertragsrecht als auch gewisse „Rote Linien“ beim Investitionsschutz und Schiedsgerichten.
Die ausgehandelten und inzwischen auch auf Deutsch vorliegenden Texte des CETA-Abkommens werden aktuell von den Fachpolitikern der SPD-Bundestagsfraktion geprüft. Ersten Einschätzungen nach, ist es gelungen, mit Kanada ein Abkommen zu verhandeln, das hohe Standards setzt und gleichzeitig die wirtschaftliche Kooperation der Länder deutlich verbessert. Die anstehenden Beratungen im Europäischen Parlament sowie perspektivisch in den nationalen Parlamenten bieten die Chance, weitere Verbesserungen durchzusetzen.
Das TTIP-Abkommen ist bei Weitem nicht so weit fortgeschritten und positiv zu bewerten. Hier hat es offenbar in den vergangenen Wochen und Monaten in umstrittenen Fragen keine Annäherung zwischen der EU und den USA gegeben. Ob und wann es hier – insbesondere nach dem aus unserer Sicht überraschenden Ausgang der US-Wahlen – zu einem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen kommen wird, ist aktuell kaum zu sagen. Auch hier ist die Haltung der SPD jedoch klar: ein Abkommen wird es nicht um jeden Preis geben.

"Wie stehen Sie zur organisierten Entmachtung der Politiker durch Konzernlobbyisten, die dann im "Regulierungsrat" und anderen demokratisch nicht legitimierten Gremien schon mal vorab entscheiden, über was nachher die Abgeordneten noch abstimmen dürfen?"

CETA wurde als gemischtes Abkommen eingestuft, über dessen Verabschiedung letztendlich die nationalen europäischen Parlamente entscheiden werden. Ähnlich würde es bei TTIP angestrebt werden. Von einer Entmachtung der Politik kann also nicht die Rede sein. Ein Gremium der regulatorischen Kooperation kann Vorschläge machen. Ob gemeinsame Standards aufgestellt werden oder Regulierungen gegenseitig anerkannt werden können, müssen dann aber die Parlamente entscheiden.

"Finden Sie es nicht auch einer Demokratie unwürdig, dass selbst Abgeordnete erst nach jahrelangen Protesten einen dann auch noch eingeschränkten Zugang zu den verhandelten Texten gewährt wird und dies darüber noch nicht einmal mit anderen reden, geschweige den sich Kopien oder Notizen machen dürfen...?"

Hierzu habe ich mich im Februar 2016 bereits auf abgeordnetenwatch.de wie folgt geäußert:
„Die Nutzungsbedingungen für den seit 1. Februar 2016 im Wirtschaftsministerium eingerichteten Leseraum für TTIP-Dokumente wurden zwischen der Europäischen Kommission und den USA ausgehandelt und sind tatsächlich nicht für die Veröffentlichung bestimmt. Ich kann Ihnen bestätigen, dass die aufgestellten Regeln relativ streng sind, um eine mögliche Veröffentlichung der einsehbaren konsolidierten Verhandlungsdokumente zu verhindern. Dies wird in erster Linie mit der Wahrung von Verhandlungsinteressen bzw. –positionen der EU sowie der USA begründet, die bei Veröffentlichung gefährdet werden könnten. Doch auch wenn die Bedingungen auf den ersten Blick streng erscheinen und die Verhandlungen rund um TTIP in der Anfangszeit viel zu intransparent waren, ist das inzwischen erreichte Maß an Transparenz sogar höher als bei zuvor dagewesenen Verhandlungen zu anderen Freihandelsabkommen. Deutschland ist einer der ersten EU-Mitgliedstaaten, der überhaupt diese Möglichkeit der Einsichtnahme für Parlamentarier einrichten konnte. Eine hohe Transparenz ist wichtig, um mehr Akzeptanz für ein solches Abkommen in der Bevölkerung sowie eine sachlichere Debatte als in der Vergangenheit zu schaffen. Ich glaube, die lange von Sozialdemokraten im Bund und im Europaparlament geforderte Einrichtung eines Leseraums ist hier ein weiterer guter Schritt.
Klar ist im Übrigen auch, dass die Verhandlungsergebnisse der Öffentlichkeit (in deutscher Übersetzung) vorgelegt werden noch bevor die nationalen Parlamente und somit auch der Bundestag darüber abstimmen werden. Zudem hat Sigmar Gabriel angekündigt, auch einen Parteitag oder –konvent zu den Ergebnissen beraten zu lassen. An Öffentlichkeit wird es dann sicher nicht mangeln.“

