Frage an Bodo Ramelow bezüglich Wirtschaft

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Bodo Ramelow
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Frage von Michael V. •

Frage an Bodo Ramelow von Michael V. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Ramelow,

ich habe eine etwas theoretische Frage an Sie:

der Liberalismus und insbesondere die sog. „Österreichischen Schule“ argumentiert, dass der sozialistische Ansatz von falschen Annahmen über die natürlichen Gesetze des Marktes ausginge und dass daher das langfristige Scheitern sozialistischer Ansätze ökonomisch verbürgt sei. Erstens sei die marxistische „Arbeitswertlehre“ falsch, welche im Kern davon ausgehe, dass der Wert eines Produktes oder einer Dienstleistung sich nach dem Aufwand bilde. Vielmehr sei der Wert einer Dienstleistung, eines Produktes oder auch einer bestimmten Arbeitskraft rein subjektiv („Grenznutzenlehre“) und bilde seinen natürlichen Preis im Markt ausschließlich über seine Knappheit. Würde durch staatliche Interaktion dagegen verstoßen, gäbe es einerseits eine Differenz zwischen Angebot und Nachfrage, andererseits bilde sich ein natürlicher Schwarzmarkt, um die immer vorhandenen Marktbedürfnisse von Anbietern und Nachfragern zu befriedigen.

Das Zweite und wichtigste liberale Argument hingegen wurde bereits von Ludwig von Mises in dem Standardwerk „Die Gemeinwirtschaft“ vorgetragen: Da in einer Panwirtschaft die Preise nicht die Knappheit widerspiegeln könnten – und zwar im Prinzip nicht – würde daher die Misswirtschaft nicht zu verhindern sein. Im sog. „Interventionismus“ (unser System) sei dies graduell zwar geringer jedoch qualitativ ebenso der Fall.

Kerngedanke ist hier einerseits die Signalwirkung der Preise (bzw. Löhne) zur Selbstregulierung im freien Markt und andererseits die sog. „Anmaßung von nicht vorhandenem Wissen“ im Interventionismus oder Sozialismus, da eine hinreichend umfangreiche und hinreichend schnelle Information über den Markt, wie sie ein politisch in den Markt eingreifendes System zur Steuerung benötigte, nicht möglich sei.

Könnten Sie mir bitte Argumente oder Quellen nennen, mit welchen von sozialistischer Seite her dies widerlegt wird?

Mit freundlichen Grüßen
Michael Vöcking

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Vöcking,

vielen Dank für Ihre Frage, deren Anliegen an dieser Stelle ungewöhnlich ist.

Sie fragen mich ja nicht nach politischen Positionen oder Vorhaben, sondern laden mich zum Philosophieren ein. Damit keine Missverständnisse aufkommen, erinnere ich vorweg daran, dass DIE LINKE weder die Planwirtschaft einführen will, noch die Plausibilität des Grenznutzenprinzips bestreitet.

Der von Ihnen genannte Name Ludwig von Mises steht zusammen mit Friedrich von Hayek für die sogenannte „Österreichische Schule“. Dabei handelt es sich um eine vergleichsweise radikale Strömung des ökonomischen Liberalismus. Ihre Theorien wurden im vergangenen Jahrhundert viel zitiert und ausgezeichnet. Mittlerweile allerdings sind Mises´ und Hayeks Lehrmeinungen in Fachkreisen nicht mehr mehrheitsfähig. Kritisieren lässt sich insbesondere deren Abstraktionsgrad.

Meiner Meinung nach wird der Ausdruck „freier Markt“ oftmals wie eine heilige und unangreifbare Vokabel in Debatten zu ökonomischen Grundsatzfragen missbraucht. Ich bin dafür, unideologisch, also nicht auf der Grundlage fixer Ideen, sondern vielmehr sachlich und wirklichkeitsbezogen zu diskutieren. In der gesellschaftlichen Realität handeln immer noch Menschen und nicht theoretische Prinzipien.

Mit dieser Einschränkung macht der Ausdruck „freier Markt“ einigen Sinn. Er tut dies jedoch nicht, wenn er in der Redeweise eines abstrakten, sich selbst regulierenden und vollkommenen Subjekts missverstanden wird. Eine solche, oft dogmatisch vorgebrachte Behauptung, ist eine „Anmaßung von Wissen“. Ein solcher „freier Markt“ ist mir noch nie begegnet oder realer Stoff ernstzunehmender historischer Untersuchungen gewesen.

Auf die jetzige Wirtschaftskrise hätten Hayek und Mises wohl empfohlen, mit Nichtstun zu reagieren. Die Konsequenzen wären katastrophal gewesen. Gegenwärtig maßgebende Nobelpreisträger im Fach Ökonomie, denken Sie etwa an Joseph E. Stiglitz und Paul R. Krugman, fordern einen starken Interventionalismus, um die aktuellen neoliberalen Fehlentwicklung zu beheben. Wie Sie sehen, wissen die heute meinungsführenden Experten um die Gefahr einer mystifiziert-dogmatischen Verwendung der Idee des freien Marktes.

Mit freundlichen Grüßen,

Bodo Ramelow

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