Frage an Barbara Hendricks bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

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Barbara Hendricks
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Frage von Victor J. •

Frage an Barbara Hendricks von Victor J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Dr. Hendricks,

Sie, wie viele andere Mitglieder des Bundestages sind nicht vom Volk direkt gewählt worden, sondern über einen Listenplatz in den Bundestag eingezogen.
Als demokratisch würde eine direkte Wahl immer gelten, sobald aber der Bürger nur noch indirekt wählen kann, muss an der demokratischen Einstellung gezweifelt werden.
Aus diesem Grunde und aus erheblichen Einsparungsgründen, sollten alle Bundestagsabgeordneten nur noch direkt gewählt werden können. So würde der Bundestag auf rund 225 Abgeornete schrumpfen, eine Leistung für die Haushaltseinsparungen und für die Demokratie.
Hierzu hätte ich gerne Ihre Ansicht vernommen. Diese Frage werde ich auch der CDU und FDP stellen.

Mit freundlichen Grüßen
V. Janssen

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Janssen,

vielen Dank für Ihre Stellungnahme.
Ich finde es gut, dass Sie sich Gedanken über unsere gegenwärtige Wahlordnung machen, aber ich komme in beiden Punkten, der demokratischen Legitimation von indirekt über Liste gewählten Abgeordneten und der Kostenfrage,zu einem anderen Ergebnis als Sie. Mit dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat Ihre Aussage übrigens nichts zu tun. Darauf möchte ich zum Schluss gerne noch eingehen.

Zunächst zu Ihrem ersten Vorschlag, ausschließlich Direktmandate zu berücksichtigen:

Ein Parlament aus direkt gewählten Abgeordneten impliziert nicht nur eine Verkleinerung, sondern auch einen Wechsel zum Mehrheitswahlrecht, wie es zum Beispiel in England üblich ist. "The Winner takes it all" ist dort die Devise - und gleichzeitig ist auf diese Weise jede Notwendigkeit zur Koalition abgeschafft. Nur leider ist dann auch die Gleichwertigkeit von Wählerstimmen abgeschafft. Denn alle Voten für den unterlegenen Kandidaten oder die unterlegene Kandidatin fallen unter den Tisch und sind verloren - das ist nicht gerade demokratisch, finde ich.

Das Gegenmodell ist ein reines Verhältniswahlrecht, wo sich der Wähler für eine Partei mit starren Liste von Kandidaten entscheidet. Je nach Stimmenanteil ziehen von den einzelnen Parteien mal mehr, mal weniger Kandidaten in den Bundestag ein. Kein Kandidat wird direkt gewählt, alle von der Liste. So wurde in der Weimarer Republik gewählt und so wird übrigens auch das niederländische Parlament gewählt.

Unser Grundgesetz sieht ein Verhältniswahlrecht vor, allerdings mit einer Kombination aus Erststimme (Direktwahl) und Zweitstimme (Verhältniswahl), die "personalisierte Verhältniswahl".

Das daraus folgende Mandatsergebnis kommt nach Auffassung der "Mütter und Väter des Grundgesetzes" einem Parlament am nächsten,welches den Bürgerwillen im Verhältnis der abgegebenen Stimmen widerspiegelt und gleichzeitig die Verbindung zwischen Abgeordneten und ihren Wählern stärkt.

Unser gegenwärtiges Wahlsystem ist also ausgesprochen demokratisch und dies gilt für direkt und indirekt gewählte Abgeordnete gleichermaßen.

Auch an der grundgesetzlichen Legitimation der innerparteilichen Listenaufstellung besteht kein Zweifel. Parteien gehören zum Organisationsgerüst unserer Demokratie und ihre Mitwirkung an der politischen Willensbildung ist in Artikel 21 Grundgesetz festgelegt. Überlegungen, ob und wie der Prozess der Listenaufstellung verbesserungsfähig ist, sind trotzdem notwendig und werden immer wieder angestellt. Die Parteien stellen die Listen zwar in einem demokratischen Wahlvorgang auf, aber parteilich ungebundene Bürger und Bürgerinnen haben darauf nur indirekt Einfluss, nämlich insoweit der mutmaßliche oder bereits bewiesene Wahlerfolg der Kandidaten eine Rolle spielt.

Mehr direkte Mitsprache der Wähler und Wählerinnen bei der Listenaufstellung wäre sicher zu begrüßen. Aber wenn es ans konkrete Organisieren solcher Ideen geht, wird es sehr schnell kompliziert und nebenbei bemerkt, auch teuer! Am einfachsten ist noch das Panaschieren und Kumulieren von Stimmen - nur sind bei einer Bundestagswahl, ja schon bei einer Landtagswahl, die einzelnen Kandidaten und Kandidatinnen schwerlich gut genug landes- oder bundesweit bekannt. Hierfür wäre ein unrealistisch hoher Zeit- und Finanzaufwand erforderlich.

Ich werbe deshalb immer wieder dafür, sich auch durch Mitarbeit in den Parteien an unserer Demokratie zu beteiligen.

Nun zu Ihrem zweiten Argument, den Kosten eines Parlaments. Ich stimme Ihnen zu, dass sich auch ein Parlament der Effizienzkontrolle stellen muss.

Effizienz der eingesetzten Mittel ist aber etwas anderes als Kostenminimierung. Nach der Logik der Kostenminimierung wäre das billigste auch das optimale Parlament. Sollen wir also nur 200 Abgeordnete haben oder 100 - gar nur 50, oder besser gleich eine Diktatur? Nein - Kostenminimierung kann nicht ernsthaft das Kriterium für die Frage sein, wie viele Abgeordnete ein Parlament braucht, um arbeitsfähig und repräsentativ zu sein.

Aber wieviel kostet überhaupt das deutsche Parlament? Wussten Sie, dass ein Abgeordneter jeden Staatsbürger rund 0,68 Euro kostet? 68 Cent - nicht jeden Monat, sondern einmal im Jahr! Ich finde das nicht zu viel, sondern in Ordnung. Im EU-Durchschnitt lassen sich die Bürger die Abgeordnetenentschädigung übrigens 1,83 Euro im Jahr kosten. Leider wird bei uns gerne mit Vergröberung und Vereinfachung für Aufregung gesorgt. Ich empfehle deshalb, sich direkt auf der Internetseite des Deutschen Bundestages über die Entschädigung für Abgeordnete zu informieren: http://www.bundestag.de/mdb/mdb_diaeten

Abschließend zu den kürzlich vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Überhangmandaten. Überhangmandate bekommt eine Partei, wenn sie in einer Wahl mehr Direktmandate errungen hat als ihr nach der Zweitstimmenzahl zustünden. Der komplizierte Berechnungsvorgang kann jedoch zu negativem Stimmgewicht führen und auch zu einer Proporzverzerrung der Wählerstimmen. Wenn es sich dabei auch nur um wenige Mandate handelt, so kann bei annähernd gleich großen Parteien ein Mandat mehr oder weniger schon entscheidend sein. Die SPD will mit einer Änderung des Wahlrechts Überhangmandate künftig im Ansatz vermeiden. Wir wollen das noch vor der nächsten Bundestagswahl schaffen, auch wenn das Verfassungsgericht dem Bundestag für die Gesetzeskorrektur eine Frist bis 2011 eingeräumt hat.

Sehr geehrter Herr Janssen, ich würde mich freuen, wenn Sie das eine oder andere meiner Argumente überzeugend fänden und grüße Sie freundlich

Barbara Hendricks