Genau dies ist ja auch geschehen und die öffentliche Debatte war sehr intensiv. Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu, dass schon der Anschein von Heimlichtuerei diesen Abkommen mehr Schaden zugefügt hat als ihnen zu nützen.

"Oder geht es Ihnen wie 70% der Bürger, die sich in Umfragen gegen die Fortsetzung der Geheimverhandlungen zu TTIP und gegen die vorläufige Inkraftsetzung von wichtigen CETA Regelungen durch die EU Kommission?"

Das Abstimmungsverfahren zum CETA Abkommen ist durch das EU-Recht und den Lissabon-Vertrag eindeutig festgelegt. Die Europäische Kommission schlug gemäß diesen Verfahrensrichtlinien dem Europäischen Rat die Unterzeichnung, den Abschluss und die vorläufige Anwendung vor. Der Rat hat diesem Vorschlag Ende Oktober entsprochen. Aktuell laufen Prüfung und Debatten im Europäischen Parlament. Die abschließende Plenarbefassung im EP ist für Dezember 2016 oder Januar 2017 geplant.
Nach der Zustimmung des Europäischen Parlamentes kann CETA voraussichtlich ab März 2017 vorläufig angewendet werden. Danach folgt die Phase der nationalen Ratifizierungen, die mehrere Jahre dauern kann. Erst wenn neben Kanada auch alle 28 EU-Mitgliedsstaaten CETA ratifiziert haben, kann es vollständig in Kraft treten.
Laut geltender Rechtslage und laut des Lissabonner Vertrages können allerdings nur solche Teile des Abkommens von CETA vorläufig angewendet werden, die vollständig vergemeinschaftet sind. Dies ist zum Beispiel bei dem Streitthema Investitionsschutz nicht der Fall. Damit ist ein zentraler Bereich des Abkommens von der vorläufigen Anwendung explizit ausgenommen. Zur vorläufigen Anwendung hat sich auch das Bundesverfassungsgericht am 13.10.2016 geäußert. So musste die Bundesregierung vor der Abstimmung des Europäischen Rates über die vorläufige Anwendung sicherstellen, dass
• ein solcher Ratsbeschluss nur die Bereiche von CETA umfassen wird, die unstreitig in EU-Zuständigkeit liegen
• bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache eine hinreichende demokratische Rückbindung der im Gemischten CETA-Ausschuss gefassten Beschlüsse gewährleistet ist, und
• die Auslegung des Art. 30.7 Abs. 3 Buchstabe c CETA eine einseitige Beendigung der vorläufigen Anwendung durch Deutschland ermöglicht
Durch die Zustimmung des Europäischen Parlaments zu CETA wird die vorläufige Anwendung von CETA demokratisch legitimiert. Das Europäische Parlament nimmt seine Verantwortung sehr ernst. Es hat in der Vergangenheit bereits Abkommen abgelehnt, die seinen Ansprüchen nicht genügen.

"Kann ich damit rechnen, dass Sie im Interesse von Mensch und Umwelt und nicht für den Profit Ihre Stimme erheben? Wie werden Sie als SPD Mitglied abstimmen, wenn Herr Gabriel Ihre Stimme für CETA haben möchte?"

Eine Abstimmung wird erst nach ausführlichen Beratungen und Analysen stattfinden und ist aktuell noch nicht absehbar. Ich werde dann nach bestem Gewissen und basierend auf profunden und vertrauenswerten Einschätzungen von Fachkollegen, Gewerkschaften etc. eine Entscheidung treffen.

Mit freundlichen Grüßen

Aydan Özoğuz, MdB

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