Warum fehlen immer soviel Abgeordnete im Bundestag?
Es stößt einem sauer auf, wenn man sich die Übertragung der Sitzungen im Bundestag ansieht und feststellen muss, daß mind. 30% der Abgeordneten nicht anwesend sind, aber wohl ihre Diäten erhalten. Wo sind die Damen und Herren?
Sehr geehrter Frau H.,
vielen Dank für Ihre Frage. Da Sie sich auf meine Aufgaben als Bundestagspräsidentin beziehen, antworte ich Ihnen nicht in meiner Funktion als Abgeordnete, sondern als Vertreterin des Verfassungsorgans Deutscher Bundestag und der Gesamtheit seiner Mitglieder sowie dank der Zuarbeit der Bundestagsverwaltung:
Es ist verständlich, dass die Bilder aus dem Plenarsaal den Erwartungen der Zuschauer nicht immer entsprechen. Der Wahrnehmung, es seien nicht genug Abgeordnete im Plenum präsent, liegt allerdings ein wesentliches Missverständnis zugrunde, das auch viele politisch engagierte Bürgerinnen und Bürger, wie Sie Frau H., teilen.
Dass bei vielen Plenarsitzungen nur ein Teil Abgeordneten im Plenum anwesend ist, führt immer wieder zu Nachfragen. Umso wichtiger ist es mir, darüber aufzuklären, warum das so ist.
Auch wenn Plenardebatten der sichtbarste Teil der Parlamentsarbeit sind, spielt sich die Tätigkeit der Parlamentarier weitgehend außerhalb des Plenums ab. Das Parlament ist in hohem Maße arbeitsteilig organisiert: Die Fülle der parlamentarischen Initiativen und die Komplexität der Sachfragen zwingen die Abgeordneten, sich zu spezialisieren. Anders wäre die Arbeit nicht zu bewältigen – von den Tagesordnungen der Plenarsitzungen ist Ihnen die thematische Bandbreite sicher bekannt. Daher schließt sich der einzelne Abgeordnete für die Dauer einer Legislaturperiode einem oder mehreren Fachausschüssen an. Dort findet die parlamentarische Arbeit maßgeblich statt. Abgesehen von namentlichen Abstimmungen oder Wahlen mit Namensaufruf nehmen an den einzelnen Plenardebatten vornehmlich diejenigen Abgeordneten teil, die innerhalb der Fraktion für das jeweilige Sachgebiet fachlich zuständig und entsprechend mit der Materie befasst sind. Es wäre schlicht ineffizient und für die Arbeit des Parlaments insgesamt kein Gewinn, wenn alle Abgeordneten an allen Plenarsitzungen teilnehmen würden.
Mithin „fehlen“ bei der Plenardebatte abwesende Abgeordnete nicht: Neben Ausschuss- oder Plenarsitzungen nehmen Parlamentarier noch andere Mandatspflichten war, wie die Teilnahme an Fraktions- und Parteigremien, Gespräche mit Sachverständigen, Verbänden, Regierungs- und Kommunalvertretern, der Besuch von Fachveranstaltungen, das Lesen von Dokumenten, Pressetermine und die Betreuung von Bürgerinnen und Bürgern.
Allerdings haben sich die Abgeordneten mit § 14 Abgeordnetengesetz selbst verpflichtet, an namentlichen Abstimmungen oder an Wahlen mit Namensaufruf teilzunehmen und an Sitzungstagen in den Gebäuden des Bundestages präsent zu sein. Dazu zählen zum Beispiel auch die Büros der Abgeordneten. Ihre Anwesenheit wird dabei anhand einer Liste überprüft, in die sich jeder Abgeordnete eintragen muss. Je nach Verstoß werden sonst (automatisch) 100-200 Euro von ihrer monatlichen Kostenpauschale einbehalten – sofern sie nicht beurlaubt oder entschuldigt sind. Zu namentlichen Abstimmungen werden Abgeordnete in den Plenarsaal gerufen.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass Sie selbstverständlich die Möglichkeit haben, auch auf direktem Weg mit dem Deutschen Bundestag, seinen Abgeordneten oder mir als seiner Präsidentin Kontakt aufzunehmen. Zum Beispiel über: https://www.bundestag.de.
Mit freundlichen Grüßen
Bärbel Bas