Frage an Aydan Özoğuz von Andreas P. bezüglich Finanzen
Sehr gehrte Frau Özoguz !
Cansel Kiziltepe (SPD) nennt Cum Ex Geschäfte im Bundestag illegal, inakzeptabel und unmoralisch. Sie benutzt das Wort STEUERRAUB statt Geschäfte. Großartig. Endlich Klartext, auch von der SPD.
Die geraubten Steuern müssen schnellstmöglich und mit allen Mitteln zurückgeholt werden.
Wie geht es jetzt bitte weiter ?
Mit freundlichen Grüßen
A. P.
Sehr geehrter Herr P.,
Ende vergangenen Jahres berichteten die Medien – wieder einmal – über die Aufdeckung betrügerischer Aktiengeschäfte. Hierbei handelt es sich um Vorgänge in anderen europäischen Staaten und den USA. Jedoch entstand zuweilen der Eindruck, dass ähnliche Geschäfte, die sogenannten Cum/Ex-Gestaltungen, bis heute zu gravierenden Steuerausfällen in Deutschland führen.
Daher verstehe ich Ihre Besorgnis und danke Ihnen zugleich für Ihre Fragen. Gerne möchte ich die Möglichkeit nutzen, Ihnen eine präzise Darstellung und Bewertung der Geschehnisse zu vermitteln, zu der ich mich auch mit meinen Fachkollegen der AG Finanzen auseinandergesetzt habe:
Mit den Cum/Ex-Geschäften erschlichen sich Banken und Investoren jahrelang rechtswidrig Steuervorteile, indem sie sich Kapitalertragsteuer anrechnen oder erstatten ließen, die nie an den Fiskus abgeführt worden war. Die Finanzmarktakteure nutzen dabei die Modalitäten der Börsen, die Aktienkäufer schon vor der Einbuchung erworbener Papiere im Depot als deren Eigentümer behandeln. Dadurch gab es vorübergehend – vermeintlich – zwei Eigentümer der betreffenden Aktien.
Mit dem kriminellen Geschäftsmodell wurden die öffentlichen Haushalte und damit die Bürgerinnen und Bürger enorm geschädigt. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen beläuft sich das Volumen der Erstattungen, die die betrügerischen Steuerpflichtigen beantragten, auf über fünf Milliarden Euro. Über zwei Milliarden hiervon zahlten die Finanzbehörden von Bund und Ländern allerdings nie aus oder erhielten sie von den Banken – mit Zinsen – bereits zurück.
Von den Steuerhinterziehungen erfuhr das Bundesfinanzministerium im Frühjahr 2009. Die Finanzverwaltung verschärfte damals unverzüglich die Anforderungen an künftige Steuererstattungen und leitete die Untersuchung früherer Erstattungsfälle ein, was zur erwähnten Eindämmung des Schadens führte. Nach intensiver Prüfung des Besteuerungsverfahrens und dessen Schwachstellen befürworteten die Finanzministerien von Bund und Ländern trotzdem eine grundlegende Systemumstellung. 2011 verlagerte der Gesetzgeber die Verpflichtung zum Abzug der Kapitalertragsteuer bei Dividenden von den Emittenten, also den Aktiengesellschaften, auf die Banken, die die Aktien der Anleger verwahren. Der Steuerabzug und dessen Bescheinigung liegen seit 2012 in einer Hand, um eine mehrfache Geltendmachung von Erstattungsansprüchen zu verhindern.
Die betrügerischen Cum/Ex-Gestaltungen waren Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in der letzten Legislaturperiode. Dieser prüfte nicht nur das Vorgehen der Behörden, sondern auch die Entstehung und Entwicklung der Cum/Ex-Gestaltungen. Dabei deckten die Abgeordneten ein kriminelles Netzwerk von Banken, Investoren und Rechtsberatern auf. Seine Untersuchungsergebnisse fasste der Ausschuss in einem über 800 Seiten starken Bericht zusammen, den Sie bei Interesse hier finden:
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/127/1812700.pdf
Nach Überzeugung der SPD-Bundestagsfraktion war die mehrfache Geltendmachung einbehaltener Kapitalertragsteuer zweifelsfrei Steuerhinterziehung. Die Beweisaufnahme des Untersuchungsausschusses und die letzten einschlägigen Entscheidungen der Finanzgerichte bestätigen dies. Die SPD-Bundestagsfraktion befürwortet deshalb nachdrücklich die laufende – aufwändige – steuer- und strafrechtliche Aufarbeitung der Cum/Ex-Verdachtsfälle. Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen und der finanzielle Schaden für die Allgemeinheit minimiert werden.
Doch auch in Zukunft werden Steuerpflichtige – unterstützt von hochbezahlten Rechts- und Steuerberatern – versuchen, durch legale oder betrügerische Gestaltungen steuerliche Vorteile zu erzielen. Deshalb brauchen wir eine versierte Finanzverwaltung, die fachlich auf Augenhöhe mit den Finanzmarktakteuren agiert. Bundesfinanzminister Scholz betonte hierzu kürzlich im Finanzausschuss, dass er den Informationsaustausch zwischen den Behörden der Bankenaufsicht, der Steuerverwaltung und der Strafverfolgung strukturell fördert, damit etwaige Fehlentwicklungen frühzeitig erkannt werden können. Ein derart systematisches Handeln muss Daueraufgabe von Politik und Verwaltung sein.
Mit freundlichen Grüßen
Aydan Özoguz, MdB